Înterview mit James Shikwati über Entwicklungshilfe, freien Markt und freie Wahl

»Die Krise ist gut für Afrika«

Der kenianische Ökonom James Shikwati ist Gründungsdirektor des »Inter Region Economic Network« (IREN), eines marktliberalen Think Tanks für den wirtschaftlichen Fortschritt Afrikas. Er ist strikter Gegner von Entwicklungshilfe.

Sie sind bekanntermaßen ein Gegner von Entwicklungshilfe. Westliche Hilfsorganisationen befürchten, wegen der Finanzkrise könnte die Entwicklungshilfe gekürzt werden – ist die Krise also gut für Afrika?

Die Krise ist wirklich gut für die Entwicklung Afrikas – zumindest in dem Sinne, dass das sie einen Double-Standard westlicher Länder beendet. Die afrikanischen Länder wurden immer über die negativen Konsequenzen abgeschirmter Märk­te belehrt. Jetzt sieht man, dass entwickelte Länder selbst ihre Märkte abschotten, um die Aus­wir­kungen der globalen Wirtschaftskrise zu schultern. Angesichts dessen fragen sich viele Afrikaner, warum es beispielsweise für Amerika gut sein soll, wenn der Staat dort massiv in den privaten Sektor interveniert, während afrikanischen Ländern von der Weltbank und vom Internationalen Währungsfonds immer geraten wurde, alles zu privatisieren. Es ist eine sehr gute Sache, dass in Afrika jetzt darüber diskutiert wird, ob wir nicht einem schlechten ökonomischen Modell gefolgt sind.

Und dass die Entwicklungshilfe nun gekürzt zu werden droht, ist das ein Grund zur Freude?

Ich denke, dass Entwicklungshilfe eingestellt wer­den sollte. Entwicklungshilfe verstärkt ein globales Wirtschaftssystem, das vom IWF und der Weltbank überwacht wird. Dieses System sorgt da­für, dass Afrika Rohmaterialien exportiert, statt selbst Produkte herzustellen und diese zu exportieren. Die Entwicklungshilfe ist Teil dieses Systems, sie sorgt dafür, dass Afrika von diesen Struk­turen abhängig bleibt.

Sollen also die wohlhabenderen Länder ihre Ent­wicklungshilfe einstellen – und das wäre schon alles?

Um etwas Gutes für die Welt zu tun, müsste man die Tatsache klarstellen, dass wir eine stark von externen Interessen bestimmte Wirtschaft haben. Wir bräuchten stattdessen eine eigene, von innen bestimmte Wirtschaft. Im Rahmen der globa­len Finanzkrise haben wir gesehen, wie die Regierungen der westlichen Welt sich um die Interessen ihrer eigenen Länder kümmern. Das fehlt in Afrika, weil wir so stark von Hilfe abhängig sind. Was nötig wäre, ist eine ebenbürtige Interessenvertretung Afrikas, eine Interessenvertretung Kenias und so weiter. Ich rufe nicht nach mehr En­gagement des Westens. Wir brauchen ein System, das auch den afrikanischen Interessen eine Chan­ce in der Weltwirtschaft einräumt.

Die Finanzkrise brachte auch die Entscheidung der G 20 mit sich, den Internationalen Währungsfonds zu stärken.

Das ist der besorgniserregende Aspekt der Krise. Meiner Meinung nach müssen die Entwicklungsländer aus dem Griff des IWF und der Weltbank befreit werden, und jetzt soll der IWF nach dem Willen der G 20 eine größere Rolle spielen. Es sieht so aus, als wollten sie so weitermachen wie bisher. Ein stärkerer IWF und eine stärkere Weltbank könnten Afrika noch mehr bevormunden. Aber aus ihren bisherigen Belehrungen wie etwa den Strukturanpassungsprogrammen haben wir gelernt, dass die Menschen durch sie zu Hilfsem­pfängern werden und daher nicht ihre Interessen vertreten können. Vielleicht werden manche Politiker in Entwicklungsländern IWF-Kredite annehmen, weil sie hoffen, dass dies auf kurze Sicht etwas ändert. Aber Afrika muss sich von die­sem System verabschieden.

Wie Sie schon angesprochen haben, neigen die westlichen Staaten in der Krise selbst zu pro­tektionistischen Maßnahmen, die Afrika schaden könnten.

Wenn man über Protektionismus redet, muss man besonders beachten, dass in Afrika dauerhafter Hunger wiederkehrt, owohl viele Anbauflächen brachliegen und sich die Menschen von ihnen ernähren könnten. Aber die Afrikaner werden buch­stäblich in Geiselhaft gehalten, nicht nur durch den Protektionismus westlicher Agrarsubventionen, sondern auch durch Hilfsleistungen für afrikanische Regierungen, die die Menschen damit zu Hilfsempfängern machen. Das macht es ihnen sehr schwer, sich für bessere Institutionen einzusetzen, die nötig sind, damit sie sich in ihrem Land selbst ernähren können.
Jetzt haben wir das Szenario, dass sich die Ame­rikaner, Europäer und Asiaten für die riesigen brachliegenden Anbauflächen Afrikas interessieren, um sich dort mit ihrer Agro-Industrie selbst zu ernähren – also die Flächen für die Märkte Europas, Asiens, Quatars oder Saudi-Arabiens zu bewirtschaften. Das ist langfristig eine sehr gefähr­liche Angelegenheit. Denn das bedeutet, dass die Menschen in Afrika, die in der Landwirtschaft arbeiten, sich auf kleine Ecken am Rande beschränken müssen, weil ihnen verweigert wird, die großen brachliegenden Flächen zu nutzen, nur weil afrikanische Regierungen beschlossen, dieses Land als ihr eigenes zu deklarieren, um es den Investoren zur Verfügung zu stellen. Da gibt es sehr unheilvolle Verbindungen – und das nicht nur auf dem Gebiet der Landwirtschaft.

Werden westliche Investoren, die in Afrika investieren wollen, in der Krise weniger?

Die Investitionen internationaler Konzerne nehmen in der Wirtschaftskrise ab. Und wie das System der Weltwirtschaft gegenwärtig funktioniert, sehen sich alle in Afrika immer nach Investoren außerhalb Afrikas um. Wenn es außerhalb Afrikas Turbulenzen gibt, kommen diese also automatisch nach Afrika. Wenn die auswärtigen Investoren aufgrund der Krise wegbleiben, ist das aber eine Chance für eine neue Wirtschafts­ordnung, in der die Afrikaner nicht nach fremden Investoren Ausschau halten, sondern sich auf ihre eigene Wirtschaft konzentrieren.

Sie klagen, die Programme des IWF und der Weltbank würden sich gegen das Prinzip der frei­en Wahl richten, das im freien Markt angelegt sei. Würde denn ein freier Markt wirklich Armut lindern?

Ja, weil Wahlfreiheit uns Macht gibt. Wahlfreiheit im Kongo würde für die Kongolesen bedeuten, das sie sich dafür entscheiden könnten, eine eige­ne Handy-Industrie aufzubauen, statt ihr Coltan nach Belgien oder Frankreich oder in die USA zu exportieren, wo man damit Handys baut. Aber die Weltbank und das mit ihr zusammenhängende System stehen dieser freien Wahl entgegen; dieses System ermöglicht es den fremden Investoren, das Coltan abzubauen und zu exportieren, ohne dass die Kongolesen davon profitieren können.
In Nigeria passiert dasselbe. Dort fördern amerikanische Firmen Öl und bringen es nach Amerika. In Nigeria gibt es keine Ölraffinierien. Sie müs­sen Benzin daher importieren. Das liegt an der Struktur des Weltmarktes. Wie kann ein Land Öl besitzen, aber nicht die Mittel, um es zu verarbeiten? Ein freier Markt würde bedeuten, dass die­se Länder die Chance bekommen, ihre Ressourcen selbst zu verarbeiten, statt um die Gunst externer Investoren buhlen zu müssen.

In vielen westlichen Ländern gibt es einen relativ freien Markt – der hat offenbar in die der­zeitige Krise geführt. Und Armut gab es schon immer auch in westlichen Ländern – wenn auch in weit geringerem Außmaß als in Afrika.

Würden sich die ehemaligen Kolonialstaaten nicht einmischen, könnten sich Afrikaner gegenseitig helfen und einen großen afrikanischen Binnenmarkt etablieren. Dieser Markt sollte nicht das westliche Modell kopieren, wie es jetzt zur Krise geführt hat. Wir brauchen staatliche Regulierung, die verhindert, dass einige Unternehmer die Zukunft der Menschen in Afrika gefährden.

Trotzdem betonen Sie stets den »freien Markt«. Das haben westliche Politiker Jahrzehnte lang getan, und jetzt sind sie mit ihren Forderungen recht kleinlaut geworden.

Der Punkt ist, dass wir Regulation brauchen, die von Afrika ausgeht. Wir brauchen eine afrikanische Zentralbank und ein afrikanisches Wirtschaftssystem. Regulation heißt nicht, dass sie dem Geist des Marktes, dem Geist der freien Wahl, automatisch ein Ende setzt. Aber Überregulierung ist nicht gut. Wir brauchen eine staatliche Aufsicht für die Wirtschaft, aber sicher nicht die des IWF und der Weltbank.

Sie sagen, dass der freie Markt Wahlfreiheit im­pliziert. Stellen wir uns vor, wir hätten nichts als unsere Arbeitskraft, und die einzige Möglichkeit, irgendwie zu überleben, wäre, für einen Arbeitgeber für 50 Cent am Tag zu arbei­ten, sei er nun aus den USA oder aus Afrika. Ist das dann Wahlfreiheit – oder doch einfach Ausbeutung?

Wahlfreiheit impliziert, dass es mehrere Möglich­keiten gibt, unter denen man wählen kann. Wenn es nur eine Möglichkeit gibt, dann gibt es auch kei­ne freie Wahl. Wenn die Regierung alles übernommen hat, gibt es auch keine Wahl, weil dann immer die Regierung im Spiel ist. Deshalb brauchen wir eine Vielzahl verschiedener wirtschaftlicher Akteure in einer Gesellschaft, deren Antriebe Eigeninteresse und Profit sind. Aber wir brauchen auch einen Staat, der Sicherheit, Straßen und solche Dinge bereitstellt. Wir brauchen all das. Aber wir brauchen keinen Staat, der alles tut.
Ich habe vorhin erwähnt, dass wir eine Interessenvertretung für Afrika brauchen, so wie sie die westlichen Länder haben, eine Interessenvertretung, die anerkennt, dass afrikanische Men­schen sehr wertvolle Menschen sind. Wenn afrikanische Regierungen sich nur für Entwicklungs­hilfe einsetzen, tun sie so, als seien die Menschen in ihren Ländern an sich wertlose Hilfsempfänger. Wir brauchen aber Regierungen, die die Menschen aus ihren Ländern so vertreten, wie es die deutsche Regierung oder andere westliche Regierungen tun.