Politische Krise in Guinea

Die Soldaten bitten zur Kasse

Die Popularität des Militärregimes in Guinea schwindet, es kam zu ersten Protesten. Nun hat Staatschef Camara angekündigt, er wolle nicht Präsident werden.

»In Afrika organisiert man nicht Wahlen, um sie zu verlieren.« Dieses Bonmot stammt vom dienstältesten Präsidenten des Kontinents, Omar Bongo, der seit Januar 1967 Gabun regiert. Auch weniger ausdauernde afrikanische Staatschefs hielten sich an diese Maxime. Einer könnte nun jedoch die löbliche Ausnahme werden: Moussa Dadis Camara, der 44jährige Interimspräsident der Republik Guinea. Als er das Licht der Welt erblickte, übte Omar Bongo – damals noch offiziell Vizepräsident – bereits die Macht aus.
Auch Camara kam nicht durch demokratische Wahlen an die Macht. Am 22. Dezember vergangenen Jahres wurde in Conakry, der Hauptstadt Guineas, der Tod des alternden, seit 1984 amtieren­den Präsidenten General Lansana Conté bekannt gegeben. Zu diesem Zeitpunkt lag sein Ableben allerdings vermutlich bereits mehrere Tage zurück. Einen Tag später putschten junge Offiziere gegen das alte Regime und übernahmen die Macht.
Camara scheint nun aber nicht auf Dauer im Amt bleiben zu wollen. Jedenfalls kündigte er am vorvergangenen Sonntag in Conakry an, er werde nicht selbst zur Präsidentschaftswahl antreten, die seine Militärregierung, das Nationalkomitee für Demokratie und Entwicklung (CNDD), noch in diesem Jahr organisieren will. Aus demselben Anlass bekräftigte er, die regierende Offiziersriege werde sich an den Zeitplan halten, der im März dieses Jahres einem Bündnis von Oppositionsparteien und Bürgerinitiativen versprochen worden war. Er sieht Parlamentswahlen am 11. Oktober vor, gefolgt von der Wahl des nächsten Präsidenten am 13. Dezember.
Beobachter in Guinea zweifelten immer mehr daran, dass die Junta der Macht wieder entsagen werde. Am 15. April hielt Camara eine Rede, in der er mit harten Worten die Oppositionsparteien und die »politische Klasse« angriff, die seine Offiziersriege »nicht respektieren« würden. Er drohte damit, selbst als Kandidat anzutreten. Nun hat er solche Absichten dementiert. Innenpolitische Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass in Conakry auch des öfteren Jugenddemonstrationen stattfinden, bei denen der Putschistenpräsident dazu aufgefordert, er möge sein Mandat verlängern und möglichst lange an der Macht bleiben. Sie zweifeln am spontanen Charakter dieser Aufmärsche.

Camaras Ankündigung kam zur rechten Zeit, denn am Vortag hatte es erstmals offenen Aufruhr gegen die regierenden Militärs gegeben. Das Vertrauen, das der CNDD bislang in breiten Kreisen der Bevölkerung genoss, weil ihm zugute gehalten wird, das extrem korrupte Regime der alten Oligarchie abgesetzt und die wachsende Gefahr eines ethnisierten Bürgerkriegs gemindert zu haben, schmolz in den vergangenen Wochen dahin.
Am Samstag der vorvergangenen Woche kam es in der Hauptstadt Conakry zu einer spontanen Demonstration von rund 1 500 Menschen, nachdem am Tag zuvor schwer bewaffnete Uniformierte, möglicherweise als Soldaten verkleidete Kriminelle, ein Geschäft ausgeraubt und die Kasse mitgenommen hatten. Noch am Abend kam es zu Unruhen, bei denen Jugendliche mit Steinen und anderen Wurfgeschossen gegen die Gendarmerie vorgingen und die Sicherheitskräfte dann das Feuer eröffneten. Zwei Menschen wurden durch Schüsse verletzt.

Seit Monaten häufen sich in Guinea Berichte über Gewalt- und Straftaten, die von Militärs, oft mit vorgehaltener Waffe, begangen werden. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) publizierte dazu eigens einen Untersuchungsbericht, den sie am 27. April in der senegalesischen Haupstadt Dakar vorstellte. HRW hatte 19 gewaltsame Übergriffe dokumentiert, an denen Gruppen von jeweils bis zu 20 Soldaten beteiligt waren und zu denen die Organisation Augenzeugen befragen konnte. Die Soldaten hatten Häuser, Geschäfte, Restaurants, Büros und Krankenhäuser ausgeraubt, sich Geld, Autos, Computer und Fernsehgeräte angeeignet und einen Richter im Gerichtssaal mit der Waffe bedroht.
Es mag durchaus sein, dass diese Übergriffe nicht von der Armee angeordnet oder gedeckt wur­den. In vielen afrikanischen Ländern bereichern sich die schlecht bezahlten Polizisten und Soldaten auf eigene Faust. Doch nur in einem einzigen Fall, den HRW ermitteln konnte, reagierten Vorgesetzte. Es ging um die Vergewaltigung einer 15jährigen, für die der leitende Offizier sich persönlich bei der Familie entschuldigte. In anderen Fällen sind keine Missbilligungen oder Disziplinarstrafen bekannt.
Die staatliche Kampagne gegen den Drogenhandel dient als bequeme Rechtfertigung für alle möglichen Aktionen. Denn Drogen kann man schließlich überall suchen, auch in Wohnungen, Büros oder Restaurants. So durchkämmen Angehörige von Spezialeinheiten Wohnviertel in der Banlieue von Conakry und nahmen »Drogensüchtige« und »Prostituierte« fest, die sie auf Lastwagen abtransportierten. Rund 200 Verhaftete kamen kürzlich wieder frei. In der Regel treffen die Razzien Einwohner der Armenviertel, während ein Teil der örtlichen Bevölkerung sich ermutigt fühlt, auf eigene Faust gegen benachbarte »Lasterhöhlen« vorzugehen.

Tatsächlich wurde das Drogengeschäft unter dem alten Regime in Guinea zu einem Problem. In der Schlussphase der Herrschaft Lansana Contés waren die Machthaber bereit, mit kolumbianischen Kartellen zu kooperieren. Die Drogenhändler benutzten das Land und seine diplomatischen Einrichtungen im Ausland als Umschlagplatz für den Transport nach Europa.
Die relativ jungen Offiziere, die vor sechs Monaten die Macht übernommen haben, waren an diesem Geschäft anscheinend nicht oder kaum beteiligt worden. Sie bekämpfen den Drogenhandel, auch um sich den Großmächten wieder anzunähern. Die zeitweilig eisig gewordenen Beziehungen zur früheren Kolonialmacht Frankreich scheinen sich zu verbessern. Im französischen Parlament wird derzeit ein Gesetzesentwurf zur Neudefinition der Beziehungen mit Guinea erarbeitet. Der parlamentarische Berichterstatter führt in seiner Begründung für den Entwurf explizit aus, dass insbesondere die reichhaltigen Erzvorkommen in Guinea von Interesse seien. Die USA und Russland hingegen, die unter Lansana Contés Regime Privilegien genossen, halten derzeit noch Distanz zum »illegalen« Militärregime.
Dass Camara auf die Präsidentschaft verzichten will, könnte ebenfalls zur Verbesserung der Beziehungen mit den Großmächten beitragen. Den unzufriedenen Teilen der Bevölkerung legt er nahe, einfach abzuwarten statt zu protestieren, und auch für Machtkämpfe unter den Offizieren gibt es nun weniger Anlass. Allerdings wäre Camara nicht der erste Putschist, der vor den Wahlen doch noch zu dem Schluss kommt, er sei unentbehrlich für die Staatsführung.