Dortmund hat ein Problem mit Nazis

Randale im Revier

Nach dem Überfall auf eine Demonstration des DGB am 1. Mai dämmert es Dortmunder Lokalpolitikern: Die Stadt hat ein Problem mit Nazis. Diese bereiten sich schon auf die nächste Großveranstaltung vor.

»Bleibt am 1. Mai nicht zu Hause! Besucht die anderen angemeldeten Demonstrationen oder reagiert mit kreativen Aktionen flexibel! Informiert Euch über die internen Quellen!« Diese Botschaft richtete der Veranstalter des untersagten Nazi-Aufmarschs in Hannover an seine Kameraden. »Falls Hannover verboten bleibt – wohin fahrt ihr dann?« fragte daher vor dem 1. Mai ein Nazi in einem Internetforum den »Nationalen Widerstand Dortmund«. »Informationen über Ersatzaktivitäten werden kurzfristig intern verbreitet. Wende dich diesbezüglich bitte an die üblichen Verdächtigen«, war die Antwort.
Eine Woche später durchsuchte die Polizei die Wohnungen von mehreren »üblichen Verdächtigen« in Dortmund. Denn anstatt sich am 1. Mai, wie von der Polizei angenommen, am Dortmunder Hauptbahnhof zu treffen und gemeinsam zu einem genehmigten Aufmarsch ins nahegelegene Siegen zu fahren, waren etwa 400 Neonazis durch die Innenstadt gestürmt und hatten eine Demonstration des DGB angegriffen. Nach zahlreichenFestnahmen leitete die Polizei 404 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs ein und durchsuchte Wohnungen örtlicher Führungspersonen der »Autonomen Nationalisten« (AN).

Seitdem wird nicht nur in Dortmund darüber gestritten, warum die Polizei von dem Überfall so überrascht wurde und was der Vorfall für den Anfang September geplanten Großaufmarsch der Nazis zum »nationalen Antikriegstag« bedeutet. Offenbar hätten die Sicherheitsbehörden die Lage völlig falsch eingeschätzt, vermutet der Fraktionssprecher der Dortmunder Grünen, Mario Krüger: »Man muss kein Polizeistratege für die Überlegung sein, dass die Nazis trotz ihrer Ankündigung gar nicht nach Siegen wollten, sondern stattdessen ihren eigenen Aufruf nach ›kreativen Aktionen‹ ernst nehmen und diese in Dortmund ausleben.«
Für diese Annahme sprechen die Ausführungen eines führenden Nazis aus Nordrhein-Westfalen, Axel Reitz. Dieser betonte in seiner Rede während des Aufmarschs in Siegen, dass man nicht auf die Dortmunder warten brauche, diese wollten nicht nach Siegen fahren. »Sie meinten, mit spontanen Aktionen weiter zu kommen«, sagte Reitz. Auch mehrere aus dem Süden anreisende Busse der Nazis steuerten Dortmund an, anstatt ins südlicher gelegene Siegen zu fahren.
Die unter Rechtsextremen geführte Diskussion über das Auftreten der AN wurde von dem Vorfall am 1. Mai ebenfalls angeregt. »Das ist anpolitisierter Hooliganismus. (…) Ein wenig Randale machen kann buchstäblich jeder«, kommentierte Paul Breuer, ein Kölner Nazi, den Vorfall. »Vermummte, anonyme Poser schaden dem Ansehen des nationalen Widerstands und sind nützliche Idioten des Systems«, führte er weiter aus. Ähnlich wie nach den Krawallen am 1. Mai 2008 in Hamburg dürfte die Randale in Dortmund jedoch nicht nur nach dem Geschmack vieler jüngerer Nazis aus dem Um­feld der AN sein. Allgemein hat die Bereitschaft, auf Demonstrationen gewalttätig zu werden, in der Szene stark zugenommen. »Das Beispiel in Dortmund zeigt, dass man sehr wohl auch andere Saiten aufziehen kann, wenn man glaubt, national denkenden Menschen mit Hannoverschen Verbotsmethoden kommen zu müssen«, heißt es beispielsweise auf der bekannten Nazi-Internetseite »Altermedia«.

Nach dem Vorfall wollen Dortmunder Stadtpolitiker nun handeln, während sie in den vergangenen Jahren mehr oder minder untätig zusahen, wie die AN in der Stadt stärker wurden und sich der jährliche Aufmarsch zum »nationalen Antikriegstag« im September zu einer Großveranstaltung mit Beteiligung aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland entwickelte. Zum ersten Mal haben die Ratsparteien von der Linken bis zur CDU – mit Ausnahme der DVU – eine gemeinsame »Resolution gegen rechte Gewalt« und zum Verbot des für den 5. September geplanten Aufmarschs im Stadtrat eingebracht. Nicht nur der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow sieht nun ausreichende Gründe, den Aufzug zu untersagen. »Ich werde ein Verbot des Aufmarsches der rechten Szene am 5. September 2009 in Dortmund unter Berücksichtigung der Ereignisse am 1. Mai neu bewerten«, sagte der Polizeipräsident Hans Schulze, der es den örtlichen Kameraden bislang nicht allzu schwer gemacht hatte.
Das sind ganz neue Aussagen in einer Stadt, in der es regelmäßig zu Aktionen und Angriffen von Nazis kommt, ohne dass dies Empörung nach sich ziehen würden. 2005 ermordete ein Nazi den Punk Thomas »Schmuddel« Schultz, linke Projekte wie das »HippiH-Haus«, alternative Kneipen und Buchläden oder auch Parteibüros wurden mit Buttersäure oder Farbbomben angegriffen, linke Jugendliche werden zum Ziel geplanter Attacken. Daneben treten die Nazis in der Innenstadt und auch an Schulen öffentlich in Erscheinung. Zwischen 2005 und 2008 stieg die Zahl rechtsextremer Straftaten in der Stadt von 195 auf 402 gemeldete Delikte an. Seit Jahresbeginn veröffentlichen Nazis auch Steckbriefe vermeintlicher Antifas im Internet.
Seit 2004 versuchen sie darüber hinaus, den Antikriegstag Anfang September für ihre eigene Großveranstaltung zu nutzen. Etwa 1 100 Neonazis zogen im vergangenen Jahr durch Dortmund und griffen mit Flaschen und Feuerwerkskörpern die Polizei an. Kein Wunder, hatten Polizei und Stadt die Rechtsextremen doch bislang gewähren lassen: Am 1. Mai 2007 beispielsweise hängten die Behörden einerseits antifaschistische Plakate entlang der Route der Nazis ab und chauffierten andererseits Hunderte Neonazis, die mehrere Polizeisperren durchbrochen hatten, in städtischen Bussen zum Kundgebungsplatz.

Nun hoffen örtliche Antifa-Gruppen wie die Antifaschistische Union Dortmund, dass der Überfall am 1. Mai Nachteile für die Nazis bringen könnte. »Wir denken, dass hier jetzt der ein oder andere wach geworden ist«, sagt die Pressesprecherin Kerstin Wiedemann. »Das Kalkül der Nazis, durch ihre Randale Pluspunkte in der eigenen Szene zu sammeln, dürfte durch die zahlreichen Verfahren zudem nicht aufgegangen sein.« Sollte der Aufmarsch Anfang September nicht verboten werden, könnte die Aussicht auf Randale allerdings wieder zahlreiche Nazis anziehen. »Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht nur aus NRW sollten sich den 5. September daher vormerken«, sagt Wiedemann.

Rainer Brahms ist Autor für »LOTTA – Antifaschistische Zeitung aus NRW« (www.free.de/lotta)