Der Europa-Wahlkampf in Italien

Die Linke verpasst die Showtime

Berlusconi möchte vor allem wohlriechende Frauen mit schönen Gesichtern im Europa-Parlament sitzen sehen. Die linke Opposition ist gespalten und muss befürchten, erneut an der Sperrklausel zu scheitern.

Gewählt wird, wer sexy ist. Junge Frauen, die auf den feenhaften Namen Velina hören, haben deshalb in Italien bei der Vergabe der Listenplätze für die Wahlen zum Europäischen Parlament gute Chancen. »Velina« bedeutet wörtlich »Seidenpapier« und steht im journalistischen Jargon für ein Gerücht. Da seit einigen Jahren in einer sehr erfolgreichen Comedy-Sendung des Privatfernsehens die satirischen Nachrichten von leichtbekleideten Tänzerinnen übermittelt werden, bezieht sich der Name auf junge Showgirls.
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat eine Vorliebe für »Mädchen, die diese Arbeit machen, um sich zu emanzipieren«. Er achtet deshalb nicht erst seit diesem Frühjahr darauf, dass auf der Wahlliste seiner Partei immer auch einige die­ser »neuen, frischen Gesichter« auftauchen. Sie sind »wunderschön, aber auch sehr zuverlässig«, der Chef kann davon ausgehen, dass sie »zu jeder Abstimmung Präsenz zeigen«. Noch wichtiger als die Kenntnis der parlamentarischen Spielregeln ist jedoch, dass sie »nicht so übelriechend und schlecht gekleidet sind wie gewisse Persönlichkeiten, die für gewisse andere Parteien im Parlament sitzen«.
Diese Anspielung Berlusconis gilt der Demokra­tischen Partei. Doch der Vorwurf ist ungerecht, denn auch die Demokraten präsentieren bekannte Fernsehgesichter. Da sie allerdings das weibliche Personal schon zur vorigen Legislaturperiode ins Europa-Parlament geschickt haben, bleibt ihnen für dieses Mal nur der Sprecher der wichtigs­ten Nachrichtensendung der staatlichen Fernsehanstalt RAI. Der Starfotograf Oliviero Toscani gibt der Opposition jedoch kaum eine Chance, ihre Kan­didaten hätten eine »traurige Ausstrahlung«, sie seien viel zu »pfäffisch«, also überhaupt nicht sexy.
Ihr unattraktives Äußeres können die Demokra­ten auch nicht durch ein klares politisches Profil ausgleichen. Die Partei aus ehemaligen Linken und ehemaligen Christdemokraten weiß nicht recht, welcher politischen Fraktion sie sich im Europa-Parlament zuordnen will. Um parteiinternen Streit zu vermeiden, hält sie sich deshalb im Wahl­kampf mit inhaltlichen Aussagen zurück. Die Hoffnung, dass die von Veronica Lario Berlusconi in einem offenen Brief an die linksliberale Tageszeitung Repubblica angekündigte Ehescheidung den Ministerpräsidenten Stimmen kosten könnte und wenigstens einige Katholiken zu den Demokraten überlaufen, scheint sich nicht zu erfüllen. Die Popularität Berlusconis ist ungebrochen, Klatsch ist sexy.

Abseits von diesem Spektakel fristet die radikale Linke ein Schattendasein. Nachdem sie im Frühjahr vorigen Jahres den Einzug ins italienische Par­lament verpasst hatte, war sie in eine Schockstarre verfallen. Das Regenbogenbündnis löste sich auf, Rifondazione Comunista verlor sich in monatelangen internen Auseinandersetzungen, bis sich eine Gruppe um Nicki Vendola zu Beginn des Jahres endlich offiziell abspaltete.
Gabriele Polo, der Chefredakteur der unabhängigen linken Tageszeitung il manifesto, schlug Ende Januar in einem Editorial vor, die Linke solle für die Europa-Wahl erst gar nicht kandidieren, es sei besser, eine Wahlrunde zu überspringen, als ein weiteres Debakel zu erleben. Der Vorschlag wurde als leichtfertige Provokation zurückgewiesen. Stattdessen riefen namhafte Altlinke wie Rossana Rossanda oder Pietro Ingrao dazu auf, eine Einheitsliste aufzustellen, auf der nur unabhängige Linke aus der Zivilgesellschaft, nicht aber die Parteivorsitzenden der unzähligen linken Gruppierungen kandidieren sollten. Obwohl für die Liste innerhalb kurzer Zeit über die linke Tagespresse und einschlägige Internetforen Hun­derte von Unterschriften gesammelt wurden, konnte sich der Vorschlag nicht durchsetzen. Seit März war klar, dass auf Seiten der radikaleren Linken zwei Formationen um den Einzug ins Europa-Parlament kämpfen werden: die »Sinistra e Libertà« (SL) und die »Lista anticapitalista« (LA).
Das Bündnis Linke und Freiheit entstand um die Gruppe derjenigen, die zusammen mit Vendola Rifondazione verlassen hatten. Gemeinsam mit den Grünen und verschiedenen sozialistischen Splitterparteien soll eine moderne und plurale linke Organisation gegründet werden. Es handelt sich also bei der SL nicht um einen pragmatischen Zusammenschluss anlässlich der Europa-Wahlen, sondern um eine Gruppierung, die in realpolitischer Absicht eine »nützliche« Linke kons­truieren will, die langfristig in der Lage sein soll, die Vorherrschaft der Rechten zu brechen. Des­halb schließt die SL eine weitere Koalition mit den Demokraten nicht aus. Sie nimmt größere interne Kohärenz im Vergleich zum gescheiterten Regenbogenbündnis für sich in Anspruch, da die Trennung von den Altkommunisten nun eindeutig sei.

Auch die Antikapitalistische Liste preist ein neugewonnenes Zusammengehörigkeitsgefühl als Wert an sich. Dabei entstand der Zusammenschluss der Rifondazione Comunista unter ihrem neuen Vorsitzenden Paolo Ferrero und der kleinen Partei der Italienischen Kommunisten nur an­lässlich der Europa-Wahlen. Ob dem Wahlbündnis langfristig auch die Wiedervereinigung der bei­den kommunistischen Parteien folgt, bleibt unklar. Die Liste fordert mit einem aufmun­ternden »Kopf hoch« dazu auf, die kommunistische »Identität« zu verteidigen. Auf den Plakaten prangt über jedem stolz erhobenen Kopf das alte Parteiemblem mit Hammer und Sichel. Für die LA ist ein Bündnis mit den Linksliberalen vorerst nicht mehr vorstellbar, sie bekennt sich zu ihrer Rolle in der Opposition.
Kurios ist in diesem Zusammenhang, dass die italienischen Kommunisten in der Europäischen Linken (EL) nun von Ferrero vertreten werden. Die EL war einst von Fausto Bertinotti ins Leben gerufen und dann vor allem von jenen unterstützt worden, die inzwischen aus der Rifondazione ausgetreten sind. Die einzigen polemischen Spitzen, die sich die beiden linken Formationen im Wahlkampf bisher erlauben, gelten genau diesem Thema. Ferrero betont die eindeutige Zuordnung seiner Partei zur Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken (GUE) und wirft der SL vor, die Sozialisten in ihren Reihen hätten zusammen mit der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion die neoliberale Europa-Politik der vergangenen Jahrzehnte mitgetragen.
Tatsächlich ist die SL zwar kritisch, doch für ita­lienische radikale Linke ungewohnt europa­freundlich. Claudio Fava, der für die sozialistische Linke derzeit im Europa-Parlament sitzt, verteidigt die neue Partei. Angesichts der rechten Hege­monie gelte es in Italien, erst einmal eine starke Linke zu etablieren, um hinsichtlich der Bildungs- und Migrationspolitik sowie einiger zivilrechtlicher Regelungen wenigstens die europäischen Standards zu garantieren.
Ansonsten unterscheiden sich die Listen kaum voneinander. Beide verzichten auf glamouröse Fernsehsternchen, nicht aber auf Ikonen der Szene. Die SL konnte Giuliana Sgrena für sich gewinnen, deren Namen seit ihrer Entführung im Irak 2004 für eine pazifistische, antiamerikanische Außenpolitik steht. Für die AL kandidiert Hai­di Giuliani, die Mutter des 2001 bei Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua erschossenen Carlo.
In der tagespolitischen Auseinandersetzung sind die beiden Spitzenkandidaten zumeist einer Meinung. Sowohl Ferrero als auch Vendola kritisierten die Expansionspolitik des Fiat-Konzerns und den zur Schau gestellten patriotischen Stolz der Regierung. Beide befürchten Werksschließun­gen in Italien und weitere arbeitsrechtliche Nach­teile für die Belegschaften.

Doch die Arbeiter, deren Rechte die beiden Links­parteien zu verteidigen vorgeben, gehören längst nicht mehr zu ihrer festen Klientel. Nach einer Stu­die, die von der Wirtschaftszeitung Sole 24 ore in Auftrag gegeben wurde, tendieren knapp 60 Pro­zent der Arbeiter dazu, die rechten Regierungsparteien zu wählen. Die Linke muss deshalb hoffen, enttäuschte Demokraten für sich gewinnen zu können.
Ein Stimmenanteil von vier Prozent ist für den Einzug ins Parlament nötig. Die Gefahr, dass beide Listen an der Sperrklausel scheitern, besteht vor allem deshalb, weil viele Linke inzwischen ihre Stimme der »Italia dei valori« (IDV) geben wol­len. Die Partei mit dem moralistischen Namen »Italien der Werte« wurde von Antonio Di Pietro gegründet, der in den neunziger Jahren zu jener Mailänder Staatsanwaltschaft gehörte, die die Er­mittlungen im Korruptionsskandal Tangentopoli leitete.
Der Parteilinken ist das populistische Auftreten Di Pietros verhasst, sie wirft ihm vor, sein aggressiver Antiberlusconismus bediene sich derselben Mittel wie sein Gegner. Die Kritik ist berechtigt, aber unbeholfen. Der Mehrheit der linken Wähler gilt der Sexismus des Ministerpräsidenten zwar als politisch nicht korrekt, doch einen starken Mann, einen dezenten Macho, der es mit Berlusconi aufnehmen kann, wünscht sie sich schon lange.