Lauter Tote

In Judith Hermanns Kurzgeschichtenband »Alice« wird viel gestorben. Alle fünf Erzählungen behandeln das schwierige Thema Abschiednehmen, und alle Geschehnisse werden aus der Perspektive der Protagonistin Alice geschildert. Es wird gestorben und zurückgeblieben, und die Zurückbleibenden leben wie eingesperrt an einem Zwischenort, wo die Zeit stillzustehen scheint.
Doch trotz des schweren Stoffs: Wenn Alice zum Beispiel einen Sterbenskranken anschaut, der »sich dem Licht zugewandt hatte, dem grauen und doch hellen Tag, wie eine Pflanze, seinen Körper, seinen Kopf, seine Arme und Hände dem Fenster zugewandt«, bannen ihre genauen Beobachtungen und die lakonischen Sätze den Schrecken.
So beobachtet Alice in der Geschichte »Conrad«, in der Judith Hermann den Tod des Autoren Reinhard Baumgart behandelt, einen Lichtfleck im Zimmer des Verstorbenen, der zu Lebzeiten urplötzlich mit Fieber ins Krankenhaus eingeliefert wurde. »Er hatte damals das gleiche gesehen wie Alice jetzt, hinter dieser simplen Tatsache schien sich etwas Ungeheuerliches zu verbergen«, schreibt die Autorin, deren Prosa etwas Altmodisches und Anrührendes anhaftet.
Judith Hermann wurde 1970 in Berlin geboren. 1998 erschien ihr erstes Buch »Sommerhaus, später«, 2003 erschien der Erzählungsband »Nichts als Gespenster«. Einzelne dieser Geschichten wurden 2007 für das Kino verfilmt. Judith Hermann schreibt, als gäbe es kein Internet und keine Finanzkrise.

Judith Hermann: Alice. Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 2009, 192 Seiten, 18,95 Euro