Die Bundeswehr in Afghanistan

Kein Interesse am Hindukusch

Der Tod eines weiteren Bundeswehrsoldaten in Afghanistan und eine neue, militä­rische Strategie der Taliban machen der Bundeswehr zu schaffen. In Deutschland fordert nicht mehr nur die Linkspartei: »Raus aus Afghanistan!«

Am 2. Mai war es wieder soweit: Auf dem Flughafen Köln-Wahn landete ein Airbus der Bundesluftwaffe, an Bord die Leiche eines in Afghanistan getöteten Soldaten. Unter Trommelwirbel trugen Angehörige seiner Einheit den mit der Staatsflagge drapierten Sarg durch ein Spalier bewaffneter Soldaten in einen Hangar. Ein Militärgeistlicher sprach Gebete, Offiziere salutierten. Zum Abschluss der Zeremonie intonierte ein Trompeter das Lied »Ich hatt’ einen Kameraden« – wie es schon auf den Trauerfeiern für die Gefallenen der Wehrmacht üblich war.
Die geschilderte Szene hat sich so oder ähnlich bereits mehrfach abgespielt, schließlich sind mittlerweile 32 Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan ums Leben gekommen. Auch dass Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan Gedenkfeiern für die Getöteten mit ihrer Anwesenheit beehren, gehört inzwischen zum guten Ton. Und doch ist diesmal alles anders.

Es ist dieses Mal nämlich nicht von einem »feigen« oder »hinterhältigen« Anschlag auf Bundeswehrangehörige die Rede: Generalinspekteur Schneiderhan bezeichnete den Angriff nordöstlich von Kunduz, bei dem der deutsche Soldat getötet wurde, in der Welt als »militärisch geplante Aktion«. Der Zeitung zufolge wurde der betroffene gepanzerte Konvoi während einer Patrouillenfahrt zunächst durch am Straßenrand deponierte Spreng­sätze gestoppt und dann »etliche Minuten« lang »praktisch pausenlos« mit automatischen Waffen und Panzerfäusten beschossen. Die »feindlichen Stellungen« seien zu diesem Zweck »sowohl am Rand der Fahrtroute als auch in der Tiefe postiert« gewesen. Abschließend zitiert das Blatt Schnei­derhan mit folgender Aussage: »Die bisherige Taktik war ›hit and run‹, schießen und wegrennen. Das ist jetzt etwas anderes.« In den deutschen Leitmedien ist diese Einschätzung längst angekommen. »Die Taliban-Anschläge auf die Bundeswehr sind inzwischen derart militärisch geplant, dass aus Deutschlands Aufbauhilfe ein offener Krieg wird«, schreibt etwa ein Kommentator des Stern. Seine Schlussfolgerung fällt kurz und bündig aus: »Raus aus Afghanistan!«
Um diese Forderung zu bekräftigen, die bislang nur von der Linkspartei zu vernehmen war, bemüht der Kommentator insgesamt vier Argumente: Erstens befänden sich deutsche Truppen am Hindukusch inmitten eines »Aufreibungskriegs mit Partisanen«, der, wie die historische Erfahrung lehre, nicht zu gewinnen sei. Zweitens seien »zwei Drittel der Bevölkerung (…) dem Afghanistaneinsatz gegenüber inzwischen negativ eingestellt«, was zeige, dass dieser politisch nicht mehr »vermittelt« werden könne. Drittens ziehe Deutschland »keine konkreten Vorteile« aus seinem »militärischen Engagement«; zwar sei nichts dagegen einzuwenden, sich »moderne Kolonien« zuzulegen, nur müssten diese dann »ökonomisch wenigstens attraktiver« sein als die afghanische »Sand-, Stein- und Bergwüste«. Abschließend appelliert der Kommentator dann auch noch an Humanität und Moral, was gerade bei einem solchen Thema selbstverständlich nicht fehlen darf: »Tausende Tote hat der Krieg in Afghanistan unter den Einheimischen bisher gefordert, und auch die westlichen Alliierten betrauern bereits 800 Tote. Eine abstrakte Kategorie? Ein notwendiger Preis? Wenig? Zu viel!«

Auch der Zeit zufolge ist der Krieg in Afghanistan »nicht zu gewinnen«. Das Blatt fordert, »sich von Illusionen zu verabschieden«, da die Ziele der Nato-Mission in Afghanistan schlicht unrealistisch seien: »Wir haben nicht die Macht und nicht die Kraft, Afghanistan in ein demokratisches Land zu verwandeln.« Gegen den allgemeinen Defätismus schreibt einzig die Frankfurter Allgemeine Zeitung an – wenn auch vorrangig aus Furcht um das »internationale Vertrauen in die außenpolitische Verlässlichkeit Deutschlands«, das, so wird gemutmaßt, nach einem deutschen Truppenabzug irreparablen Schaden nehmen würde. Ansonsten ist man sich mit den Kommentatoren von Zeit und Stern einig: »Bundeswehr und Politik«, heißt es in der FAZ, müssten endlich konstatieren, »dass der Charakter der Angriffe von den ter­roristischen Einzelaktionen übergeht in militärisch geplante und ausgeführte Vorstöße«, weshalb sich »das Wort Krieg« nun »nicht mehr vermeiden« lasse. Zur Legitimation eines Kriegs wie­derum reiche »der Satz, die deutschen Interessen würden am Hindukusch verteidigt (…), schon lange nicht mehr aus«, zumal »eine stabile Mehr­heit der deutschen Bevölkerung« den deutschen Militäreinsatz ohnehin prinzipiell ablehne.
Einen vermeintlichen Ausweg aus der Lage weist die Neue Zürcher Zeitung: das niederländische »Rezept«. Dieses zeichnet sich der NZZ zufolge da­durch aus, dass in der südafghanischen Provinz Uruzgan, wo holländische Truppen operieren, Mi­litärs und zivile Helfer »am gleichen Strick« zie­hen: »Diplomaten werden in militärische Pla­nun­gen einbezogen, Militärs wissen über Hilfs­projekte Bescheid.« Für die deutschen Verantwortlichen dürfte die Aussage vertraut klingen, unterstehen doch auch die »Provincial Recon­struction Teams« der Bundeswehr einer politisch-militärischen Führung, werden doch Organisationen der »Entwicklungshilfe« nach Möglichkeit an der Tätigkeit der »Teams« beteiligt. Jedoch gibt es nach Auffassung der NZZ einen gravierenden Unterschied zwischen beiden Besatzungskonzepten: »Die Niederländer scheuen sich – im Gegensatz zu den Deutschen im Norden, die sich zunehmend in ihren Camps verschanzen – nicht vor Kämpfen.«

Dem kommerziellen Zweig der bundeseigenen »Gesellschaft für technische Zusammenarbeit« (GTZ International Services) scheint dieses niederländische »Rezept« zuzusagen. Das Unternehmen baut in der umkämpften Provinz Uruzgan unter dem Schutz der Holländer eine Straße, was von den dortigen Taliban leicht als militärisches Infrastrukturprojekt angesehen werden könnte – denn bekanntlich werden befestigte Transport­routen nicht nur von Zivilisten, sondern auch von Militärpatrouillen genutzt.
Die GTZ hatte im Jahr 2005 eine schmerzhafte Erfahrung zu verkraften: Sie musste sich aus einem Straßenbauprogramm im westnepalesischen Bezirk Kalikot (Region Karnali) zurückziehen, nachdem maoistische Guerilleros Mitarbeiter der Organisation zusammengeschlagen und mit dem Tod bedroht hatten. Die Taliban sind da weit weniger zimperlich, wie sie bereits mehrfach unter Beweis gestellt haben.
In der vergangenen Woche wurden deutsche Sol­daten in der Nähe von Kunduz erneut in ein stundenlanges Gefecht verwickelt. Die Tatsache, dass die Bundeswehr ebenfalls in der vergangenen Woche einen hochrangigen Führer der Taliban festnehmen konnte, dürfte die Lage nicht gerade beruhigen. Sollte es den Aufständischen ge­lingen, wie die FAZ formuliert, »durch einen schweren Anschlag – sei es in Afghanistan, sei es in Deutschland – den Bundeswehreinsatz in den Bundestagswahlkampf hineinzubomben«, dürfte die Öffentlichkeit von Verteidigungsminister Jung vor allem eines verlangen: eine »Exit-Strategie«.