Serie über Serien: »Bones«

Bei den Skelettexpertinnen

Serie über Serien. Die beste Forensik-Serie ist immer noch »Bones«.

Angeblich absolvieren immer mehr Jugendliche ihr Schulpraktikum in der Pathologie, weil populäre Forensik-Serien das Berufsfeld so attraktiv erscheinen lassen. In den USA sorgt der so genannte »CSI-Effekt« nicht nur für steigende Studentenzahlen und neue Studienfächer, sondern auch für zahlreiche Anekdoten: Menschen, bei denen ein­gebrochen wurde, belehren demnach immer häufiger die herbeigerufene Spurensicherung darüber, dass sie alles falsch machen würde, weil das bei »CSI« doch ganz anders funktioniere. Bei Betrugsfällen erwarten Geschworene angeblich immer häufiger, dass sich Fingerabdrücke auf den Dokumenten befinden. Fehlen Faserreste, Lackpartikel, Schamhaare oder sonstige DNS-Spuren, fällt die Jury überraschende Urteile.
Ich habe »CSI« einmal beim Zappen erwischt und konnte weder den Hype noch den Effekt wirklich nachvollziehen. Das neue Forensik-Genre schien nicht mein Fall zu sein. Aber dann entdeckte ich »Bones« und habe sofort alle vier Staffeln dieser Mischung aus Krimi, Anatomieseminar, Drama und schwarzem Humor verschlungen. In der Serie, die im deutschen Fernsehen unsinnigerweise »Bones – Die Knochenjägerin« heißt, spielt der von »CSI« bekannte Hokuspokus aus zumindest fragwürdigen DNA-Analysen und unrealistischer Bildausschnittvergrößerung eine nebensächliche Rolle.
Dr. Temperance Brennan, auch »Bones« genannt, arbeitet als forensische Anthropologin in einem Forschungsteam am fiktiven Jeffersonian-Institut in Washington. Die Expertin für Skelett­identifizierung klärt mit FBI-Agent Booth und dem Rest des Teams skurrile Mordfälle auf. Anhand dieser Fälle greift die Serie, vor allem in der ersten Staffel, Themen wie die Todesstrafe, plastische Chirurgie, »friendly fire« im Irak-Krieg, die Situation von Migranten in den USA oder Transsexualität auf.
In den Dialogen zwischen dem all american guy Booth und der rationalen Bones werden gesellschaftliche Diskurse kommentiert und reflektiert, ohne eine abschließende Bewertung abzugeben. So ist zum Beispiel Booth in einer Folge der Meinung, dass Paare verzweifelt zu SM-Praktiken greifen würden, wenn sonst nichts mehr funktioniert. Bones antwortet ihm trocken, SM sei einer der ältesten Fetische der Welt und als menschliche Beziehungsstruktur verschiedener Zeitalter und Gesellschaftsformen belegbar. Wenn die beiden über Religion oder normative Beziehungsvorstellungen diskutieren, sorgen die sachlichen Anthropologievorträge oft für hintergründigen Humor.
Die komplexen Charaktere, besonders die Frauen, sind ein weiterer möglicher Grund für ausgiebigen »Bones«-Konsum. Mit ihrer rationalen, allwissenden, scheinbar gefühlsarmen Art, hinter der sich viel Empathie und Engagement versteckt, ist Brennan eine außergewöhnliche weibliche Identifikationsfigur. Die bi­sexuelle Künstlerin Angela, die ein Computerprogramm zur virtuellen Rekonstruktion von Gesichtern entwickelt hat, nimmt kein Blatt vor den Mund und verkörpert im Gegensatz zu Bones die menschlich emotionale Ebene, ohne ins Geschlechterrollenstereotyp abzurutschen, wenn sie manchmal vor lauter Leichenfledderei den Job wechseln will.
Eine Bereicherung ist auch die afroamerikanische Gerichtsmedizinerin Cam, die zu Beginn der zweiten Staffel die Institutsleitung übernimmt und immer einen ironischen Kommentar parat hat. Abgesehen von wechselnden Assistenten und einem erst in Staffel drei auftauchenden Psychologen ist der für bugs and slime zuständige Hodgins neben Booth der einzige Mann im Team. Eigentlich ist »Bones« also eine »Frauenserie«, nur eben für weibliche Nerds, die von »Star Trek« schändlich vernachlässigt wurden. Schicke Klamotten und perfektes Make-up werden jenseits des Seziertischs auch getragen, vor lauter Forschung bleibt nur keine Zeit, darüber zu reden.
Kontroverse Diskussionen, intelligente, selbstbewusste Kolleginnen, die immer schön aussehen, lustige Kollegen, mit denen man spaßige Experimente durchführen kann, geschmackvolle Büros, außergewöhnlich Fälle, die (fast) immer gelöst werden, was dann alle zusammen in der Kneipe oder mit einem Drink auf der gemütlichen Ins­titutsgalerie feiern: Ich werde im nächsten Semester ein Zweitstudium als forensische Anthropologin beginnen.