Der Fußballcomic »Kai Falke« wird neu aufgelegt

Kai Falkes kleine Fußballwelt

Die Abenteuer des kickenden Comic-Helden aus den Siebzigern wurden wieder aufgelegt. Und wiedergelesen

Das Erstaunlichste an dem Fußballstar Kai Falke vom CF Barcelona sind auf den ersten Blick seine weißen Haare, denn die findet man bei aktiven Kickern aus biologischen Gründen eher selten. In der jüngeren Vergangenheit gab es nur wenige prominente Fußballer, deren Haarfarbe nicht ihrem Alter entsprach: den italienischen Stürmer Roberto Bettega (»Die weiße Feder«) und den deutschen Angreifer Rudi Völler, der sich wegen seiner grauen Kopfpracht den Spitznamen »Tante Käthe« einhandelte. Gegenwärtige Protagonisten mit mutmaßlich modisch getöntem Schädelschmuck seien mal außen vor gelassen.
Falke war zwar recht beliebt vor knapp drei Jahrzehnten, aber auf einem wirklichen Rasen hat er nie gespielt, er ist die Erfindung des Comic­zeichners Raymond Reding (1920–1999). Die Figur entstand 1974 im Auftrag eines Hamburger Verlags, anlässlich der bevorstehenden Fuß­ballweltmeisterschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
Wenn man bedenkt, dass Falke so konzipiert werden musste, dass Kinder und Jugendliche ihn bewundern – Comics für die Zielgruppe der Erwachsenen gab es damals kaum –, wirkt die Entscheidung für die Haarfarbe schon ein bisschen plausibler. Der Fußballer ist nicht der einzige Comic-Held jener Zeit, dem sein Schöpfer weiße Haare verpasst hat; der vom Klassiker-Autor Greg (Bruno Brazil, Luc Orient, Comanche) kreierte Andy Morgan – zunächst als Interpol-Inspektor und in seinem späteren Comic-Leben als See-Abenteurer im Einsatz – sieht so ähnlich aus. Offensichtlich galt es seinerzeit Charaktere zu entwickeln, die einerseits eine spätjugendliche Dynamik ausstrahlten und wegen ihrer Vitalität und körperlichen Stärke als Held und Identifikationsfigur taugten, andererseits aber auch Reife und Respekt verkörperten.
Reding war prädestiniert für das Projekt Fußballcomic, da er vorher bereits Sportgeschichten gezeichnet hatte: ab 1957 die Tennisserie »Jari«, ab 1963 »Vincent Larcher« (mit einem Titelhelden, der Mittelstürmer beim AC Milan war). Populär wurde »Kai Falke« ab Ende der siebziger Jahre im Magazin Zack, nachdem der Titelheld in Frankreich und den Niederlanden unter den Namen Eric Castel respektive Ronnie Hansen an die Kioske gekommen war; Anfang der achtziger Jahre folgten dann die Albenveröffentlichungen.
Nachdem Falke einige Jahre nur unter Nerds ein Gesprächsthema gewesen war, hat der pfälzische Verlag Salleck Publications im vergangenen Herbst mit einer Kai-Falke-Edition begonnen: Vier Geschichten werden wiederveröffentlicht, hinzu kommen elf Alben, die im deutschen Sprachraum bisher nicht erschienen sind.
Den Machern von »Kai Falke« – Reding arbeitete mit der Texterin Francoise Hugues zusammen – sagt man nach, dass sie sich bei der Schöpfung ihrer Figur von der Karriere der niederländischen Legende Johan Cruyff inspirieren ließen, und das klingt in einer Hinsicht plausibel: Cruyff war im Sommer 1973 von Ajax Amsterdam nach Barcelona gewechselt – also kurz bevor der Comic-Held geboren wurde. Die Spielweise Falkes erinnert indes nicht an ­Cruyff, und es ist auch nicht vorstellbar, dass sich das Genie aus Amsterdam aufgrund eines mangelnden Geborgenheitsgefühls in der für ihn neuen Großstadt eine Art Ersatzfamilie auf dem Land gesucht hat. So geschieht es indes im Comic, wobei sich Falke, der Star aus Deutschland, besonders mit einem jungen Straßenfußballer anfreundet, den er für talentiert genug hält, um in Barcas Nachwuchsabteilung unterzukommen.
In vielerlei Hinsicht setzen Reding/Hugues auf realitätsnahe Darstellungen. Den dynamischen Spielszenen merkt man an, dass Reding ein Fußballkenner war. Seine Liebe zum Detail kommt auch darin zum Ausdruck, dass er bei einem Spiel des Hamburger SV einmal zwölf Filme verschoss. Bei dieser Recherchearbeit ging es vor allem um den damals für Hamburg spielenden Ex-Liverpooler Kevin Keegan, der in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren einer der großen Stars in Deutschland und England war und 1978 und 1979 zu Europas Fußballer des Jahres gekürt wurde. Im dritten Album (»Ein harter Schlag«) spielt Keegan eine zentrale Rolle, Falke und er treffen aufeinander.
Den besonderen Reiz machen aber Passagen aus, in denen die Künstler ihrer Phantasie freien Lauf lassen. So gibt es einige Tore zu sehen, die auf wenig wahrscheinliche Weise zustande kommen: Einmal wehrt der gegnerische Torwart einen um die Mauer gezirkelten Freistoß Falkes ab, woraufhin der Ball in hohem Bogen zurück zu Falke fliegt, der dann per Seitfallzieher aus 16 Metern trifft. In einer anderen Szene schießt Falke aus 25 Metern an den Pfosten, von dort prallt der Ball gegen einen daneben stehenden Verteidiger, dann gegen den Torwart und schließ­lich ins Netz. Solche spektakulären Szenen sind aber gang und gäbe, wenn Fußball und Fiktion aufeinandertreffen, auch in Fußballfilmen fallen manchmal Tore, wie man sie in der Wirklichkeit selten sieht.
Ein bisschen märchenhaft muten auch andere Einfälle an. So lebt Kai Falke in Barcelona in einer kleinen Wohnung, deren Badezimmer – elf Freunde müsst ihr sein! – ein Mitspieler gestrichen hat, direkt neben dem Stadion Nou Camp. Und zu einem Europacup-Spiel in Köln reist Barca mit »einer von der deutschen Bundesliga freundlicherweise zur Verfügung gestellten B-727«. Im ersten Fall haben Reding/Hugues die Fußballwelt kleiner und familiärer gemacht, denn dass Fußballstars in der Wohnung von Mannschaftskameraden zum Pinsel gegriffen haben, dürfte mindestens ein halbes Jahrhundert her sein. Im zweiten Fall haben sie den Fußball überhöht, denn die deutsche Bundesliga besaß und besitzt keine Flugzeuge.
Zu den kühnsten Ideen der Macher gehört aus heutiger Sicht, dass sie den in letzter Zeit nur zwischen 1. und 2. Liga pendelnden 1. FC Köln gegen Barcelona antreten lassen. Aber in den siebziger Jahren war das realistisch, denn in jener Phase stand der Verein regelmäßig in einem internationalen Wettbewerb, und sein Müngersdorfer Stadion, einer der Schauplätze des zweiten Albums »Das Rückspiel«, galt als fortschrittlich, weil es komplett überdacht war. Die Entscheidung für Köln könnte auch der Ambition der Autoren geschuldet sein, dem Ganzen einen subtilen hochkulturellen Touch zu verleihen. Der Wettbewerb, den sie sich ausgedacht haben für das Aufeinandertreffen zwischen Barcelona und Köln (und später anderen Gegnern, Falkes Team kommt natürlich weiter), heißt »Europacup der Kunststädte« (ECKU). Und eine Kunststadt ist Köln allemal.
Solche Ideen tragen dazu bei, dass die Serie »Kai Falke« heute mehr ist als ein Vehikel für einen nostalgischen Trip in die siebziger Jahre. Wer sich so etwas wünscht, braucht keine Comics. Der ist besser bedient mit Geschichtsbüchern oder DVDs.

Raymond Reding/Francoise Hugues: Kai Falke, bisher drei Bände erschienen, Salleck Publications, jeweils 48 Seiten, 12,90 Euro