Stabil ist nicht stabil genug
Auf dem Weg vom Kuala Lumpur International Airport in die Stadt rast der moderne Siemens-Schnellzug vorbei an der Geisterstadt Putrajaya (Putra hieß der erste Premierminister Malaysias, Jaya bedeutet »Erfolg«), dem auf dem Reißbrett entworfenen, prestigeträchtigen Sitz der Regierung von Malaysia. Dort steht, gut sichtbar auf einem Hügel, der mondäne Palast von Seri Najib Razak, der seit Anfang April Premierminister ist. Er hat den Job zu einem ungünstigen Zeitpunkt übernommen, denn die globale Wirtschaftskrise trifft auch Malaysia, und die lange beschworene Einheit des Landes mit seinen drei großen Bevölkerungsgruppen steht in Frage.
Die politische Führung sieht Malaysia als »Erfolgsmodell«, ihre »Vision 2020« gibt vor, dass Malaysia in Rekordzeit ein voll entwickelter Industriestaat werden soll. Unrealistisch schien das nicht, einer Studie der Deutschen Bank zufolge wäre Malaysias Wirtschaft bis zum Jahr 2020 durchschnittlich sogar schneller gewachsen als die Chinas.
Hätte, wäre, wenn – die Zeit der hochfliegenden »Visionen« ist auch in Malaysia vorerst vorbei. Krisenstimmung möchte man nicht aufkommen lassen. Die Regierung halte an ihrem Ziel fest, ein Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent zu erzielen, sagte Tan Sri Nor Mohamed Yakcop, Minister für ökonomische Planung, am Donnerstag der vergangenen Woche. Es bedürfe nun des Übergangs zu einer »wissens- und innovationsbasierten Ökonomie«. Doch Ende 2008 wuchs die Wirtschaft gar nicht mehr. Ein Grund ist die von der Regierung jahrzehntelang geförderte Exportabhängigkeit. Intel, Motorola, AMD, Hitachi, Fujitsu, Dell und andere Firmen haben Malaysia zu einem Zentrum der globalen Elektronikproduktion gemacht.
Derzeit bricht die Nachfrage ein, wegen des sinkenden Exports von Elektronikgütern gerät die Zahlungsbilanz unter Druck. Die Ratingagentur Fitch hat deshalb die Kreditwürdigkeit Malaysias von »positiv« auf »stabil« herabgesetzt, die Regierung muss nun für Kredite höhere Zinsen zahlen. Überdies sinken die Staatseinnahmen aus dem Ölexport.
Nun brechen alte Konflikte auf. Erstmals steht dem seit der Unabhängigkeit im Jahr 1957 autokratisch regierenden Parteienbündnis UMNO eine selbstbewusste Opposition gegenüber. Bei den Wahlen im vergangenen Jahr hat die UMNO so schlecht abgeschnitten wie nie zuvor, Premierminister Abdullah Badawi musste auch deshalb zurücktreten. Sein Nachfolger Najib hat bei seinem Amtsantritt nicht nur versprochen, die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, sondern auch, die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen des Landes ernst zu nehmen.
Über diese Spannungen zu sprechen, ist spektakulär in einem Land, das sich lange Zeit als Modell in Sachen Multikulti gesehen hat. Unter dem Slogan »One Malaysia« wurden die Konflikte zwischen den Bumiputra (»Söhnen der Erde«), der »indigenen« Mehrheit der Malaien, und den chinesischen und indischen Malaysiern lange kaschiert. Während Malaien Politik und Bürokratie beherrschen, bestimmen chinesische Malaysier die Privatwirtschaft. Mit Hilfe positiver Diskriminierung sollten die Malaien gegenüber der chinesischen Minderheit ökonomisch gestärkt werden, um die soziale Ungleichheit zwischen den Bevölkerungsgruppen zu verringern. Nach Kämpfen zwischen Malaien und Chinesen ließ die Regierung zudem die Verfassung ergänzen. Seitdem ist es verboten, die politische Vorherrschaft der Malaien in Frage zu stellen. Jede Kritik an den Vorrechten der Bumiputra sowie dem System der Wahlmonarchie, das auf traditionellen malaiischen Strukturen beruht, wurde unter Strafe gestellt.
Nicht nur im öffentlichen Dienst, auch bei den staatlich kontrollierten fünf größten heimischen Unternehmen werden Malaien bevorzugt. Lange Zeit mussten auch ausländische Unternehmen Malaien an ihren Tochterfirmen beteiligen. Nach der Logik von Mahathir Mohammad, der 22 Jahre lang als Premierminister regierte, wurde so die nötige politische Stabilität für das Wirtschaftswachstum geschaffen, das eine Umverteilung ermöglichte.
Solange es jedes Jahr mehr zu verteilen gab, kam es auch kaum zu Demonstrationen der Benachteiligten. Doch vor fast genau zehn Jahren brach die Asien-Krise aus. Malaysia hatte Zahlungsprobleme, Firmenpleiten und Entlassungen folgten. Erstmals wurden die Nachteile der hohen Exportabhängigkeit sichtbar. Als der steile Fall des Ringgit endete, war die Landeswährung gegenüber dem Dollar nur noch halb so viel wert wie vor der Krise. Die Investitionen brachen ein, ausländisches Kapital floss aus dem Land ab.
Die Regierung düpierte den Internationalen Währungsfonds und lehnte dessen Hilfe ab. Statt die Vorschläge des IWF zu befolgen, wurde der Kapitalfluss reguliert und der Ringgit fest an die Entwicklung des Dollars gekoppelt. Ob das gut oder schlecht für die Wirtschaftsentwicklung war, ist umstritten. Der IWF selbst ist zu dem Schluss gekommen, dass die Maßnahmen nicht genutzt, aber auch nicht geschadet haben.
In der derzeitigen Krise ist von alternativen Ansätzen wenig zu sehen. Die Maßnahmen ähneln denen anderer Staaten. 60 Milliarden Ringgit, umgerechnet rund 13 Milliarden Euro, gibt die Regierung 2009 und 2010 zusätzlich aus. Malaysias Konjunkturprogramm ist, gemessen an der Wirtschaftsleistung, vergleichbar mit den Programmen der USA, Chinas oder Singapurs. Das Geld wird verwendet für Infrastrukturprojekte, eine Abwrackprämie für Autos, Bürgschaften für Kredite und Arbeitsmarktmaßnahmen.
Sozialprogramme sollen helfen, drohende Unruhen, etwa der indisch-malaysischen Arbeiter, zu verhindern. Diese sind mehrfach auf die Straße gegangen, um mehr Rechte zu fordern. Najib hat bereits versprochen, die Situation der benachteiligten Minderheit zu verbessern. Damit reagiert er auf die Wahlerfolge der Opposition, deren Forderung nach einem Ende der positiven Diskriminierung der Malaien populär ist. Will Najib die Spannungen abbauen, muss er die Vorrechte der Mehrheit, etwa was den Zugang zu Universitäten und zum öffentlichen Dienst angeht, beschneiden. Doch damit wird es nicht getan sein. Der malaysische Kolumnist Azly Rahman sagt: »Ein geeintes Malaysia erfordert mehr als ein paar Regeländerungen. Wir müssen aufhören, entlang ethnischer Linien zu denken.«