Mira Awad und Achinoam Nini im Gespräch über ihre Beteiligung am Eurovision Song Contest

»Wir hätten nie gedacht, dass wir mal beim Grand Prix landen würden«

Israel beteiligt sich mit einem arabisch-jüdischen Gesangsduo am diesjährigen Eurovision Song Contest in Moskau. Ein Interview mit Mira Awad und Achinoam Nini

Einmal im Jahr fiebert ganz Europa beim Eurovisions-Wettbewerb mit. In dem europaweiten Schlagerwettbewerb, der seit 1956, damals noch unter dem Namen Grand Prix de la Chanson d’Eurovision, stattfindet und der immer wieder in der Kritik steht, zu seicht und belanglos zu sein, war Israel nie sonderlich erfolgreich. Immerhin drei Mal gelang es dem kleinen Land im Nahen Osten, den Sieg nach Hause zu bringen, 1978, 1979 und zuletzt 1998 mit Dana International.

Nach den jüngsten Auseinandersetzungen im Gaza-Streifen schickt Israel in diesem Jahr ein starkes Duo ins Rennen. Zum ersten Mal treten eine arabische und eine jüdische Israelin auf. Achinoam Nini (39), die international unter dem Namen Noa Karriere machte, und die palästinensische Israelin Mira Awad (33) sollen Israel mit dem Titel »There must be another way« wieder auf einen der vorderen Plätze katapultieren. Tief noch sitzt bei vielen israelischen Fans die Schmach vom vorigen Jahr, als das Land mit seiner ironischen Anti-Iran-Hymne »Push the Button« von der Band Teapacks schon im Semi-Finale unterging und es nicht einmal bis nach Helsinki zum Wettbewerb schaffte.

Wovon handelt Ihr Song?

Achinoam Nini: Der Song »There must be another way« ist dreisprachig, hebräisch, arabisch, englisch. Die Botschaft ist ziemlich eindeutig, es geht um Koexistenz, Dialog und Hoffnung, um einen anderen politischen Weg als den, den wir heute erleben.
Sie kannten sich bereits lange vor dieser aktuellen Zusammenarbeit. Wie haben Sie sich kennen gelernt?
Mira Awad: Ich habe Noa und ihren Gitarristen Gil Dor vor ein paar Jahren getroffen, als sie gerade eine arabische Sängerin für ein Duett für Noas CD »Now« gesucht haben. Glücklicherweise hatte Gil ein Interview mit mir im Fernsehen gesehen, und er dachte wohl, ich würde da gut passen. Noa rief mich dann an, als ich gerade einen Einkaufswagen durch den Supermarkt schob und sagte: Hallo Mira, ich weiß nicht, ob du mich kennst, ich bin Achinoam Nini. Ich musste lachen und konnte nicht aufhören, und sie wusste nicht, warum ich so lachte.
Achinoam Nini: Ich hätte es ziemlich arrogant gefunden, anzurufen und zu sagen: Hallo, hier ist Noa.
Mira Awad: Aber jeder kennt dich doch hier.
Achinoam Nini: Vielleicht ja aber auch nicht.
Mira Awad: Wir vereinbarten sofort ein Treffen, auf dem wir dann die gemeinsamen Aufnahmen für »Now« in Amsterdam beschlossen und besprochen haben.

Mit welchen Gefühlen sehen Sie dem gemeinsamen Auftritt beim Eurovisions-Wettbewerb entgegen?

Mira Awad: Obwohl wir uns inzwischen eine ganze Weile kennen, ist dieser gemeinsame Auftritt jetzt schon ein besonderes Ereignis für uns …
Achinoam Nini: … und völlig unerwartet. Ich denke, niemand von uns hat je damit gerechnet, dass wir eines Tages beim Grand Prix landen würden. Ich brauche wohl auch nicht zu erwähnen, dass wir schon gar nicht erwartet haben, dort beide zusammen für Israel anzutreten.

Haben Sie den Wettbewerb denn früher im Fernsehen verfolgt? Sind Sie vielleicht sogar Fans der Eurovision?

Mira Awad: Ja, als Kind war ich ein richtiger Fan der Eurovision. Ich war regelrecht süchtig danach. Das ließ ein bisschen nach, als sie dann die großen Orchester abgeschafft haben. Ich mochte diese Konzertatmosphäre und habe zu Hause immer gebettelt, aufbleiben zu dürfen – nur wegen der Orchester. Ich erinnere mich sogar noch daran, als einmal das Orchester einen Fehler machte und sie noch mal von vorn anfangen mussten. Das war so spannend für mich als ein Kind, das Musik liebte.

Waren Sie früher auch eine Songcontest-­Guckerin?

Achinoam Nini: Nein, gar nicht. Ich war da nie so drin. Höchstens so, wie die meisten Leute, die allgemein den Überblick haben, was da los ist, ohne wirklich tief drin zu stecken. Als junges Mädchen habe ich die Gewinnersongs im Chor unserer Religionsschule in New York lernen müssen, so wie »Halleluja« und »A-ba-ni-bi«.
Immer wenn ich den Contest in den letzten Jahren gesehen habe, konnte ich mich damit nicht so richtig identifizieren, vor allem nicht mit dem Musikstil. Es ist ja eigentlich nur Pop, und diese Art Musik mache ich nicht. Deshalb konnte ich wirklich nicht glauben, dass ich eines Tages selbst dort stehen würde.

Hatten Sie irgendwelche Vorbehalte, in diesem Rahmen aufzutreten? Wie haben Sie reagiert, als sie angerufen und gefragt wurden, für ­Israel anzutreten?

Achinoam Nini: Es gibt heute nur noch wenige Plattformen für Musiker. TV-Shows, die Musiker live präsentieren, sind fast überall auf der Welt verschwunden. Die Eurovision ist also eine große Ausnahme und Chance für einen Musiker, schließlich sind es 100 Millionen Menschen, die das Finale ansehen. Ich denke nicht, dass man zu solch einem Angebot als Sängerin Nein sagen kann. Andererseits war ich aber nicht mutig genug, das allein zu machen. Also schlug ich vor, zusammen mit Mira aufzutreten, im Duett. Ich dachte, wenn das Israelische Euro­visions-Komitee das zulassen würde, würde ich gern für Israel teilnehmen, denn neben der Musik transportieren wir damit auch eine Botschaft. Und die ist in den heutigen Tagen wichtiger als je zuvor.
Mira Awad: Ja, diese Botschaft, die wir da transportieren, ist zugleich unsere Antwort auf all die Proteste, die es gab, als bekannt wurde, dass wir beide Israel repräsentieren werden.

Wie erklären Sie sich diese Proteste?

Achinoam Nini: Die Bekanntgabe der Jury konnte zu keinem schlechteren Zeitpunkt erfolgen. Es war eine Woche nach dem Beginn der Operationen im Gaza-Streifen. Wir waren alle sehr deprimiert in dieser Zeit, und dann kam die Meldung, die eigentlich eine positive war. Die Entscheidung, dass wir beide zusammen singen, war ja schon vor dem Militäreinsatz in Gaza gefallen, eigentlich hatten wir nur noch auf die finale Bestätigung der Jury gewartet. Die ablehnenden Reaktionen der Leute kann man deshalb auch irgendwie verstehen.
Es waren vor allem linke und arabische Israelis, die Ihre Teilnahme kritisieren und Ihnen vorwerfen, ein geschöntes Bild von Israel in die Welt zu tragen, schließlich sei das Land an einer echten Koexistenz mit den Arabern nicht interessiert und behandele diese nach wie vor als Bürger zweiter Klasse.
Mira Awad: Viele Leute in Israel haben die Hoffnung auf Frieden verloren und dachten, dass wir wieder am Rand des Abgrunds stehen. Die Leute waren enttäuscht und haben sich wieder auf jeweils eine Seite geschlagen, ohne der anderen Seite zuzuhören. Und plötzlich standen wir beide da und demonstrierten, dass wir nicht bereit waren, uns auseinanderdividieren zu lassen. Letztlich haben wir keine andere Wahl, als uns die Hände zu reichen. Unser Song handelt genau davon. Davon, dass wir die Aufgabe haben, etwas zu tun, das uns am Leben hält, und nicht aufzugeben. Wir wollen doch beide Kinder aufziehen. Noa hat bereits welche, und ich plane, welche zu bekommen. Wir wollen, dass diese Region Kindern etwas bieten kann, etwas anderes als Tod und Zerstörung.

Haben Sie weitere Pläne für eine Zusammenarbeit?

Achinoam Nini: Wir denken daran, ein komplettes Album zusammen zu machen. Die gemeinsame Arbeit war sehr interessant, und wir wollen die vier Songs, die wir für den Wettbewerb gemacht haben, nicht einfach wegwerfen, auch wenn letztlich nur einer ausgewählt wurde. Wir finden sie alle vier wunderschön. Und da wir ja in erster Linie Musik für uns selbst machen, wollen wir weiterführen, was wir begonnen haben.

Welche Chancen rechnen Sie sich mit Ihrem Stück aus?

Achinoam Nini: Keine Ahnung. Wir wären schon mal sehr glücklich, wenn wir durch das Semi-Finale kommen und am Ende einen würdigen Platz erreichen könnten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir gewinnen könnten, aber es wäre natürlich toll, wenn es passiert.