Europa-Wahlkampf im Netz

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Das »Superwahljahr« hat begonnen. Für die Bundestagswahl werden Programme verabschiedet, für die Europa-Wahl stehen bereits die ersten Reklametafeln am Straßenrand. Die großen Parteien sind überall präsent. Doch was machen all die vielen kleinen Partikelparteien? Wahlkampf im Netz.

Bei der MLPD hat man erstaunlicherweise ein deut­lich gestörtes Verhältnis zur Farbe Rot. Jedenfalls lässt die parteieigene Webpage darauf schließen, die nicht etwa in der knalligen Revolutionsfarbe gehalten ist, sondern in Bürgerlich-blau, ohne Zweifel zivilgesellschaftlichem Ockergelb und nur einem Hauch von SPD-Rot.
Das ist ein zumindest farblich indiskutabler Auftritt für eine Partei, die von sich stolz behauptet: »Die Positionen der MLPD sind so knallhart wie die Geschichte der kommunistischen Bewegung.« Da entschädigt auch das integrierte »Sozialismus-Forum« nicht, in dem wirklich ausgesprochen tolle Sachen geschrieben stehen, beispielsweise: »Keine Ehrlichkeit jedoch dem Klassenfeind (die wagen wir ja auch nicht zu entfachen – nicht in dem Sinne). Wir sind keine Pazifisten. Wir entfachen / erzwingen die einzig wahre Vernunft und müssen damit, im Allgemeinen, am offensten für Kritik sein.« Oder auch: »Könnte mal jemand das Wort ›absent‹ ins allgemeinverständliche übersetzen?«
Weil die MLPD nicht für die Europa-Wahl kandidiert, führt der einzige Wahllink zur »Bundestagswahl«, wo man Listen von Bundestagskandidaten und ähnliches downloaden kann. Vor allem viele Anregungen gibt es – etwa zum Lesen (»Lehren aus dem sozialistischen Aufbau in der Sowjet­union«) und für Bastelarbeiten (SPD-Plakate ummalen). Ansonsten ist man stolz (»mit dem VIII. Parteitag der MLPD wurden nämlich auch die Organisationspolitischen Grundsätze von REBELL und MLPD erweitert und aktualisiert«) und übt sich in allgemeiner Arbeiterverherrlichung – in bleu.

Ebenfalls in Blautönen, dafür aber ganz ohne Working Class, zieht die Partei für Arbeit, Umwelt und Familie (AUF) in den Europa-Wahlkampf. Die Homepage, reichlich mit Blümchenbildern und Fotos von Personen verziert, präsentiert sogar ein Wahlvideo, sachkundig eingebunden, in abspielbarem Format und, vermutlich weil man bei der Partei auf Kontinuität setzt, mit Personen. Die stehen jedoch nicht vor einem Blümchenbeet, sondern vor einem Waldsee, was den Eindruck optischer Geschlossenheit leicht schmälert. Aber die Kandidaten der »Christen für Deutschland«, so einer der zahlreichen Untertitel der Partei, sind allesamt frisch gewaschen und hübsch frisiert, was ja auch wichtig und immer sehr nett anzusehen ist.
Überhaupt, Blümchen sind in Splitterparteikreisen ziemlich angesagt. Oder zumindest Blühendes. Die Freien Wähler Bayern (FWB) präsentieren auf ihrer Internetseite jedenfalls einen blühenden Kirschbaum neben einer stilisierten aufgehenden Sonne. Das ist für die »frischen Wind für Europa« fordernde bajuwarische Partei ein eindeutiger Fall von »Claim verfehlt«. Bei den FWB kandiert nämlich Gabriele Pauli, ja, genau, die mit den Latexhandschuhen. Warum die Partei die langweiligen Kirschblüten nicht einfach gegen eines der Erotikbildchen ausgetauscht hat, um wenigstens ein bisschen Traffic auf die Seite zu ziehen, wird wohl ewig das Geheimnis der Kämpfer gegen eine dritte Startbahn für den Münchner Flughafen bleiben.

Die fehlende Erotik dürfte die Konkurrenz von der Feministischen Partei aus ideologischen Gründen sicher sehr freuen. Denn die will nach Europa, um den allgemeinen Frauenschutz zu fördern, und dazu gehört vermutlich auch, dass keine Frau es mehr nötig haben soll, Latexhandschuhe anzuziehen. Oder so. Die ansonsten funktional-schmucklose Website der Feministischen Partei wird von einem Ding dominiert. Es ist rund, rot, grün und orange und erinnert an eine Schießscheibe, was aber natürlich nicht sein kann, denn das wäre nun wirklich viel männliches Mackertum für eine Seite, deren Zähler explizit mit »Zählerin« übertitelt ist. Gut, ganz ausgeschlossen ist es nicht, dass den Damen im Eifer des Webdesigngefechts eine Zielscheibe durchgerutscht ist, denn sie haben auch vergessen, den Kalender in der Linksnavigation in »Kalenderin« umzubenennen, und außerdem glatt übersehen, dass das einzige Foto auf der Startseite einen Mann zeigt, der – aha! – Zettelchen mit dem komischfarbenen Kreis hochhält.
Aber das ist ja eigentlich auch vollkommen okay, denn jeder darf schließlich ganz allein entscheiden, was er sein mag, was er wählen möchte und wofür er sich engagiert – und da ist die Entscheidung für die Frauenpartei nicht die schlechteste, wie ein Blick aufs Wahlprogramm verrät. Wäre da nicht dieser Kreis. Stumm, blödfarben und erklärungslos prangt er auf der Starteite, auf der sonst sicherheitshalber alles bis ins Kleinste erläutert wird – die Parteiadresse, die Parteitelefonnummer, die Parteibankverbindung, und, ja doch: die URL der Parteiwebpage. Die entspricht zwar genau der, auf der man sich gerade befindet, aber vielleicht macht der blöde Kreis ja auch die Webseitengestalterin der Partei – »Webhexe« – ein bisschen rammdösig, niemand guckt schließlich gern dauernd auf ein rundes, nutzloses, farbiges Dingens.

Einen hochseriösen Anstrich versucht man sich bei der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (Büso), zu geben. Die Texte und Fotos stecken in ordentlichen Kästchen, das Logo ist verständlich – gut, die Buchstaben Büso lassen auch nicht allzu viel Interpretationsspielraum zu –, und hinterm blauen Header schimmert die Silhouette des Reichstags durch. Das wirkt angesichts der bevorstehenden Europa-Wahl ein ganz klein wenig deplatziert, aber wenn die Büso gern einen Reichstag im Titel will, dann soll sie ruhig einen haben. Denn trotz der staatstragend-kühlen Webpage wird dem Leser schnell klar, dass hinter dem Auftritt etwas ganz anderes lauert: Bei der Büso ist man nämlich äußerst böse mit den Mächtigen der Welt, die nicht auf sie hören wollen, und hat deswegen die Wirtschaftskrise auf die Menschheit losgelassen. Ja, wirklich! Und man denkt auch nicht dran, sie wieder zurückzupfeifen, wie die Parteivorsitzende Helga Zepp-LaRouche zuletzt am 18. April erklärte: »Die Krise wird so lange weitergehen, bis die Lösungen der Büso akzeptiert werden.«
Das sieht man bei den Newropeans anders, denn die finden aus ungeklärten, Frau Zepp-LaRouche sicher sehr ungehalten machenden Gründen, dass nur die Rezepte ihrer Partei gegen die Krise und überhaupt helfen. Welche das im Einzelnen sind, kann jedoch nicht sofort erforscht werden, denn zunächst muss eine andere wichtige Frage geklärt werden: Warum haben die neuen Europäer ein orangefarbenes Viech im Logo? Ein Viech, wohlgemerkt, bei dem es sich nicht um einen Stier handelt, was aus mythologischen Gründen ja naheläge, sondern eher um etwas Kleineres, Vierbeiniges, das von einem Stier oder einem handelsüblichen LKW platt gemacht wurde. Eine Eidechse? Oder doch ein Krokodil? Oder ein Salamander? Haben die Newropeans am Ende gar Lurchi umgebracht?
Bedauerlicherweise findet sich auf der Website nichts Erklärendes zum Logoviech, dabei wäre neben den Informationen über Kontonummer und akzeptierte Kreditkarten, den Neuigkeiten und einigen bunten Bildchen durchaus noch Platz für einen weiteren Infokasten gewesen. Diesen füllte man aber lieber mit dem Parteishop, denn die Newropeans, so der erste Eindruck, scheinen im Zweitgewerbe Kleiderhändler zu sein. T-Shirts, Basecaps, Parkas, Sweater, Polo-Shirts, alles da. Problematisch ist nur die Sache mit dem ungeklärten Viech, das auch auf jedem einzelnen Kleidungsstück prangt.

Für Killefitz wie Logos hat man bei manchen anderen Parteien dagegen absolut gar keine Zeit, zum Beispiel bei der Rentnerinnen- und Rentner-Partei (RRP), einer von gleich mehreren Vertreterinnen des Seniorenstimmenabgreifgenres. Bei der RRP hat man nämlich viel zu tun. Nicht nur, dass man dafür sorgen möchte, dass es »keine Macht mehr für Rentenlügner und Rentendiebe« gibt, nein, man muss nebenher auch noch ständig Offene Briefe schreiben und sie auf der Homepage veröffentlichen. Hauptsächlich an den Spiegel, der ein ganz übles Fachblatt für Rentnerhetze zu sein scheint, denn die Berichterstattung über eine Kundgebung der RRP in München fiel offenkundig nicht nach Wunsch aus. Insbesondere die im Artikel monierte Rechtschreibschwäche der Senioren, die auf einem Plakat den Namen der Kanzlerin um ein »e« beraubt hatten, will man bei der RRP nicht gelten lassen: »Offenbar lässt es Ihr beruflicher Stress nicht zu, Wichtiges von ›Peanuts‹ zu unterscheiden. Sie kennen München/BY nicht im Detail/in lokaler Schreibweise«, schreibt Parteimitglied Wendelin Blokesch, von dem man außerdem erfährt, dass er »heilfroh« darüber ist, sein Spiegel-Abonnement gekündigt zu haben.
Einen derart konstruktiven Europa-Wahlkampf können aber nicht nur bayerische Senioren führen. Im Brandenburgischen tritt die Partei 50plus an, die auf ihrer Homepage zu einem bitteren Fazit kommt: »Politik in Deutschland heute«, heißt es dort, sei »nur Streit, unsinnige Kompromisse, schlecht durchdachte Gesetze. Die Lasten dieser Politik trägt das Volk: Immer höhere Steuern und Abgaben auf der einen, Leistungskürzungen ohne Maß auf der anderen Seite. Mehr können SPD und CDU nicht. Sie sind verbraucht.« Und müssen deswegen abgewählt werden? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, denn unter »Wahlen aktuell: Termine – Fakten – Meinungen« findet man bis auf einen RSS-Feed-Button nichts.
So etwas wird bei der Freien Bürgerinitiative Paderborn (FBI) niemals vorkommen, denn dort hat man eine Mission: Die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung muss geändert werden, denn sie schreibt vor, dass Parteien nur Parteimitglieder zu Wahlen aufstellen dürfen. Oder so. Jedenfalls ist das ganz schlecht für Paderborn, wo »Filz, Verkrustung und Missstände« an der Tagesordnung sind. Und deswegen tritt die FBI nun im Verbund mit anderen Bürgerinitiativen zur Europa-Wahl an, denn dass die von ihr angestrebte »Neugründung der Stadtwerke in Paderborn« ein europäisches Topthema ist, versteht sich ja wohl von selbst.