Machtkampf in Nepal

Machtkampf mit den Maoisten

In Nepal streiten royalistische Generäle, Konservative und Maoisten über die ­Integration ehemaliger Guerilleros in die Armee.

Ein ordentlicher Skandal bedarf eines guten Timings. Nachdem der überraschende Rücktritt des maoistischen Premierministers Pushpa Kamal Dahal die junge Republik Anfang voriger Woche in eine existenzielle Krise gestürzt hatte, tauchte weniger Tage später auch noch ein Video­tape mit brisantem Inhalt auf. Die Aufzeichnung zeigt Pushpa Kamal Dahal, besser bekannt unter seinem Kampfnamen »Prachandra«, bei einem Auftritt vor Genossen am 2. Januar 2008, wenige Monate vor dem Wahlsieg der Maoisten. »Habt ihr gehört, was (Generalstabschef) Katawal kürzlich sagte? ›Selbst wenn die Armee nur 3 000 maoistische Kämpfer integriert, wird sie erledigt sein.‹ Könnt ihr das glauben? Er sagte, dass 3 000 von uns ihre 10 000-Mann-Armee zerstören können. Und das stimmt!«
Diese Äußerungen Prachandras lassen wenig Raum für Interpretationen: Die Maoisten wollen die Armee unterwandern und kontrollieren. Genau diese Absicht unterstellten Politiker des konservativen Nepali Congress und hochrangige Generäle den Vereinigten KP-Maoisten. Die Konservativen verpassen seit ihrer Wahlniederlage im vorigen Jahr kaum eine Gelegenheit, vor der Macht­übernahme der Maoisten zu warnen und sich als Hüter der Demokratie zu präsentieren. Gleichzeitig verhinderten die Politiker des Nepali Congress praktisch alle relevanten Reformbemühungen der maoistisch geführten Regierung und suchten immer wieder demonstrativ den Kontakt zu dem ehemaligen Monarchen Gyanendra. Der König arbeitet an einem Comeback mit einer neuen Partei, die für das Militär attraktiv sein dürfte.

Die meisten Offiziere sind Royalisten, kaum verwunderlich waren daher die sich zuspitzenden Dispute zwischen der Armeeführung und den Maoisten. Seit einigen Wochen verschärfte sich der Ton, bis der Streit eskalierte und Prachandra überraschend zurücktrat. Kern des Kon­flikts ist die Integration der ehemaligen Guerilleros in die reguläre Armee. Entgegen den Vereinbarungen des Friedensabkommens rekrutierte General­stabs­chef Rookmangud Katawal in den vergangenen Wochen 3 000 neue Soldaten und brüskierte damit die Maoisten.
Prachandra wollte Katawal entlassen, doch die Koalitionspartner im Parlament entzogen den Maoisten die Unterstützung, denen nur zwei Optionen blieben: Rücktritt und der Gang in die Oppo­sition oder Rücktritt und der Gang in den Dschungel. Bislang haben sie sich für friedliche Proteste und eine Blockade der Parlamentssitzungen entschieden, sie drohen jedoch mit der Rückkehr in den Untergrund. Auf eine tatsächliche Wiederaufnahme des »Volkskriegs« deutet derzeit wenig hin. Viele Kader sind inzwischen im Establishment angekommen, und die Bewegung hat auch viel zu verlieren. Die meisten Nepalis wünschen sich Verbesserungen der Lebensbedingungen und fordern von den Parteien Kompromissbereitschaft.
Am Sonntag verkündeten der Nepali Congress und die sozialdemokratische KP-Vereinigte Marxis­ten-Leninisten, eine Regierung bilden zu wollen. Die Maoisten könnten sich nun in der Opposition profilieren, nachdem es ihnen nicht gelungen ist, in ihrer Amtszeit spürbare soziale Veränderungen zu bewirken. Doch tief greifende Reformen ohne die Maoisten sind nicht möglich. Immerhin stellen sie die größte Fraktion im Parlament, und ihre Unterstützer sind immer noch in der Lage, mit Streiks weite Teile des öffentlichen Lebens lahm zu legen. Zudem ist es zweifelhaft, dass die Maoisten tatsächlich eine Regierung akzeptieren, die sie nicht anführen. Allerdings waren Prachan­dra und seine Genossen auch stets für Überraschungen gut.

Das musste auch die Uno vorige Woche erfahren. Auf dem Videotape erklärt Prachandra freimütig, wie die Führung der Maoisten die Vereinten Nationen bei der Demobilisierung der Guerilla narrte. Statt der angegebenen 35 000 standen gerade einmal 7 000 bis 8 000 Maoisten zum Ende des Bürgerkriegs unter Waffen. Die Uno brachte über 20 000 Maoisten in Camps unter und versorgt diese Reservearmee seither. Prachandra rechnete offenbar nicht mit einer Enthüllung des Geheimnisses: »Wir können es anderen nicht erzählen, aber ihr kennt die Wahrheit, und ich kenne sie auch.«