Der feministische Klassiker »Born In Flames« auf DVD

Die Mutter aller Feminismus-Flicks

Mehr als 25 Jahre nach seinem Erscheinen gibt es den revolutionären feministischen Underground-Filmklassiker »Born In Flames« auch in Deutschland auf DVD.

Eigentlich müsste alles in Butter sein. Ein quasi-utopischer Zustand ist erreicht: Man begeht im New York einer unbestimmten Zukunft, die allerdings ziemlich nach Gegenwart bzw. den Achtzigern aussieht, »den zehnten Jahrestag der ersten wahren sozialistischen Demokratie, der friedlichsten Revolution, die die Welt jemals gesehen hat«. Der Bürgermeister ist schwarz, heißt Mayor Zubrinsky und bezeichnet sich selbst als »Chief Executive Officer of this great city«. Doch der kakophonische Soundtrack-Gesang der Lora Logic mit ihrer britischen Postpunk-Band Essential Logic, der gleich zu Beginn des Films das offiziöse Geschwafel des Nachrichtensprechers zu den Jubiläumsfeiern mit dem aggressiv überkandidelten Schlachtruf »We are born in flames!« überlagert, lässt ahnen, dass es unter der Oberfäche aus Harmonie brodelt.
Für Frauen, Schwarze und Homos hat sich auch zehn Jahre nach der Revolution nicht viel geändert, sie bekommen schlechtere oder gar keine Jobs. Als Schwarze auf die Straße gehen, um gegen die »Workfare-Programme«, in denen ihnen stets die bedeutungslosesten Tätigkeiten zugeschoben werden, zu protestieren, kommt es zu Ausschreitungen – das Regime kontert damit, in Zukunft bei der Vergabe von Jobs Familienväter bevorzugen zu wollen. Die Entlassung schwarzer Bauarbeiterinnen ohne Angabe von Gründen erinnert frappant an die Autobiografie von Leslie Feinberg, »Stone Butch Blues«, in der sie erzählt, wie die in traditionell männlichen Berufen tätigen Butch-Lesben immer als erste aus den Fabriken gekickt wurden. Das nach wie vor existente Gewaltproblem wird mit der Rehabilitation der Täter »gelöst«, Programme zur Beratung oder Behandlung von Vergewaltigungsopfern werden dagegen gestrichen. Kinderbetreuung und Familienarbeit bleiben wie immer an den Frauen hängen, da man davon ausgeht, dass die sich das schon irgendwie einrichten werden.
Während die bürgerlichen weißen Frauen sich mit dem System arrangieren und im Fernsehen brav predigen, Separatismus, insbesondere feministischer, sei gefährlich und gefährde die Einheit der einzigen verbliebenen Partei (ein Highlight in dieser Gruppe: die spätere »Strange Days«-Regisseurin Kathryn Bigelow als Zeitungsmacherin), schließen sich im Untergrund autonome, zumeist schwarze und lesbische, Frauen zusammen. Sie wollen sich nicht damit zufrieden geben, dass Frauen, die Seite an Seite mit den Männern für die Revolution gekämpft haben, nun zurück in die Küche gedrängt werden. Die Women’s Army z.B. rettet Frauen vor sexuellen Übergriffen auf der Straße, indem sie als »Dykes on Bikes« angeradelt kommen und die Täter mit Trillerpfeifen verjagen. In den freien Radiostationen »Ragazza« und »Phoenix Radio« sprechen Isabel (dargestellt von Adele Bertei, Sängerin der New-Wave-Band The Bloods und Keyboarderin der Contorsions) und Honey über revolutionäre Belange, und Arbeiterinnenorganisationen protestieren für »Union Jobs«. Doch erst als die Afroamerikanerin Adelaide Norris, die sich nach einem Besuch bei einer arabischen Revolutionärin für den bewaffneten Kampf entschieden hat, im Gefängnis umgebracht und dieser politische Mord als Freitod getarnt wird, überwinden die verschiedenen Frauenorganisationen ihre inhaltlichen Differenzen und schließen sich für eine spektakuläre Aktion zusammen.
Regisseurin Lizzie Borden, die schon im zarten Alter von elf Jahren ihren Namen von Linda Elizabeth zu Lizzie änderte und so eine Referenz zu der berühmten als Vatermörderin angeklagten Lizzie Borden (1860–1927) herstellt, war bei der Fertigstellung ihres ersten Publikums-Films erst 25 Jahre alt. Den Entschluss, Filmemacherin zu werden, fasste die Absolventin des renommierten Wellesley-Frauencolleges angeblich nach dem Besuch einer Godard-Retrospektive. Die 40 000 Dollar, die ihr selbstproduzierter Erstling »Born In Flames« kostete, kratzte sie selbst zusammen, indem sie wochentags Filme für den Künstler Richard Serra editierte; am Wochen­ende wurde – über fünf Jahre lang – mit den Laienschauspielerinnen gedreht.
Das Selbstgemachte, Improvisierte sieht man dem Film, der von der Kritik mitunter als »feministischer Science Fiction« bezeichnet wurde, aufs Interessanteste an: Über weite Strecken wirken die körnigen Aufnahmen lebhafter Diskussions- und Protest-Szenen wie eine Dokumentation revolutionärer Bewegungen, und der Verzicht auf eine klassische Erzählstruktur und Hauptfiguren tragen zum Eindruck einer chaotisch-produktiven Vielstimmigkeit bei. Keine der Figuren, keine der Haltungen wird durch die filmische Perspektive einer anderen vorgezogen, so dass die disparaten Ansätze und Forderungen der einzelnen Gruppierungen unkommentiert gleichberechtigt nebeneinanderstehen.
Dass Lizzie Borden, die nach ihrem Spielfilm »Working Girls« (1986) über den Arbeitsalltag in einem New Yorker Bordell eher obskure Erotik­filme drehte, sich Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger mit den Richtungskämpfen und Fragmentierungen innerhalb der feministischen Bewegung im Rahmen dieser dystopischen Gesellschaftskritik befasste, hat natürlich seine historische Richtigkeit. Nach dem Höhepunkt der so genannten Zweiten Frauenbewegung in den späten sechziger und vor allem den siebziger Jahren traten nun deutliche Meinungsverschiedenheiten zutage. Während die Euphorie für den gemeinsamen Kampf, auch durch die Diffamierung des Feminismus in den Medien, langsam abkühlte, wurden gleichzeitig jene Stimmen lauter, die gegen die Dominanz weißer, heterosexueller Mittelschichtserfahrungen opponierten und die Einbeziehung lesbischer, nicht-weißer und ökonomisch benachteiligter Lebensrealitäten forderten. Obwohl »Born In Flames« der Vielschichtigkeit von Unterdrückung und möglichen Gegenstrategien auf beeindruckend radikale Weise Rechnung trägt, blendet Borden die Notwendigkeit von Schranken übergreifender Solidarisierung nicht aus. Wenn die Radiomacherin Honey mit ihrer samtweichen Stimme ihre Hörerinnen mit den Worten begrüßt: »Good evening, this is Honey, coming to you directly from Phoenix Radio. A radio station not only for the liberation of women, but for the liberation of all, and the freedom of life which is found in music«, wird das Projekt Feminismus auf berührende Weise als nicht-exklusives Emanzipationsbestreben greifbar. Da verwundert es nicht, dass »Born In Flames« mit seinem großartigen Soundtrack von Postpunk bis Agit-Soul auch heute noch feministische Filmemacherinnen wie Jamie Babbit beeinflusst, in deren unterhaltsamer Feminismus-Pädagogik-Komödie »The Itty Bitty Titty Committee« deutliche Bezüge zu dieser Mutter aller Feminismus-Flicks sichtbar sind – doch die Radikalität von Lizzie Bordens Film sucht bis heute ihresgleichen.

»Born in Flames« (1983). DVD (Edition Salzgeber)