Eine Ausstellung über Liselotte Grschebina in Berlin

Deutsche Strümpfe, hebräische Melonen, athletische Körper

Liselotte Grschebina emigrierte 1934 von Deutschland nach Palästina. Die Kamera war immer dabei.

Das Foto einer Wassermelone mit Herkunftsstempel in hebräischen Schriftzeichen bringt auf prägnante Weise den kulturellen Trans­fer zum Ausdruck, an dem die 1934 von Deutschland nach Palästina emigrierte Fotografin Liselotte Grschebina maßgeblich beteiligt war. Das Stillleben folgt den Gesetzen der geometrischen Anordnung: eine Melone als Kreis, davor ein aufgeschnittenes Stück als Dreieck; zusätzlich erweitern eine ­karierte Tischdecke sowie der Teller das Formenvokabular. »Hebräische Wassermelone« (ca. 1935) ist eine Arbeit, die sichtbar von der künstlerischen Moderne während der Weimarer Republik beeinflusst ist, gleichzeitig erzählt sie von einem völlig anderen Kontext. Grschebina »importierte« die moderne Fotografie in ihre neue kulturelle und politische Umgebung – für Nissan Perez, den Kurator der Ausstellung »Eine Frau mit Kamera«, steht sie damit wie so viele andere emigrierte Künstler für den Beginn der Globalisierung von Kunst.
Im Berliner Gropius-Bau sind derzeit 100 Fotografien von Liselotte Grschebina zu sehen, die zwischen 1929 und den sechziger Jahren in Deutsch­land und Palästina entstanden sind. Bis vor wenigen Jahren war Grschebinas Werk kaum erforscht und blieb nahezu unsichtbar, sieht man einmal von den wenigen Fotos ab, die in Zeitungen und in einem Kalender von 1938 veröffentlicht wurden. Nur durch Zufall wurden ihre Arbeiten von Beni Gjebin, dem Sohn der Künstlerin, nach ihrem Tod entdeckt. Die 1 800 Fotos umfassende Sammlung – ungeordnetes, undatiertes und nur mit knappen Begleitinformationen versehenes Material – schenkte er dem Israel-Museum in Jerusalem, das nun auch diese erste Ausstellung in Deutschland zusammengestellt hat.
Liselotte Grschebina, geborene Billigheimer, kam 1908 als Tochter eines jüdischen Kaufmanns in Karlsruhe zur Welt. Als sie sechs Jahre alt war, starb ihr Vater als Soldat des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg. An der Badischen Landeskunstschule Karlsruhe (der heu­tigen Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe) studierte sie von 1925 bis 1928 Gebrauchsgrafik, bevor sie dort Werbe­fotografie unterrichtete. Ihre Lehrtätigkeit fand jedoch schon zwei Jahre später ein Ende. Grschebina wurde entlassen mit der Begründung, es beste­he keine Nachfrage für das Studienfach. Auch ihr Vorhaben, selbst eine Schule für Wer­befotografie zu gründen, scheiterte, ihr Antrag wurde abgelehnt. 1932 eröffnete sie schließlich ihr eigenes Studio »Bilfoto«, das auf Werbeaufnahmen und Kinderporträts spezialisiert war. Ein Großteil der in Deutschland entstandenen Fotografien – meist Werbeaufträge, für ­Zigaretten, Damenstrümpfe etc. – wurden im Studio aufgenommen. Dabei zeigt sich Grsche­bina vor allem von zwei künstlerischen Strömungen beeinflusst: von der Neuen Sachlichkeit, der Sicht auf die alltäglichen und einfachen Dinge, auf klare Formen und Strukturen; und vom Neuen Sehen, einer spezifischen Stilrichtung in der Fotografie, die in den zwanziger Jahren das Medium der Fotografie als eigenständige Kunstform definierte und das Alltägliche durch eine dynamische Bildsprache, durch ungewöhnliche Perspektiven und Anordnungen abstrahierte.
Ihre Bilder aus der Zeit thematisieren die Welt des Theaters, stark geschminkte Gesichter, Masken und Stillleben. Das bildnerische Vokabular ist modern, aber keineswegs experimentell – Grschebina war keine Erfinderin neuer Bildsprachen, viel eher griff sie auf das vorhandene Repertoire zurück: Spiegelungen, harte Kontraste, das Spiel mit Licht und Schatten, das Gewicht wird auf die Textur von Stoff und Ma­terial gelegt. Puristische Aufnahmen von Federn (1929), die vor einem monochromen Hintergrund fotografiert sind, erinnern etwa an die streng-formalen Pflanzenbilder Karl Blossfelds, der ebenso wie Albert Renger-Patzsch die einzigartige Form des fotografierten Objekts in den Vordergrund stellte. Die herausfordernden Winkel und scharfen Diagonalen sind dagegen eindeutig von Laszlo Moholy-Nagys Arbeiten inspiriert. Im Vergleich zu diesen Vorbildern sind Grschebinas Arbeiten formal jedoch weitaus weniger stringent, auch folgen sie keiner sichtbaren Systematik.
1934, nach Hitlers »Machtergreifung«, emi­grierte Grschebina mit ihrem Mann nach Palästina, wo sie ihren Stil weiterentwickelte und ihre Arbeit in die einflussreiche Gruppe deutscher Fotografen einbrachte, die mit der »fünf­ten Einwanderungswelle« ins Land kam und sich vor allem in Tel Aviv ansiedelte. Dort eröffnete sie auch gemeinsam mit der Fotografin Ellen Rosenberg (später Auerbach), der ehemaligen Partnerin des berühmten Fotografen-Duos »Ringel + Pit«, ein Atelier unter dem Namen »Ishon«, was so viel wie »Augapfel« oder »kleiner Mensch« bedeutet. Als ihre Partnerin einige Jahre später das Land wieder verließ, schloss Grschebina das Studio und verlagerte ihr Atelier in die eigene Wohnung, doch immer öfter unternahm sie auch Tagesausflüge mit der Kamera. Ihre Bilder aus dem israelischen Alltag porträtieren die Einwanderungsgesellschaft Palästinas: Kinder auf den Straßen Tel Avivs, Hafen- und Bauarbeiter, Frauen auf dem Feld und in landwirtschaftlichen Betrieben. Auch die Architektur des International Style, die unter dem Einfluss des Bauhauses große Verbreitung fand, ist ein wiederkehrendes Motiv.
Der Ausstellungstitel »Eine Frau mit Kamera« klingt unbestimmt und allgemein, ähnlich verhält es sich mit der Konzeption der Ausstellung selbst. Inhaltliche Schwerpunkte, Themen und Thesen lassen sich kaum finden – das ist schade, denn Grschebinas Werk bekommt dadurch etwas leicht Beliebiges. Auch wären an vielen Stellen mehr Informationen sinnvoll gewesen – weniger, um das Werk der Fotografin künstlerisch einzuordnen, als vielmehr um ihre Sujets im Kontext des neuen Staates Israel nachvollziehen zu können. Die Ausstellungsmacher betonen zwar Grschebinas Stellenwert als kommerzielle Fotografin und weisen jeden journalistischen bzw. dokumentarischen Anspruch zurück, doch natürlich sind ihre Arbeiten – beispielsweise ihre Fotografien für die Eisenbahngesellschaft Palästina-Eretz Israel, die Tnuva-Molkerei sowie für Kibbuzime oder auch die Frauenorganisation WIZO (Women’s ­International Zionist Organization), deren offizielle Fotografin sie war – historische Dokumente, die nur schwer von der politischen Geschichte zu trennen sind.
Ein zunächst irritierendes, dann aber umso interessanteres Moment in der Ausstellung ist die Verwandtschaft von Grschebinas Sportlerporträts mit den Bildern Leni Riefenstahls aus dem 1936 entstandenen »Olympia«-Film. Bereits 1930 hatte Grschebina Sportler fotografiert. Eine Fotografie zeigt Leichtathleten beim tänze­rischen Sprung, das Bild ist in der freien Natur aufgenommen und spiegelt den Geist der florierenden Freikörperkultur wider. Auf den späteren Fotos ist der Körper deutlich exponierter, die Figur wirkt wie auf die Fläche gesetzt, ein Hintergrund ist nicht zu erkennen. Beispielsweise zeigt eine Aufnahme von 1937 einen Speerwerfer, der sich für seinen Wurf bereit macht. Die gestreckten Arme und die Diagonale des Speers lassen die Figur dynamisch erscheinen und auch die leicht untersichtige Perspektive trägt zur Heroisierung des athletischen Körpers bei. Grschebinas Sportlerpor­träts sind zwar weicher, naturalistischer als Riefenstahls martialisch inszenierte Superkörper. Dennoch ist unverkennbar, dass beide Frauen von ähnlichen künstlerischen Strömungen geprägt waren, und nicht zuletzt spielte der Körperkult in diesem ästhetischen Programm eine wichtige Rolle.
Grschebinas professionelle Laufbahn endete 1957. Ob und in welcher Form sie danach weiter fotografierte, geht weder aus der Ausstellung noch aus dem Katalog hervor. Die letzten Bilder stammen aus den frühen sechziger Jahren, sie sind in Griechenland aufgenommen worden. Treppenstufen, aus der Untersicht aufgenommen, strukturieren das Bild und lassen ein fast abstraktes Geflecht erkennen. Eine andere Aufnahme fängt die schemenhafte Figur einer Frau ein, die an einer kahlen Häuserfront entlang läuft, während die Sonne harte Schatten auf die Straße wirft. Trotz der ungewöhnlichen Kame­rawinkel verraten Grschebinas Bilder nichts über ihre subjektive Intention, die »Frau mit Kamera« bleibt in der Ausstellung seltsam abwesend.