Über den deutschen Sportjournalisten Ernst Werner

»Kolossale Neger-Oberschenkel«

Ernst Werner – eine deutsche Sportjournalisten-Karriere.

In »Elf Freunde müsst ihr sein«, jenem Jugendbuch, das vor einigen Jahren eine Monatszeitschrift zu ihrem Namen inspirierte, ist Ernst Werner von der Fußball-Woche ein humorvoller, bescheidener Mann des Volkes, einer, dem jeder Fußballfan einmal die Hand drücken möchte. Die Figur tritt in dem 1955 erschienenen Buch, das auf den Erinnerungen des Autors Sammy Drechsel an seine Jugend in den dreißiger Jahren basiert, auf dem Höhepunkt der Handlung in Erscheinung: beim Endspiel um die Berliner Schulmeisterschaft. Werner ist unter den Zuschauern, und »Papa Kamke«, der Vater der Hauptfigur, macht »große Augen«, nachdem sich der Journalist vorgestellt hat: »›Sie sind der berühmte E.W.?‹ – ›Ja‹, bestätigte der andere. ›E. W. bin ich ohne Zweifel. Das mit der Berühmtheit kann man nie so genau wissen.‹« Nach dem Finale sitzen die Spieler beider Teams »im Halbkreis um den berühmten Sport-Journalisten« und lauschen dessen Erzählungen, und schließlich verschafft der generöse E. W. dem Romanhelden Heini Kamke sogar einen Ausbildungsplatz bei der Fußball-Woche.
Der wirkliche Werner, 1899 geboren und bereits 1924 Chefredakteur bei der Fußball-Woche geworden, konnte aber auch ganz anders: 1928 schrieb er in seinem Blatt über einen Fifa-Kongress und äußerte sich dabei über Hugo Meisl, der einst das österreichischen »Wunderteam« trainierte und später als Funktionär den Mitropa­cup erfand, einen Vorläufer der späteren Europa­pokalwettbewerbe, sowie Felix Linnemann, den damaligen Präsidenten des DFB: »Im Plenum ist Hugo Meisl, der Wiener Jude, mit der Geschmeidigkeit seiner Rasse und ihrem zersetzenden Sinn einer der größten Kartenmischer. Er und der deutsche Fußballführer Felix Linnemann – zu Hause ein geschätzter Kriminalist – sind die stärksten Gegensätze, die man sich denken kann. Der eine ein Vertreter krassen Geschäftemachens mit Fußball, der andere ein Apostel des Amateurismus.« Werner, vom Fußballhistoriker Rudolf Oswald als »Radau-Antisemit« bezeichnet, brachte somit die besten ideologischen Voraussetzungen mit, um auch nach der Machtübernahme der Nazis weiterhin Chefredakteur zu bleiben.
1941 blickte Werner zurück auf einen Versuch der Gebrüder Ernst und Otto Eidinger, die es gewagt hatten, im Jahr 1920 einen Profi-Spielbetrieb in Konkurrenz zum DFB zu organisieren – zu einer Zeit, als der Verband vehement die Amateurismus-Ideologie vertrat. Dieses Projekt der beiden Brüder sei von »semitischer Schläue« gekennzeichnet gewesen, analysierte der Sportjournalist. Selbst vordergründig unverdächtige Texte entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Ideologie pur, etwa ein Bericht über den 7:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn im April 1941: »Es war, wie es sein soll: ein Sieg der Mannschaft. Nur eine Elf von so hoher Harmonie und mannschaftlicher Geschlossenheit konnte eine so sensationelle Torquote erzielen.« Nicht unerwähnt bleiben durfte das »vollkommene Mittelstürmerspiel« Fritz Walters: »Solche aalglatte Geschmeidigkeit, solche verblüffende Wendigkeit und Findigkeit im Ausweichen, solch kaskadenweises Hervorbringen immer wieder neuer Tricks – das ist einfach noch nicht dagewesen, möchte man sagen. Und Walters Höchstleistung stand jeden Augenblick im Dienste der Mannschaft!«
Über die Zwischenstation Frankfurt zog es Wer­ner 1957 nach Lübeck zur Wochenzeitung Sport-Megaphon, die in den anderen norddeutschen Bundesländern unter den Titeln Sport und Nieder­sachsen-Sport erschien. Bei der damaligen Konkurrenz des Kicker wirkte er zunächst als Chefredakteur sowie nach seinem Ruhestand noch als freier Mitarbeiter – und das immerhin bis 1978, als er bereits 79 Jahre alt war.
Auch andere Sportjournalisten, die während der NS-Zeit willfährig waren, konnten in der Bundesrepublik so gut wie ungehindert ihren Weg weitergehen – wie es in allen gesellschaftlichen Bereichen üblich war. Paul Reymann etwa, Kriegsberichterstatter der Marine und Verfasser von Propagandaromanheftchen in der Reihe »Kriegsbücherei der deutschen Jugend«, war einer der anwesenden Reporter, als einen Tag nach dem offiziellen Sendestart des bundesdeutschen Fernsehens im Dezember 1952 das DFB-Pokalspiel St. Pauli gegen Hamborn 07 live übertragen wurde.
Aber das Besondere am Fall Werner ist, dass er bis in die späten siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts über Fußball schreiben konnte, wie er es seit den zwanziger-Jahren getan hatte – und somit eine Ideologie am Leben hielt, für die Rudolf Oswald den Begriff »Fußball-Volksgemeinschaft« gefunden hat (siehe Jungle World 10/09). In Werners Nachkriegstexten finden sich unterschiedliche Versatzstücke dieses Gedankenguts: 1949 pries er in seinem Buch »Die Welt des Fußballs« mal wieder die »Unterordnung« des Einzelnen und den »Dienst an der Mannschaft« – wie einst in seiner Lobeshymne nach dem Länderspielsieg gegen Ungarn. Und im April 1957 sichtete er bei einem Freundschaftsspiel des brasilianischen Esporte Clube Bahia in Hamburg »dunkelhäutige Riesen der verschiedensten Farbnuancen, von tiefschwarz bis mokkahell« und »kolossale Neger-Oberschenkel«. Das mag vielleicht noch als üblicher Alltagsrassismus der fünfziger Jahre erscheinen. Dass Werner die Herrenmenschen-Ideologie noch nicht vollständig abgelegt hatte, offenbarte aber spätestens seine Einschätzung der »langen komplizierten Namen, die an alte portugiesische Rittergeschlechter erinnern, obwohl sich hinter ihrem Träger irgendein Neger verbirgt«.
Zwei Jahre später, im Juni 1959, klingen im Sport-Megaphon Motive der alten Amateurismus-Ideologie an; seine Antipathie gegen Fußballer, die fürs Spielen Geld bekommen, vermochte Werner immer noch nicht zu verbergen. Es ging um die vermeintlich laxe Haltung der Vereine gegenüber ihren Spielern: Erstgenannte begäben sich, wenn die Kicker »den Durchschnitt nur bescheiden zu überragen beginnen, in ihre Hände« und ließen sich »Konzessionen abpressen« oder gewährten sie »freiwillig«.
Seinem Ruf in der Nachkriegszeit tat all das keinen Abbruch. Fatal ist letztlich vor allem, dass Werner in der Bundesrepublik auch die Gelegenheit bekam, sich schönfärberisch über das Verhältnis von Fußball und Nationalsozialismus zu äußern – was ihm als Mitläufer natürlich eine Herzensangelegenheit war. Im Sport-Megaphon 21/75 antwortete Werner in einem Leit­artikel auf jene berühmte Rede, die Walter Jens zum 75jährigen Jubiläum des DFB gehalten hatte und die heute als Beginn einer kritischen Beschäftigung mit dem Thema Fußball und Nationalsozialismus gelten kann. Der Vortrag sei eine »Beleidigung« der »führenden Männer der großen Landesverbände« gewesen. »Sie und die DFB-Spitze«, nämlich der NS-Fußballboss Linnemann und die DFB-Präsidenten der Nachkriegszeit – von Peco Bauwens bis Hermann Neuberger –, hätten »das sporthistorische Verdienst, dass der Hochleistungsfußball nicht gewinnsüchtigen Unternehmen in die Hände fiel, sondern bei den Vereinen blieb«. Ein recht krudes Weltbild, das der Veteran da gemalt hatte. Ohne Jens direkt anzusprechen, zählt Werner ihn zu den »Kritikern des DFB, für die die Beschäftigung mit den Problemen einer Massenbewegung wie der des Fußballsports erst 1945 oder später begonnen hat«.
In vielerlei Hinsicht klingt hier der Linnemann-Meisl-Vergleich von 1928 nach: Linnemann ist in Werners Weltbild auch ein halbes Jahrhundert später noch immer ein Guter, es spielt beispielsweise keine Rolle, dass der langjährige DFB-Chef einen sehr hohen Rang in der SS bekleidete (Standartenführer). Die Geschäftemacher dagegen sind immer noch die Bösen – wer auch immer mit den »gewinnsüchtigen Unternehmen« gemeint ist, vor denen der DFB den Fußball bewahrt haben soll. Nur von Juden ist jetzt keine Rede mehr.
Einen seiner letzten ideologischen Rundumschläge formulierte Werner im Dezember 1977 in der Kolumne »Schnappschüsse« im Sport-­Megaphon: »Stirbt König Fußball eines Tages an Entartung?« lautet die Überschrift. Hohe Trainergehälter in der Bundesliga, Hooligans in Millwall, vermeintlich von der BBC für ihr Agieren in einem Dokumentarfilm bezahlt, und ein ziemlich ruppiges WM-Qualifikationsspiel zwischen Jugoslawien und Spanien – diese drei recht heterogenen Begebenheiten nahm Werner zum Anlass für die nicht allzu subtile Überschrift. »König Fußball«, resümiert er, sei »drauf und dran, von denen umgebracht zu werden, die sich seine Anhänger nennen.«
Aufgefallen war dem pessimistischen Kolumnisten wenigstens, dass seine Sicht der Fußball-Welt nicht mehr mehrheitsfähig war. Ernst Werner, der 1975 bei seiner Attacke gegen Walters Jens noch kämpferisch geklungen hatte, wirkte jetzt resigniert. An einer Stelle des Textes heißt es: »Über all dem geht allerdings der sportliche Gedanke vor die Hunde. Wen kümmert das schon. Einen beinahe Achtzigjährigen wie mich vielleicht, aber auch diese Stimme wird bald schweigen.«