Obama und die Folter

Der Staatsanwalt hat das Wort

Präsident Obama lehnt eine strafrechtliche Verfolgung der unter Bush praktizierten Foltermethoden ab. Die Entscheidung will er jedoch dem Justizministerium und dem Kongress überlassen.

Das Wort »Folter« ersparte Präsident Barack Obama den besorgten Agenten. Bei seinem Besuch im CIA-Hauptquartier in Langley sprach er am Montag der vergangenen Woche von »den Verhörtechniken, die in den OLC-Memos beschrieben werden«. Er habe der Veröffentlichung der Geheimdokumente zugestimmt, weil »so viel der Informationen bereits bekannt« gewesen seien.
Tatsächlich sind die in den vergangenen Wochen herausgegebenen Memoranden und Rechtsgutachten des Office for Legal Counsel, das den Präsidenten juristisch berät, nur eine offizielle Bestätigung der von Medien, Wissenschaftlern und Bürgerrechtlern bereits dokumentierten Fakten. Beamte der CIA und des Militärgeheimdienstes DIA haben vom Frühjahr 2002 bis etwa 2004 und möglicherweise noch danach auf Anweisung der Regierung der USA Menschen gefoltert.
Den Analysen der Washington Post, der McClatchy Newspapers und der New York Times und den veröffentlichten Dokumenten zufolge wurden die Folterpraktiken von den höchsten Regierungsmitgliedern genehmigt. Beteiligt waren unter anderem Vizepräsident Dick Cheney, die Beraterin für Nationale Sicherheit, Condoleezza Rice, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Alberto Gonzales, der offizielle Rechtsberater George W. Bushs. Der damalige Präsident wird von den bislang veröffentlichten Dokumenten nicht belastet.

Bislang waren von Obama und vor allem von seinem Stabschef Rahm Emanuel nur entlastende Worte zu hören. Viel lieber wolle man »nach vorne schauen« und die Untersuchung vergangener Praktiken vermeiden. Für Obama schien die Angelegenheit mit seiner bereits im Januar in Kraft getretenen Direktive gegen die illegalen Verhörpraktiken abgeschlossen. Doch angesichts der angehäuften Beweise scheint der Präsident seine Ansicht revidiert zu haben. Auf einer Pressekonferenz Anfang vergangener Woche gab er bekannt, dass, obwohl er selbst lieber anders handeln würde, die Entscheidungen über weitere Schritte dem Kongress bzw. dem Justizministerium überlassen werden. Er betonte noch einmal, dass nicht gegen die Vernehmer prozessiert werden solle, ließ aber offen, gegen wen bzw. ob überhaupt eine Strafverfolgung geplant ist.
Umfragen zufolge befürwortet die Mehrheit der Amerikaner eine Strafverfolgung oder zumindest eine umfassende offizielle Untersuchung. Obamas vage formulierte Änderung seiner bisherigen Meinung zeigt auch, wo er die Grenzen seiner Macht als Präsident setzen will. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Bush scheint Obama die in der Verfassung verankerte Trennung zwischen dem Weißen Haus als Exekutive und dem Kongress als dessen Überwachungsinstanz respektieren zu wollen. Ein erstes mögliches Ergebnis der intensiven Untersuchungen in den Kongressausschüssen könnte ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Urheber eines der perfideren Foltermemoranden sein, der seit 2003 als Bundesrichter am 9. Berufungsgericht amtiert.
Überdies scheint Obama nicht willens, in die Arbeit seines Justizministers Eric Holder einzugreifen. Holder ist als Justizminister auch Generalstaatsanwalt, er ist nicht an Weisungen des Präsidenten gebunden, sondern soll allein nach Maßstäben des Gesetzes strafrechtliche Untersuchungen anordnen und gegebenenfalls Anklagen erheben.
Schon bevor Obama ihm offiziell die Verantwortung übertrug, hatte Holder dem Newsweek-Reporter Michael Isikoff zufolge erwogen, einen unabhängigen Sonderermittler für den gesamten Komplex der Folterpraktiken einzusetzen. In den acht Jahren der Präsidentschaft Bushs hatte das Weiße Haus sich nachweislich in vielen Fällen in die Arbeit des Justizministeriums eingemischt. Obamas Aussage erscheint da fast ungewöhnlich, entspricht jedoch den Vorgaben der Verfassung.

Vielleicht hat Obama auch die Macht seines Amtes überschätzt, als er seinen Stabschef die Straffreiheit für die mutmaßlichen Folterer und Verantwortlichen verkünden ließ. Doch das Einsetzen eines Sonderermittlers könnte ihm dienlich sein. Administrativ könnte er sich dadurch der unbequemen Aufgabe entziehen, selbst die in das Foltersystem involvierten Karrierebeamten und ‑offiziere zu maßregeln, ein Schritt, der vermutlich für großen Unmut im Staatsapparat sorgen würde. Dies verschafft Obama möglicherweise die nötige Zeit, um die entsprechenden Behörden und Ministerien in seinem Interesse umzugestalten und die diskreditierten Beamten und Militärs aus wichtigen Positionen zu verdrängen.
Politisch könnte er mit dem Einsetzen eines Sonderermittlers den Widerwillen der US-Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit gegenüber der Regierung Bush kanalisieren und so den Bruch mit der Vergangenheit klarer hervorheben. Medienberichten zufolge war eine Reihe einflussreicher Demokraten im Kongress über die Folterpraktiken informiert, darunter die Abgeordnete Jane Harman, der Senator Jay Rockefeller und sogar Nancy Pelosi, die als linke Demokratin gilt und derzeit Sprecherin des Repräsentantenhauses ist. Bislang liegen hierfür nur Indizien vor, doch wenn diese sich erhärten sollten, wird sich Obama notgedrungen so weit wie möglich von den involvierten Demokraten distanzieren wollen.

Ob Obama wirklich keine Untersuchungen und Strafprozesse will, die Entscheidung darüber aber gemäß rechtsstaatlichen Prinzipien getroffen werden soll, ob er sich schlicht der Verantwortung entziehen möchte oder auf elegante Weise eine juristische Aufarbeitung vorbereitet, ist ungewiss. Möglicherweise hält er sich an das Motto Theodore Roosevelts: »Speak softly and carry a big stick.« Er besänftigt mit seinen Reden über Straffreiheit Staatsdiener und politische Gegner, doch er selbst veranlasste die Veröffentlichung der Foltermemoranden. Die Verantwortung für die Untersuchung von Praktiken, deren Illegalität kaum bestreitbar ist, dem Justizministerium zu übertragen, könnte eine Strafverfolgung eher erleichtern.
Obamas vage Aussagen und sein expliziter Wunsch, von einer strafrechtlichen Verfolgung abzusehen, werden von US-amerikanischen und ausländischen Linken heftig kritisiert. Doch wenn der Präsident offensiv eine Strafverfolgung befürworten würde, trüge ihm das nicht nur den Vorwurf der Rachsucht ein. Wie Jonathan Turley, Rechtsprofessor an der George Washington University, jüngst anmerkte, müsste Obama nur den Scharfmacher spielen und lauthals Verfahren gegen alle Verantwortlichen fordern, wenn er wirklich die Verurteilung mutmaßlicher Folterer und ihrer Befehlshaber verhindern wollte.
Dann könnte jeder Strafverteidiger auf Befangenheit der Geschworenen plädieren, da der Präsident unlauteren Einfluss auf den Prozess genommen habe. Sollte es tatsächlich zu Prozessen kommen, wäre das ein sehr realistisches Szenario. Die Angeklagten, die es selbst mit dem Rechtsstaat nicht so genau nahmen, würden zweifellos penibel auf der Einhaltung sämtlicher gesetzlicher Garantien bestehen. Die letzte Entscheidung läge beim Obersten Gericht, und sieben von neun Richtern wurden von republikanischen Präsidenten ernannt.