Mixed Martial Arts in Schöneberg

Knie an den Schädel

Der Kampfsport »Mixed Martial Arts« erobert gerade die Welt. In Berlin gibt es schon lange eine Szene, die immer wieder mit einem schlechten Ruf zu kämpfen hat.
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Mitten in Schöneberg schauen 150 Menschen zu, wie ein Mann auf dem Boden liegt und geschlagen wird. Sein Geg­ner hockt ihm auf der Brust. Mit Knien und linker Hand blockiert er die Arme des Liegenden. Die rechte, mit einem dünnen Handschuh umhüllte Faust schlägt zu. Auf die Schulter. Auf die Brust. Ins Gesicht. Mindestens zehn Mal. »Ruhig bleiben!« ruft ein Mann dem Liegenden zu. »Mit rechts auf links greifen!«
Vielleicht ist es an der Zeit zu erwähnen, dass die Zuschauer sich im »MMA Berlin« in der Crelle­straße befinden, mit 350 Mitgliedern eine der größten Kampfsportschulen der Stadt. Dass der Mann in der Ecke ein Trainer ist und die beiden Kämpfer in einem Ring ihrem Sport nachgehen. Ihre Disziplin heißt »Mixed Martial Arts« (MMA). MMA gilt derzeit als härtester Kampfsport. Neben Faustschlägen sind auch Tritte, Würfe und Hebelgriffe gestattet. Auf dem Rücken zu liegen und aus kürzester Distanz ins Gesicht geschlagen zu werden, nennt man in der Fachsprache »Ground and Pound«-Position. Für die Athleten ist das noch lange keine Katastrophe.
Auch nicht in Schöneberg. Plötzlich schafft es der Mann unten tatsächlich, den linken Arm seines Kontrahenten zu erfassen, wie sein Trainer es ihm zugerufen hat. Mit einer jähen Bewegung dreht er ihn auf den Rücken. Der eben noch wie der sichere Sieger aussehende Kämpfer klopft zum Zeichen der Aufgabe auf den Boden. Die beiden Männer erheben sich. Lachend. Klopfen sich gegenseitig auf den Rücken und danken sich für den schönen Kampf.
MMA boomt seit Jahren. Im Jahr 2006 setzte die Sportart im US-amerikanischen Pay-TV erstmals mehr Geld um als das Boxen. In einer Welt, die politisch wie wirtschaftlich immer unübersichtlicher wirkt, schien es nur ein logisches Abbild, dass auch im Ring kaum noch Regeln gelten. DSF präsentiert 20 Mal jährlich Übertragungen der US-Variante der MMA. Die UFC (»Ultimate Fighting Championship«) wirkt bereits auf den ersten Blick viel härter als das, was bei den Amateuren in Schöneberg geschieht. Denn nach dem UFC-Regelwerk wird in einem achteckigen Ring gekämpft, der mit Maschendraht umzäunt ist.
Nach der Vorbereitung per Fernsehbild versucht die UFC gerade, live die Ringe der Welt zu erobern. Am 13. Juni gibt es die erste Veranstaltung in Köln.
Der Grundgedanke der MMA lautet schlicht: »Wer ist der beste Kämpfer, wenn keine Regeln gelten?« Ob Ringer oder Boxer stärker sind, wurde bereits zur Zeit der antiken olympischen Spiele gemutmaßt. Also kam 648 v. Chr. das »Pankration« ins Programm. Der Allkampf, den die griechische Mythologie zurückführt auf den Kampf zwischen Herkules und Theseus. Die Kämpfe dauerten bis zur Aufgabe eines der Athleten. Oder bis zu dessen Tod. Die Sieger gehörten zu den bestbezahlten und begehrtesten Sportlern ihrer Zeit.
Der Durchbruch der heutigen MMA beginnt in den frühen neunziger Jahren. Der US-amerikanische Regisseur John Milius (»Conan, der Barbar«) wollte die alte Frage nach dem besten aller Kämpfer neu beantworten. Deshalb lud er Vertreter verschiedener Disziplinen (u.a. Karate, Jiu-Jitsu, Boxen, Kickboxen und Sumo) zum »War of the Worlds«. Nur Beißen sowie Stiche in die Augen waren verboten. Beim ersten Kampfabend am 12. November 1993 in Denver flogen, so will es die Mythenbildung, Blut und Zähne bis in die ersten Reihen. Senator John McCain, der später Gegenkandidat von Barack Obama werden sollte, sprach von »menschlichem Hahnenkampf«. In den meisten US-Bundesstaaten erhielt die UFC von den Athletic Commissions keine Zulassung mehr, die Übertragungen im Kabel-TV blieben aus. Die UFC war arm und bedeutungslos, als sie 2001 von den Brüdern Frank und Lorenzo Fertitta gekauft wurde, zwei Glücksspielunternehmern aus Las Vegas. Sie machten die MMA binnen weniger Jahre populär. Gewichtsklassen wurden eingeführt, gefährliche Techniken wie das »Einführen von Fingern in Körperöffnungen« ausdrücklich verboten. Zudem führt Doping automatisch zu langen Sperren. Doch die Klischees der frühen Jahre blieben: MMA-Kämpfer seien vor allem dumm und brutal. Deutsche Kritiker ergänzen die Einschätzung gern um das Wort »rechtsradikal«. Seitdem vor allem in Ostdeutschland bei MMA-Kampfabenden Nazi-Symbole zu sehen waren, ist die gesamte Sportart in Misskredit gebracht.
Dumm, brutal und rechtsradikal ist der nächste Kämpfer in der Crellestraße garantiert nicht. Sven Holländer, 30, war vor seinem Medizinstudium Physiotherapeut und absolviert gerade sein praktisches Jahr im Klinikum Neukölln. Im Gegensatz zu den anderen Kämpfern und Kämpferinnen stand er schon mehrfach als Profi im Ring. Von MMA leben kann in Deutschland allerdings niemand. »Bei einem Kampf habe ich 50 Euro bekommen«, sagt Holländer. Profilizenzen für MMA gibt es hierzulande auch nicht. Ob man nach Amateur- oder Profiregeln kämpft, ist eine Frage der sportlichen Herausforderung. Amateure kämpfen zwei Runden zu je fünf Minuten, Profis zuvor noch eine dritte, zehnminütige Runde.
In der ersten Runde setzt Sven Holländer zu einem Tritt zum Kopf an. Ein Geräusch wie ein Peitschenknall ist bis in die Zuschauerreihen zu hören. Eine Sehne ist gerissen. Holländer bricht zusammen und muss nach kurzer Untersuchung auf einer Bahre abtransportiert werden. Zwar folgen an diesem Nachmittag noch drei Kämpfe, doch die Stimmung bleibt gedrückt.
Auch bei Wolf Menninger. Der 29jährige ist Besitzer der Sportschule und seit Kindertagen mit dem Verletzten befreundet. »Erst sagen mir kurzfristig zwei Kämpfer ab, dann passiert das mit Sven.« Zu allem Überfluss musste heute auch noch seine Oma Katharina zuhause bleiben, weil sie sich erkältet hat. Die alte Dame ist mittlerweile 88 Jahre alt, lässt es sich aber nicht nehmen, bei jedem Kampfabend in der ersten Reihe zu sitzen und die Kämpfer frenetisch anzufeuern.
Menninger begann mit dem Kampfsport, als er sieben Jahre alt war. Mit 15 schon begann er zu unterrichten. Vor einigen Jahren eröffnete er seine eigene Kampfschule, die ein überwiegend junges, studentisches Publikum anzieht. Von seiner Zukunft hat Menninger klare Vorstellungen: »Ich wollte nie Weltmeister werden. Lieber möchte ich auch mit 80 noch in der Schule stehen.«
Spricht man ihn auf den UFC-Boom in den USA und die Bemühungen an, auch in Europa Fuß zu fassen, verzieht er allerdings das Gesicht. »Für Deutschland ist es für die UFC zu früh.« Besonders ärgert ihn, dass die Profis aus Übersee gar nicht erst den Versuch machen, mit den Amateuren aus Europa in Kontakt zu kommen. Als er hörte, dass der Kampfabend für Köln geplant war, schrieb er an die Zentrale in Las Vegas, ob er mit Kontakten oder logistischer Unterstützung helfen könnte. »Aber die haben mir nicht mal geantwortet.«
Marek Lieberberg heißt der Mann, der die Profis nach Köln holt. Eigentlich betreut seine Konzertagentur Tourneen von Künstlern wie Depeche Mode und Bruce Springsteen. Auf die UFC wurde er zunächst im amerikanischen Fernsehen aufmerksam. Als er bei einem Kampfabend in Las Vegas die Gebrüder Fertitta kennen lernte, war der Plan bald gefasst. »Ich glaube, dass UFC die Menschen begeistern wird«, sagt Lieberberg mit seiner fröhlichen, aufgekratzten Stimme.
Ihm ist klar, dass die Amateurbasis hierzulande nicht unbedingt begeistert ist von der Invasion der Profis. »Wir legen jetzt erst mal das Augenmerk auf Köln. Dass für weitere Veranstaltungen ein Local Hero aufgebaut werden soll und wir dafür auch bei den Amateuren schauen werden, ist doch klar.«
Konfrontiert mit den Vorwürfen, dass bei MMA-Veranstaltungen vor allem eine Ansammlung dummer rechter Schläger am Ring säße, ändert sich die Stimme von Lieberberg, dessen jüdische Eltern wie durch ein Wunder mehrere KZ überlebten. Sie wird hart, fast wütend. Schon vor Jahren organisierte er Anti-Nazi-Konzerte wie das »Heute die, morgen Du« in Frankfurt. »Wenn mir jemand unterstellt, ich würde versuchen, die ultrarechte Szene zu mobilisieren, fühle ich mich persönlich diffamiert und beleidigt.«
Sven Holländer humpelt mittlerweile an zwei Krücken durch seine Wohnung in Kreuzberg. Die Verletzung war schlimmer als gedacht: Das vordere Kreuzband und der Innenmeniskus sind gerissen. Ein Kunststoffband muss eingesetzt werden; für mindestens ein halbes Jahr wird er nicht trainieren können. Mit einiger Mühe setzt er sich auf einen Küchenstuhl. Eine Katastrophe ist die Verletzung für ihn nicht. In nächster Zeit hätte er sich ohnehin stärker auf seine Mediziner-Karriere kümmern müssen. Nach dem praktischen Jahr möchte er Anästhesist oder Schmerz­therapeut werden. Seine Situation betrachtet er so, wie er auch seine Gegner abschätzt. »Es geht darum, Akzeptanz zu üben. Man muss in der Lage sein, sich geistig auf anderes einzustellen.« Wut oder Hass bringen gar nichts.
Beim nächsten Kampftag in Schöneberg will Sven Holländer auf jeden Fall wieder am Ring sitzen.