Die Hardcore-Szene wehrt sich gegen Nazis

Härter, lauter, rechter

Seit Jahren versuchen Rechtsextreme, die Jugendkultur des Hard- und Hatecore zu unterwandern. Seit ein Rechtsextremist Hardcore als Marke eintragen und schützen ließ, regt sich Widerstand dagegen.

Deutschland brennt, Hardcore pennt«, titelte vor über einem Jahrzehnt das deutsche Punk-Hardcore-Magazin ZAP. Denn Anfang der neunziger Jahre brannten Asylbewerberheime in Deutschland, Passanten applaudierten am Straßenrand, doch die Punk-Hardcore-Szene schien das relativ unbekümmert zu lassen – zumindest war sie mehr mit Themen wie Veganismus und Tierbefreiung beschäftigt.
Seit einiger Zeit nun ist die Hardcore-Szene in Aufruhr und sorgt sich um ihren Genrebegriff. Hardcore entstand Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in den USA im Dunstkreis linker Punkbands wie Minor Threat, Black Flag oder Agnostic Front und wurde in Deutschland in den neunziger Jahren populär. Im Dezember 2008 ließ ein Neonazi namens Timo Schubert beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) den Begriff als Marke eintragen und schützen.
Schubert, Inhaber des Shops »Der Versand« und Schlagzeuger der Rechtsrockband Agitator, darf nun Hemden, Becher, Schlagstöcke exklusiv mit dem Schriftzug »Hardcore« bedrucken und alle Nutzer des von ihm urheberrechtlich geschützten Begriffs verklagen. »Erhebliche Abmahnkosten« ab 1 000 Euro aufwärts drohen. Das zuständige Amt ist nach »sorgfältiger Prüfung der Anmeldung« zu dem Ergebnis gelangt, dass die Eintragung »nicht verweigert werden kann«. Ein Bündnis rund um das Punk-Hard­core-Fanzine Ox und die Kampagne »Kein Bock auf Nazis« will sich mit der Aneignung des Begriffs durch einen Neonazi nicht abfinden. Ein Antrag auf dieLöschung des Begriffs »Hardcore« aus dem Markenregister wurde gestellt, und mehrere Firmen, die das Wort für andere Waren geschützt haben, wurden dazu gebracht, Widerspruch gegen den Markeneintrag einzulegen. Derzeit läuft das Widerspruchs- und Löschungsverfahren.

Besetzung nicht-rechten Terrains durch Rechtsextremisten
Unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits, der mehrere Wochen bis Monate und sogar ein Jahr dauern kann, steht der Prozess für die zunehmende Besetzung nicht-rechten Terrains durch Rechtsextremisten. Rechtsextreme ver­suchen seit Jahren, jugendkulturelle Szenen zu unterwandern, so auch die des Hardcore. Musik ist heute mit das bedeutendste Medium der extremen Rechten, um Jugendliche an ihr Spektrum zu binden. Und in den vergangenen Jahren hat sie Hard- und Hatecore für sich entdeckt, die im neonazistischen Spektrum als National Socialist Hardcore/Hatecore (NS HC) deklariert werden.
Seit Ende der neunziger Jahre wurden Hard- und Hatecore mehr und mehr als Begriffe von Rechtsextremen okkupiert und umgedeutet. Mittlerweile existiert eine internationale und gut vernetzte rechte Hardcore-Szene: Das deutsche Label Until the End Records setzt auf NS-Hatecore und versucht sich zugleich im Versandhandel. Das New Hate Zine nennt sich »Independent Hardcore Zine« und kooperiert mit anderen rechten Hardcore-Labels. Die Interpreten kommen aus den USA und heißen Blue Eyed Devils, Teardown, H8Machine oder aus Deutschland, wo sich Bands wie Moshpit, Eternal Bleeding (beide Altenburg/Thüringen) oder Hope for the weak (Dresden/Sachsen) zu etablieren versuchen.

Territorialität und Öffentlichkeit als Strategien der Rechten
Der Versuch, Hardcore zu okkupieren und ihn als Begriff in Form einer Marke zu sichern, ist Teil einer Strategie, die die extreme Rechte seit den frühen neunziger Jahren mit der Herausbildung einer eigenen Szene verfolgt. Nach 1945 schlossen sich Rechtsextreme vor allem in Parteien oder anderen Organisationen zusammen und nutzten – auch aufgrund der Altersstruktur ihrer Anhänger – eher Hinterzimmer und Gastsäle als Treffpunkte, kaum aber die Öffentlichkeit und den öffentlichen Raum. Seit der Nationaldemokratische Hochschulbund der NPD (NHB) 1991 ein Strategiepapier zur Errichtung »befreiter Zonen« vorlegte, durch die man »faktisch die Macht ausübt«, gewannen Territorialität und Öffentlichkeit für die extre­me Rechte an Bedeutung. Zu ihren Aktionsfeldern gehören heute öffentliche Plätze, Einrichtungen, Stadtteile, Veranstaltungen oder auch die Musik: Seit den Neunzigern sind Rechtsextreme selbstbewusst in andere Genres vorgedrungen und erfreuen sich an den Traditionen des Dark Wave/Gothic, Neo-Folk, Industrial, Black Metal oder am Hardcore/­Hatecore.
Rechtsextreme besetzen heute einen Musikmarkt, der immer überschaubarer wird: Gab es 1989 im Bereich Rechtsrock erst sechs LPs rechtsextremer deutscher Bands, waren es 1993 bereits 35 LPs und CDs, gegenwärtig gibt es knapp 150 Rechtsrock-Gruppen in Deutschland, die jährlich über 100 rechtsextreme Tonträ­g­er produzieren. Zugleich existieren in Deutschland bis 50 rechtsextreme Produktions- und Vertriebsunternehmen, die Zahl der aktiven rechtsextremistischen Versandhändler, bei ­denen Tonträger und andere Propagandama­terialien erhältlich sind, liegt mit 83 noch weitaus höher. Um die 140 Rechtsrock-Konzerte fanden zudem im vorletzten Jahr in Deutschland statt.

Verbürgerlichung und Radikalisierung des rechten Spektrums
Die Besetzung des Begriffs Hardcore und der Versuch, eine originär antirassistische Jugendkultur zu okkupieren steht zum einen für eine Verbürgerlichung, zum anderen für eine Radikalisierung des rechten Spektrums. Ga­ben sich deutsche Rechtsrock-Gruppen in den achtziger Jahren sperrige Namen wie Störkraft oder Endstufe, nennen sie sich heute schon mal Daily Broken Dream, Path of Resistance oder Moshpit. Linke Bandnamen und Musikstile werden kopiert, Schriftzüge und Textzeilen bei­nahe eins zu eins übernommen. Man möchte, wie die ostdeutsche NS-Hardcore-Band Moshpit, auch »unpolitische Leute oder Vertretungen anderer Meinungen« erreichen. Nur an wenigen Textstellen wird rechtsextremes und neofaschistisches Gedankengut offenkundig, etwa wenn die NS-Hardcore-Band Teardown (USA) vor »degeneration« oder »miscegenation« (Rassenmischung) warnt. Ansonsten stimmt man in den Chor der Entrüsteten gegen die Globalisierung ein und bleibt in der Gemengelage antikapitalistischer Proteste unentdeckt. Seit Jahren hält der Trend an, dass rechte Tonträger auch ohne strafrechtlich relevante Texte eingespielt werden.
Gleichwohl sind bekennende Neonazis am Werk und ziehen die Fäden im Hintergrund. Die rechten Labels in Deutschland werden heute zumeist von militanten Neonazis betrieben, was in den frühen achtziger Jahren nicht unbedingt der Fall war. Der mittlerweile verstorbene und in den achtziger Jahren als Betreiber von Rock-O-Rama tätige Herbert Egoldt war zu keiner Zeit in die rechtsextreme Szene eingebunden, er machte »nur« Geld mit Rechtsrock. Ohnehin gab es in den achtziger und frühen neunziger Jahren praktisch nur Funny Sounds (um ihren Betreiber Torsten Lemmer) und Rock-O-Rama (um Herbert Egoldt) als rechte Labels. Die Verbürgerlichung bei gleichzeitiger Radikalisierung ist eine Entwicklung innerhalb der extremen Rechten, die bald auch die NPD erreichte, für die der Rechtsrock im vergangenen Jahrzehnt immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und die sich seit Amtsantritt ihres Parteivorsitzenden Udo Voigt 1996 und dem Drei-Säulen-Konzept (Kampf um die Köpfe, Straße, Parlamente, seit 2004 ist das Konzept um die vierte Säule »Kampf um den organisierten Willen« erweitert worden) dem neonazistischen Flügel öffnete.
Einerseits betritt die NPD heute in Nadelstreifenanzügen die politische Bühne und mimt den netten Nachbarn von nebenan. Andererseits sitzen Radikale in ihren Reihen. Mit Thorsten Heise und Jens Pühse besetzen dann auch erfahrene rechtsextreme Musikhändler und -produzenten neben dem rechtsextremistischen Liedermacher Jörg Hähnel Vorstandsposten. Seit 2004 verteilt die NPD auch schon mal CDs mit rechtsextremer Musik an Schulen. Auf ihrem Parteitag 2006, dem »Bayerntag« in Regensburg, trat dann die bayerische NS-Hatecore-Band Burning Hate auf. Die NPD geriert sich als globalisierungskritisch opponierende Systemoffensive und findet zu ihrer völkisch-nationalistischen und antikapitalistisch-rassis­tischen Ausrichtung die richtigen Töne zum Parteiprogramm.

Antikapitalismus, Globalisierungskritik und Antisemitismus
Antikapitalismus, Globalisierungskritik und Antisemitismus sind der ideologische Kitt der Rechtsextremen. Das gilt sowohl für die neonazistische Musikszene als auch für rechtsextreme Parteien und Gruppierungen. Wer gegen Globalisierung ist, ist gegen die USA und gegen Israel als deren Verbündeter. Wer gegen Israel und die USA ist, behauptet, gegen eine »mammonistische Weltherrschaft« zu sein, und nennt sich Antikapitalist. Zentral für die extreme Rechte ist ein völkischer Antikapitalismus, der seit dem Ende der bipolaren Weltordnung nach 1989 den Kommunismus als ideo­logisches Versatzstück zunehmend ablöste. Darum ist es kaum verwunderlich, dass die extreme Rechte heute auch auf Hard- und Hatecore setzt.
Die Hardcore-Szene mit ihren Dresscodes wie Tarnfarbenhose und martialische Glatze bot von Beginn an ästhetische Anknüpfungspunkte für die Rechte und war zudem ganz im Gegensatz zum US-HipHop nie migrantisch geprägt. Die Interpreten thematisierten auch Umwelt- und Tierschutz, schrieben sich Do-It-Yourself und Antikapitalismus auf die Fahnen, obgleich sie doch selbst in die Verkaufsregale wollten.
Ein Antikapitalismus von rechts ist keineswegs neu. Neu ist, dass antiamerikanische und antikapitalistische Parolen und soziale Themen symbiotisch mit einem Anti-Globalisierungs-Diskurs verschmelzen.
»Ausländer-raus-Parolen« geraten immer mehr in den Hintergrund, angebliche biolo­gische und »rassische« Unterschiede werden zu sozialen Problemen deklariert und zugleich ontologisiert. Neben einer erstarkenden Kapitalismuskritik werden auch Umweltprobleme und der Verzicht auf Drogenkonsum vermehrt thematisiert (ein Teil der Hardcore-Szene lebt »straight edge« und lehnt jeglichen Konsum von Drogen ab). Der Politikwissenschaftler Michael Kohlstruck betont zu Recht, dass sich mittlerweile »postmaterielle Werte« von rechts erkennen ließen. Der Soziologe Andreas Klärner spricht von einer »Nach-68er-Rechten«, die in Teilen antiautoritäre Elemente aufweist. Die extreme Rechte opponiert gegen Multikultur­alismus, vermeidet jedoch typische Rassismen. Sie spricht soziale Themen an und übernimmt linke Strategien, um autoritäre und neofaschistische Implikationen zu kaschieren.

Weitere Militarisierung
Die Etablierung von rechtem Hardcore hängt eng mit einem Imagewandel der Rechtsextremen in den vergangenen Jahren zusammen, der durch das Aufkommen der gewaltbereiten und neonazistischen »Autonomen Nationalisten« seit dem Jahre 2004 verstärkt wurde. In diesem Zusammenhang ist von einer weiteren Militarisierung auszugehen. Auch bestätigt die kürzliche Wiederwahl des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt den radikalen Kurs innerhalb der NPD. Gleichwohl ist die »Modernisierung« der extremen Rechten weder verwunderlich, noch ist die Strategie der Öffentlichkeitswirksamkeit auf den rechten Rand begrenzt: Rechtsextreme nutzen neue Kanäle via Internet und neue Medien, das tun andere Gruppen und die Linke auch. Es boomt auch nicht nur ein brauner Musikmarkt, der mit einer Vielzahl von Bands und Musikrichtungen für Menschenverachtung mit Unterhaltungswert sorgt. Musikstile haben sich generell differenziert, und das An­gebot im Internet ist kaum mehr zu überblicken.
Eine Verharmlosung ist dennoch nicht angebracht. Zwar bedeutet mehr Hardcore nicht gleich mehr Rechtsextremismus in den Köpfen. Umfragen zu Rechtsextremismus kommen seit Jahrzehnten, seit der Sinus-Studie von 1980, auf ein rechtsextremes Potenzial – Schwankungen inbegriffen – von zehn bis 20 Prozent in der Bevölkerung. Gerade durch rechtsextre­me Musik können jedoch bislang nicht-rechte und unpolitische Jugendliche erreicht und Grenzen zum rechten Lager verwischt werden. Die Entwicklung im rechtsex­tremen Spektrum erfordert darum genaues Hinsehen und Hinhören und eine konsequente Auseinandersetzung mit dem Aktionsfeld der extremen Rechten. Davon kann letztlich auch das Urteil über den Versuch der Vereinnahmung des Begriffs Hardcore durch Neonazi Timo Schubert abhängen.