Der deutsch-israelische Dokumentarfilm »Das Herz von Jenin«

Dein ist mein ganzes Herz

Der deutsch-israelische Dokumentarfilm »Das Herz von Jenin« schildert die Geschichte einer ungewöhnlichen Organspende.

Marcus Vetter und Leon Gellers Film »Das Herz von Jenin« ist ein herzzerreißender Dokumentarfilm. Im Kino soll er Emotionen wecken, was ihm gelingt; als Dokumentarfilm muss er aber auch dem Kriterium genügen, die Wahrheit darzustellen, auch dann, wenn Szenen nachgestellt werden, Originalaufnahmen der Ereignisse nur sparsam verwendet werden und wegen des zeitlichen Rahmens niemals »alles« gezeigt werden kann.
Im November 2005 gesellte sich an der »Pferde­kreuzung« in Jenin im Westjordanland der 12jährige Ahmad während eines Schusswechsels zu einer Gruppe palästinensischer Kämpfer. Er schwenkte eine Uzi-Maschinenpistole aus Plastik. Israelische Soldaten gingen kein Risiko ein. Sie schossen aus 300 Metern Entfernung auf den Jungen. Der wurde schwer verletzt ins Krankenhaus von Jenin gebracht.
Ein Onkel aus Umm al-Fachem in Israel ließ seine Beziehungen spielen. Ein israelischer Armee-Helikopter flog Ahmad nach Haifa ins Rambam-Hospital. Jüdische Ärzte versuchten, Ahmad zu retten. Zwei Tage später stellten sie seinen klinischen Tod fest. Vater Ismail Khatib erklärte sich bereit, Ahmads Organe zu spenden. So rettete er das Leben eines drusischen Mädchens, eines Beduinenjungen, einer Tochter ultraorthodoxer Juden und anderer Israelis, die nicht gefilmt werden wollten.
Im Jerusalemer Gedenkzentrum für Me­nachem Begin wurde Vetters Film an einem Freitagabend uraufgeführt. Im vollen Audito­rium gab es stehenden Applaus. Der Film zeigt, wie Ismail Khatib jene Kinder besucht, denen die Organe seines Sohnes das Leben retteten. Fast alle Teilnehmer des Films, der Vater und die Empfänger der Organspenden, waren anwesend. Nur die ultraorthodoxe jüdische Familie nahm nicht teil. Die Veranstalter hatten die Uraufführung auf den Sabbat gelegt: eine anmaßende Rücksichtslosigkeit, zumal sonst keine Juden in dem Film vorkommen.
Der Film ist authentisch und emotional auf­geladen. Zwischen nachgestellten Szenen und Interviews mit den Betroffenen bringt Vetter auch Rückblenden auf Terroranschläge und Szenen des israelischen Einmarschs in palästinensische Städte.
Der Film wirkt ausgewogen, aber er ist es nicht. Trotz der gewollten Friedensbotschaft schürt er Hass auf die Juden und subtil auch Antisemitismus beim deutschen Publikum.
Zu Bildern der Verwüstung im Flüchtlingslager Jenin werden 59 tote Palästinenser erwähnt. Die ebenso getöteten 23 israelischen Soldaten werden unterschlagen. Offiziell bestätigt sind 52 palästinensische Tote, zwei Drittel davon Kämpfer. Aber immer noch geht das Gerücht um, die Israelis hätten in Jenin ein »Massaker« an Zivilisten verübt.
Die einzigen im Film gezeigten Juden sind die Levinsons, eine aus Amerika eingewanderte ultraorthodoxe Familie. Ihre Tochter Menucha erhielt eine Organspende. Der Vater macht üble rassistische Äußerungen über Araber, für die er sich später entschuldigt. Ohne jeden Kontext wird ein ausgeflippter, auf der Straße tanzender orthodoxer Jude gezeigt.
Weder die Piloten des Helikopters, die Ahmad nach Haifa ins Hospital flogen, noch die jüdischen Ärzte, die Ahmads Leben retten wollten, kommen vor. Juden sind sonst nur Soldaten oder vermeintliche ›Nudisten‹, die am Toten Meer eine Kur gegen Psoriasis machen. Die meisten dieser nackt badenden »Juden« sind freilich deutsche Kassenpatienten.
Nach der Uraufführung behauptete Vetter, dass außer den rassistischen Levinsons keine »normalen« Israelis mit der Geschichte befasst gewesen seien. Das ist falsch. Zwar hat der arabische Krankenpfleger den Vater überzeugt, die Organe seines Sohnes zu spenden. Doch ohne die jüdischen Ärzte hätte es keine Transplantationen gegeben.
Vetter hat zu Recht Ismail Khatib zum Helden gemacht. Doch warum unterschlägt er Sprüche der Mutter Abla, die ihre Zustimmung zur Organspende als »Rache« und »palästinensischen Widerstand« bezeichnete?
Marcus Vetter erwiderte auf die Kritik:
»Lieber Herr Sahm,
Vorweg. Als Dokumentarfilmer kann ich grundsätzlich nur mit dem Material arbeiten, das ich vor Ort drehe bzw. das ich als Archivmaterial bekommen kann. Da dieser Film in die Kinos kommt, haben wir uns außerdem entschieden, diesen Film ohne journalistischen Kommentar zu realisieren. Außerdem wollten wir nur mit Protagonisten drehen, die in ihrer Handlung Wesentliches zu dieser Geschichte beigetragen haben. Das sind in meinen Augen die Empfängerfamilien, der Krankenpfleger Raymund, der Ismael gefragt hat, die Organe zu spenden, der Mufti und Zbeidy, die Ismaels Entscheidung zugestimmt haben, und Ismael und seine Familie selbst. Die Ärzte, die die Organtransplantation durchgeführt haben, aber nicht in erster Linie die Entscheidung Ismaels forciert haben, entschieden wir uns aus og. Gründen nicht als Protagonisten in den Film zu nehmen. Wir haben allerdings in der Vorrecherche mit ihnen gesprochen, um die Geschichte zu verstehen. Im Übrigen sind all diese Entscheidungen mit Leon Geller und unserer Cutterin gemeinsam getroffen worden.«
Es darf bezweifelt werden, dass die Ärzte und die Helikopterpiloten tatsächlich so irrelevant waren, wie Vetter behauptet, während dem arabischen Ambulanzfahrer, der (nachgestellt) die Leiche des Jungen nach Jenin zurückbringt, viele Minuten gewidmet werden.
Vetters Rechtfertigung, alle Entscheidungen im Einklang mit zwei Juden/Israelis getroffen zu haben, Leon Geller und der Cutterin, erweckt ungute Gefühle. Die Masche, Juden oder Israelis als Alibi zu benutzen, zählt zu den klassischen Methoden von Antisemiten oder einschlägiger Israel-Kritiker. Letztlich war es Vetter, der verantwortet, dass in dem Film nur Araber gut und moralisch sind, während die Juden nur Rassisten, unbeteiligte Verrückte, böse Soldaten oder »Nudisten« sind.
Weiter schreibt Vetter: »Ich kann Ihre Einwände und ihren Ärger verstehen, aber wir sind der Geschichte gefolgt. Ich denke auch, dass sich ein besseres Bild des Konflikts für den Zuschauer durch eine Vielzahl von Dokumentarfilmen ergibt und erst dadurch ein ›ausgewogeneres‹ Bild entstehen kann.«
Es geht nicht um den ganzen Konflikt, sondern allein um die Geschichte Ahmads und der Organspende. Auch ohne »journalistischen Kommentar« hätte Vetter das ausgewogener darstellen können. Die Tatsache, dass die israelische Armee mit dem Helikopterflug und die jüdischen Ärzte sich erst einmal bemühten, das Leben Ahmads zu retten, ist genauso eine Friedensbotschaft wie die Bereitschaft des Vaters zur Organspende, um arabischen, drusischen und jüdischen Israelis das Leben zu retten.
Vetter erklärt in seiner E-Mail noch, dass nicht er, sondern die Veranstalter den Termin für die Filmvorstellung festgelegt hätten und dass die Levinsons deshalb nicht teilgenommen hätten.
»Ich hoffe, ich konnte mit diesen Antworten wenigstens einige Ihrer Bedenken ausräumen. Ich kann Sie wie gesagt verstehen. Ich möchte abschließend sagen, dass wir alles getan haben, um die Levinsons als Menschen darzustellen – trotz der ungeschickten Aussage, die er getätigt hat, als während der Transplantation plötzlich Journalisten auftauchten und ihm das Mikro unter die Nase hielten.
Herzliche Grüße,
Ihr Marcus Vetter«
Da kann man eigentlich nur gratulieren, dass Vetter sich wenigstens »bemüht« hat, den ein­zigen Juden in seinem hauptsächlich in Israel spielenden Film »als Menschen« darzustellen.

»Das Herz von Jenin« (Israel/Deutschland 2008).
Dokumentarfilm von Marcus Vetter und Leon Geller. Start: 7. Mai