Kollektive Abschiebungen von Migranten in Italien

Endstation Tripolis

Die italienische Regierung lässt keine Migranten mehr an Land kommen und führt kollektive Abschiebungen nach Libyen durch. Möglich machen das die europäische Gesetzgebung, die italienisch-libysche Freundschaft und der herrschende rassistische Konsens in Italien. Während Hunderte von Flüchtlingen vorige Woche ins diktatorisch regierte Libyen zurückgeschickt wurden, verabschiedete das italienische Parlament ein »Sicherheitspaket«, das illegale Migration unter Strafe stellt.

Die Nachricht, dass Anfang Mai 227 Flüchtlinge vor der Mittelmeerinsel Lampedusa aufgegriffen und von der italienischen Marine nach Libyen zurückgeführt wurden, erregte Aufsehen in ganz Europa. Das UN-Flüchtlingskommissariat beschränkte sich allerdings darauf, sich »tief besorgt« zu erklären. Die Migranten seien ohne Überprüfung ihres möglichen Bedarfs an internationalem Schutz abgeschoben worden, die italienische Regierung solle die Flüchtlinge umgehend aus Libyen zurückholen, lautete die Forderung. Doch daran denkt die Regierung von Silvio Berlusconi nicht. Ganz im Gegenteil: Innenminister Roberto Maroni zeigte sich trotz internationaler Kritik stolz auf das »italienische Abschiebemodell«.
Überhaupt gehören Rückführungen längst zur gängigen Praxis der »Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen« (Frontex). In einer im vergangenen Jahr erschienenen Broschüre mit dem Titel »Abdrängen und Zurückweisen« beschreibt die NGO Pro Asyl diese aggressive Abschottungsstrategie der EU. Allerdings gibt es von Frontex selbst kaum Informationen, die Dokumentation stützt sich vor allem auf Zeugenaussagen von Flüchtlingen.
Im Unterschied dazu wurden über die italienische Rückführungsaktion in der vergangenen Woche nun Details bekannt. »Es war die infamste Anordnung, die ich je ausgeführt habe«, wurde einer der Militärs, der für die italienische Küstenwache im Einsatz war, von der Tageszeitung La Repubblica zitiert. »Vielen der Flüchtlinge ging es schlecht, einige hatten schwere Verbrennungen, die schwangeren Frauen machten uns am meisten Sorgen«, erzählte er dem Autor einer erschütternden Reportage über die Rückführung der Migranten. »Als wir sie von ihren Booten an Bord geholt hatten, bedankten sie sich für die Rettung. In diesem Augenblick, da ich ja wusste, dass wir sie zurückschicken mussten, krampfte sich mein Herz zusammen.« Die insgesamt 200 Flüchtlinge seien verwundert gewesen, dass die Fahrt nach Lampedusa so lange dauere. Erst bei der Ankunft in Tripolis sei ihnen klar geworden, dass sie wieder dort angekommen waren, wo ihr Alptraum begonnen hatte. Aus Angst vor Sanktionen gestehen die Polizeikräfte ihr schlechtes Gewissen nur anonym ein, doch immerhin helfen ihre Aussagen, den Verlauf der Abschiebung offenzulegen.
Obwohl Menschenrechtsorganisationen keinen Zugang zu den libyschen Gefängnissen und Flücht­lingslagern gewährt wird, ist ist bekannt, was die abgeschobenen Flüchtlinge in Libyen erwartet. Viele von denen, die es nach Europa schaffen, berichten in den Medien von inhumanen Lebensbedingungen und schweren Misshandlungen durch libysche Polizisten.

Als die drei fraglichen Flüchtlingsboote Anfang Mai in Seenot geraten waren, befanden sie sich wenige Meilen südlich von Lampedusa in einem Gebiet, für dessen Kontroll- und Rettungsdienst Malta zuständig ist. Die maltesischen Behörden orteten die Schiffbrüchigen und forderten Italien auf, die Rettung zu organisieren, da der nächstgelegene Hafen an der italienischen Küste liege.
Seit Jahren schwelt der Konflikt zwischen Malta und Italien hinsichtlich der Zuständigkeiten in extraterritorialen Gewässern. Die Regierung in Rom verweist darauf, dass der kleine Inselstaat EU-Gelder bekomme für die Übernahme dieser Search-and-Rescue-Dienste. Die Regierung in Valletta behauptet dagegen, dass in Seenot geratene Flüchtlinge immer zum nächstgelegenen Rettungs­hafen, also in der Regel Lampedusa, gebracht werden müssten. Erst im April war ein türkischer Frachter, der 150 Flüchtlinge aufgenommen hatte, wegen dieser Streitfrage fünf Tage im Meer aufgehalten worden, ehe er endlich auf Sizilien anlegen durfte.
Auch dieses Mal hatte die maltesische Küstenwache darauf bestanden, dass italienische Kollegen die Rettung übernehmen.
Die Marine bekam daraufhin aus Rom überraschend den Auftrag, die Flüchtlinge nicht wie üblich nach Lampedusa zu bringen, sondern umgehend nach Libyen zurückzuführen. Innenminister Maroni bezeichnete die Aktion als einen »historischen Wendepunkt«: Italien werde die »Illegalen« künftig nicht mehr ins Land lassen, und damit sei auch »das Problem mit Malta« gelöst. Die Rückführung gilt ihm als Teil des gerade in Kraft getretenen bilateralen Abkommens mit Libyen, das die Einrichtung gemeinsamer Grenzpatrouillen entlang der nordafrikanischen Küste vorsieht und das Abfangen und die Rückführung von Flücht­lingsbooten garantieren soll. Einzelheiten des italienisch-libyschen »Freundschaftsvertrags«, in dessen Rahmen der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi den Italienern den »Freundschaftsdienst« versprach, die Migrationswelle zu stoppen, sind nicht bekannt. Anfragen der Opposition, welchen Gesetzen die gemischten Patrouillen im Falle nachweisbarer Verstöße gegen die Menschenrechte unterstünden, blieben bisher unbeantwortet.
Genau diese Frage drängt sich nun aber auf. Internationale und italienische Menschenrechtsorganisationen werfen Italien vor, gegen die Non-Refoulement-Regelung zu verstoßen. Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 verbietet die Abschiebung von Flüchtlingen in Gebiete, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind. Libyen aber hat die Genfer Vereinbarung nie unterzeichnet, und die Missstände in den libyschen Gefängnissen und Flüchtlingslagern sind hinlänglich dokumentiert.
Auch die Europäische Menschenrechtskonvention enthält das Non-Refoulement-Prinzip. Doch die Institutionen der Europäischen Union halten sich mit Kritik an Italien auffällig zurück. Zwar protestierte Thomas Hammarberg, der für Menschenrechtsfragen zuständige Vertreter des Europarats, gegen den offenen Verstoß gegen internationale Konventionen, doch sein Generalsekretär Terry Davis distanzierte sich umgehend von ihm und forderte lediglich, Italien solle auf »einseitige Initiativen« verzichten. Das triumphale Auftreten des italienischen Innenministers bringt Brüssel in Verlegenheit. Der für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissar Jacques Barrot ließ seinen Pressesprecher erklären, man sei sich der Schwierigkeiten, mit denen Italien angesichts seiner geographischen Lage konfrontiert sei, bewusst und wisse um die Notwendigkeit, das Problem auf europäischer Ebene zu lösen. Frontex arbeitet schließlich wesentlich diskreter als die italienischen Rechtspopulisten, die mit ihrer Rückführungspolitik nebenbei noch Wahlkampf betreiben.

Die rassistische Hetze der Lega Nord gegen die clandestini bestimmt seit Jahren die politische Debatte in Italien. Dass die Migranten allein durch ihre Aufnahme an Bord eines für die Rückführung bereitgestellten Marineschiffs den italienischen Rechtsraum betreten und somit sogar nach dem restriktiven Immigrationsgesetz Anspruch auf ein ordentliches Asylverfahren hatten, wird kaum wahrgenommen. Ebenso wenig wie die Statistik der vergangenen Jahre, die belegt, dass mehr als die Hälfte der in Lampedusa gestrandeten boat people als schutzbedürftig anerkannt wurden, also »regulären« Anspruch auf Asyl hatten.
Auch für die liberale Opposition steht außer Frage, dass der Flüchtlingsstrom der »Regulation« bedarf. Der alte, einst von Otto Schily eingebrachte Vorschlag, Aufnahmelager in Nordafrika zu finanzieren, in denen eine EU-Behörde prüfen würde, wem die Überfahrt auf den europäischen Kontinent gestattet werden soll, gilt allgemein als eine Lösung, die mit dem in diesen Tagen ständig beschworenen katholischen Gewissen in Einklang steht.
Der Abschottungsoffensive an den Außengrenzen entspricht in Italien die zunehmende Aggression im Inneren. Das seit Monaten diskutierte umstrittene »Sicherheitspaket« wurde vergangene Woche im Parlament verabschiedet: »Illegale« Einreise wird unter Strafe gestellt, die clandestini können bis zu sechs Monaten in den Abschiebegefängnissen festgehalten werden und müssen mit bis zu 10 000 Euro Geldstrafe rechnen. Ein Antrag auf »reguläre« Aufenthaltsgenehmigung wird künftig nur noch gegen Bezahlung einer Gebühr von 200 Euro ausgestellt werden. Die Vorlage einer Aufenthaltsgenehmigung wird für alle zivilrechtlichen Vorgänge, wie die Anmeldung eines Neugeborenen oder die Einweisung in ein Krankenhaus künftig Pflicht. Gesetzlich verankert wird im »Sicherheitspaket« auch das Denunzieren von »illegalen« Migranten durch italienische Bürger. Staatsangestellte oder medizinisches Personal in Krankenhäusern können künftig Einwanderer, die keine gültigen Papiere vorweisen können, bei der Polizei melden. Von dem Gesetz sind potenziell auch Italiener betroffen. Bis zu drei Jahren Haft sieht das Paket vor für Personen, die den »Illegalen« eine Unterkunft anbieten oder eine Wohnung vermieten.
Auch die Bürgerwehren der Lega Nord wurden endgültig legalisiert. Sie marschieren mit stolzgeschwellter Brust, ihr nächstes Ziel haben sie anlässlich der Kommunalwahlen in der lombardischen Provinz bereits ausgegeben: Extraabteile in der Metro nur für Mailänder.