Der Prozess gegen die »Gang der Barbaren« hat begonnen

Barbar und Superstar

Drei Jahre nach der Entführung, Misshandlung und Ermordung des französischen Juden Ilan Halimi steht die »Gang der Barbaren« vor Gericht. Am ersten Verhandlungstag sorgten die Provokationen des Bandenanführers für Schlagzeilen. Dabei droht die antisemitische Dimension der Tat unzureichend thematisiert zu werden.

Das selbsternannte »Gehirn der Barbaren«, Youssouf Fofana, seine mutmaßlichen Kidnappinghelfer, Gefangenenwächter und die weiblichen »Lockvögel«, zusammen sitzen sie auf der Anklagebank. 27 Mitgliedern der »Gang der Barbaren« wird seit Mittwoch der vergangenen Woche im Pariser Justizpalast der Prozess gemacht. Angeklagt sind sie der Ermordung des 23jährigen französischen Juden Ilan Halimi im Februar 2006, der Beihilfe oder Komplizenschaft. Die Entführung, die drei Wochen währende Geiselnahme, die Folterung und schließlich die Tötung des jungen Mannes zählen zu den mit Abstand brutalsten Verbrechen der vergangenen Jahre in Frankreich.
Nach anfänglichem Zögern der Polizei und Justizorgane wird die antisemitische Dimension der Tat inzwischen von niemandem mehr ernsthaft bestritten. Die Misshandlung und Tötung des Opfers »aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer so genannten Rasse, Herkunft oder Religion« ist Bestandteil der Anklageschrift und wirkt als die Tat erschwerender Umstand.
Dabei tritt der antisemitische Beweggrund allerdings vermischt mit anderen Tatmotiven auf, an deren erster Stelle die erhoffte Erpressung einer hohen Geldsumme steht. Vor der Geiselnahme des jungen Ilan Halimi hatte die Bande um Fofana bereits seit mehreren Jahren versucht, ein Opfer zu kidnappen oder aber Honoratioren unter fingierten Terrordrohungen zu erpressen. Bis dahin war jedoch keiner ihrer Pläne aufgegangen. Ein Viertel bis ein Drittel ihrer potenziellen Opfer waren Juden, aber auch ein schwarzer Afrikaner und einige »Mehrheitsfranzosen« waren darunter.
Youssouf Fofana zeigte sich gegenüber seinen Bandenkumpanen davon überzeugt, dass ein jüdisches Opfer von besonderem Interesse sei: Denn Juden »haben Geld und sind unter sich solidarisch«. Im Notfall, höhnte Fofana während der Ent­führung gegenüber Unterhändlern der französischen Polizei, könnten sie »in ihren Syna­gogen betteln«. Gegenüber dem jungen Mädchen, das Ilan Halimi im Januar 2006 als »Lockvogel« in die Falle lotste – und dem Fofana 5 000 Euro Belohnung versprochen hatte –, soll er ferner geäußert haben, die Juden seien »die Könige, da sie das Geld vom Staat ausgeben können«, während er als Schwarzer »als Sklave betrachtet« werde.
So hat der Soziologe Michel Wievirorka zweifellos Recht, der in der Presse mit den Worten zitiert wird: »In diesem extremen und seltenen Mord kommt das Habgiermotiv zuerst, der Antisemitismus überdeterminiert die Tat. Am Ausgangspunkt geht es nicht darum, primär Hass auf Juden Ausdruck zu verleihen. Aber das antisemitische Stereo­typ«, das darin besteht, Juden und Geld, Juden und die Finanzwelt miteinander zu assoziieren, sei offenkundig.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit von den Verhandlungen sorgte für nicht wenige Polemiken. Außenstehende Personen mit Ausnahme der Familienangehörigen der Anklagten und des Opfers können an den weiteren Prozesstagen bis zur Verkündung des Urteils nicht teilnehmen. Die Verhandlungen sind bis zum 10. Juli angesetzt.
Vordergründig erklärt sich die Nichtzulassung der Öffentlichkeit dadurch, dass zwei der Angeklagten zum Tatzeitpunkt noch minderjährig waren. Es handelt sich einerseits um das 17jährige Mädchen, das von Fofana als »Lockvogel« eingesetzt wurde, um das Opfer durch sexuelle Versprechen in die Falle zu ziehen. Auch »Zigo«, einer der Bewacher der Geisel, war zum Tatzeitpunkt minderjährig. Er unterschied sich von anderen, die – sofern die der Polizei vorliegenden Aussagen zutreffen – im Laufe der Tage eher Mitleid mit dem Gefangenen empfunden haben sollen, durch seine Brutalität gegenüber Halimi, den er im Laufe der Gefangenschaft immer wieder misshandelte. Diese beiden Angeklagten sind inzwischen volljährig, ihre Anwälte hätten die Aufhebung der Jugendschutzmaßnahme beantragen können, wodurch die Öffentlichkeit doch noch zugelassen worden wäre. Ein solcher Antrag blieb aber aus.
Über die wahren Beweggründe des Gerichts wurde in den vergangenen Tagen viel spekuliert. Wahrscheinlich ist, dass die Vorsitzende Richterin den Ausfällen und Provokationen des Hauptangeklagten keine zu starke Publizität verschaffen wollte. Fofana hat nach vorliegenden Berichten am ersten Prozesstag versucht, Geschworene direkt einzuschüchtern, und ihnen damit gedroht, ihm nahe stehende Personen könnten sie identifizieren und es »ihnen heimzahlen«. Zudem provozierte er das Gericht, indem er auf die Frage nach seinem Geburtsort und -datum antwortete: »In Saint-Geneviève-des-Bois am 13. Februar 2006.« Das sind Ort und Datum, an denen der sterbende Ilan Halimi aufgefunden wurde. Nach der Anklageschrift hat sich folgendes zugetragen: Halimi war von Fofana frühmorgens halbtot in einem Waldstück ausgesetzt worden, nachdem er ihn im Kofferraum eines Autos aus seinem Versteck transportiert, mit einer brennbaren Flüssigkeit überschüttet und angezündet und ihm zwei Messerstiche zugefügt hatte. Halimi verstarb auf der Fahrt ins Krankenhaus. Die meisten Mitglieder der Bande hatten begonnen, Fofana den Rücken zu kehren, nachdem das versprochene Lösegeld ausgeblieben war, und sie forderten von ihm, der Sache ein Ende setzen. Fofana tat dies auf seine Art und rechtfertigte die Ermordung der Geisel damit, dass Halimi ihn durch seine Augenbinde hindurch habe sehen können.
Fofana provozierte das Gericht auch noch durch andere Auftritte. Als er vom Gericht aufgefordert wurde, seinen Namen zu nennen und zu buchstabieren, zählte er die Buchstaben auf: A – R – A – B – S, angeblich als Kürzel für »Afrikaner, Revolte, Armee der Barbaren, Salafisten«. Fofana ist nicht arabischer Herkunft, sondern stammt aus der westafrikanischen Elfenbeinküste. Der 28jährige, der von Gutachtern des Gerichts für zurechnungsfähig erklärt, dem aber psychopathische Züge attestiert wurden, spielt seit einiger Zeit in Haft mit Bildern und Symbolen etwa des jihadistischen Terrorismus und ließ sich von Nahestehenden zeitweise als »Ossama« bezeichnen. Aus Zeugenaussagen aus seiner Zeit vor der Haft ergibt sich insgesamt das Bild eines jungen Mannes, der sich von Symbolen extremer Gewalt faszinieren lässt. So sei er, nach Beschreibungen von Angehörigen, sowohl von Folterbildern aus dem unter US-Aufsicht stehenden Gefängnis Abu Ghraib im Irak als auch von Aktionen des Terrornetzwerks al-Qaida angetan gewesen.
Youssouf Fofana hat insofern – ob mit oder ohne Provokationen – nicht viel zu verlieren, jedes andere Urteil als »Lebenslänglich« erscheint für ihn unmöglich. Gegenüber einem seiner Anwälte zeigte Fofana Interesse an der Idee, ein Buch oder einen Film über sein »Wirken« zu produzieren. Er wolle dadurch Geld beschaffen und es im Ausland anlegen, für den Tag, in dem er nach einigen Jahrzehnten aus der Haft kommen würde. Fofana hat bislang über 30 Strafverteidiger erst genommen und oft schnell wieder verstoßen. Derzeit verteidigt ihn Isabelle Coutant-Peyre, die den aus Venezuela stammenden internationalen Terroristen Illich Ramirez Sanchez alias Carlos im Gefängnis heiratete, nachdem er in Frankreich 1998 zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.

Der nichtöffentliche Charakter des Prozesses ist von mehreren Seiten scharf kritisiert worden. So wollte die Mutter des Ermordeten, Ruth Halimi, einen öffentlichen Prozess. Sie beschuldigte die Behörden, die antisemitische Dimension des Verbrechens zunächst vernachlässigt zu haben, und spricht von Ermittlungspannen – gegen die Auffassung ihres Mannes, der an der Seite von Unterhändlern der Polizei mit den Erpressern über ihre Lösegeldforderungen verhandelte. Zur Übergabe des Lösegelds – gefordert wurden nach mehrfach abweichenden Zahlen am Ende 450 000 Euro – kam es jedoch nie. Die Bande zeigte sich zwar in mancher Hinsicht ziemlich professionell, stellte sich dann aber doch an anderer Stelle sehr dilettantisch an. Youssouf Fofana hatte davon geträumt, das perfekte Verbrechen zu begehen, indem er sich das Lösegeld über die internationale Bank Western Union in die Elfenbeinküste überweisen lassen und dort bleiben würde, um dem Zugriff der französischen Polizei zu entgehen. Das Geld traf jedoch nicht ein, und die Behörden des Landes verhafteten ihn nach einem französischen Auslieferungsbegehrens unverzüglich.
Am ersten Verhandlungstag kam es zu Zwischenfällen in den Fluren des Gerichtssaals, da Anhänger der rechtsextremen Jüdischen Verteidigungsliga im Justizpalast demonstrierten. Sie griffen auch die Mutter Youssouf Fofanas an. Auf der anderen Seite veröffentlichte der Anführer einer schwarzen Rassisten- und Antisemitengruppe, Kémi Séba, eine Videobotschaft, in der er mit Vergeltungsaktionen drohte, falls Fofana »keinen fairen Prozess bekommt«. Allerdings war er vorsichtig genug, sich von der Misshandlung und Ermordung Ilan Halimis, die er als »Barbarei, die keinem menschlichen Wesen zugefügt werden darf«, hörbar zu distanzieren.
Antisemiten von anderem Schlage meldeten sich ebenfalls zu Wort: Auf der Homepage Nationspresse.info, die dem rechtsextremen Front National nahe steht, wurde der Prozess als »Stelldichein« bezeichnet »von allem, was der Raum Paris an zionistischen Aktivisten von Rang und Namen zählt«. Die Rechtsextremen bemängeln: »Statt eines Prozesses über die Kriminalität, die aus der Einwanderung erwächst, versuchen jüdische und nicht-jüdische Prominente aus diesem Verbrechen eine Antisemitismus-Affäre zu machen.«
Bis zur Urteilsverkündung wird es nun wohl eher still um den Prozess bleiben. Danach wird sich herausstellen, wie hoch die individuelle Schuld der einzelnen Helfer und Helfershelfer Youssouf Fofanas bewertet wird. Dass das »Gehirn der Barbaren« lebenslänglich erhält, gilt als ausgemachte Sache. Jedoch könnte der Sozialwissenschaftler Didier Lapeyronnie Recht behalten, der ein Risiko darin erblickt, Fofana extremes und provozierendes Verhalten könne den Zusammenhang zwischen antisemitischen Stereotypen und der Tat zudecken.