Renovierung des Postnazismus

Über die ungewöhnlich scharfen Reaktionen der österreichischen Politik auf die jüngsten antisemitischen Vorfälle.

Österreich im Frühjahr 2009: In Serfaus, einem Urlaubsort in den Tiroler Bergen, verweigert eine Hotelbetreiberin einer jüdischen Familie ein freies Zimmer, da sie »schlechte Erfahrungen« mit Juden gemacht habe. Bei einem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz fallen Wiener Schüler durch antisemitische Pöbeleien auf. Bei der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Ebensee schießen vermummte Jugendliche, die vom FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache umgehend als »wirklich blöde Lausbuben« bezeichnet werden, mit Softguns auf Überlebende, grölen Nazi-Parolen und zeigen den Hitlergruß. Die Freiheitlichen, die bei den Europa-Wahlen mit etwa 17 Prozent der Stimmen rechnen können, schalten in der Krone eine Anzeige, in der sie nicht nur gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei wettern, sondern auch die antisemitischen Ressentiments der Leserschaft bedienen, indem sie sich gegen einen von niemandem ernsthaft diskutierten EU-Beitritt Israels in Pose werfen und die grüne, sozialdemokratische und konservative Konkurrenz im traditionellen Nazi-Jargon als »Handlanger der Amerikaner« denunzieren.
Nachdem Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) hinsichtlich des Nazi-Überfalls in Ebensee von »gegenseitigen Provokationen« gesprochen hatte, sah es anfangs so aus, als würde die postnazistische Kleinfamilie namens Österreich mit der ihr eigenen Mischung aus Abwehr, Verständnis, Zustimmung und Gelassenheit auf die Vorkommnisse reagieren. Doch die Häufung der Vorfälle hat die internationale Öffentlichkeit aufgeschreckt. In ganz Europa wurde über den Angriff berichtet. In den USA und Israel wurden Österreicher auf Serfaus angesprochen. Offensichtlich in Sorge um das Ansehen im Ausland entschied sich die sozialdemokratische österreichische Staatsspitze gegen die in den vergangenen Jahrzehnten von den Konservativen kultivierte Strategie des »Jetzt erst recht« und »Mir san mir«. Kanzler Werner Fay­mann verurteilte umgehend die antisemitische Stimmungsmache durch die antiisraelischen Inserate der FPÖ, während sich die ÖVP auffällig zurückhielt. Den FPÖ-Vorsitzenden erklärte der Kanzler angesichts des freiheitlichen Wahlkampf­slogans »Abendland in Christenhand« zum »Hass­prediger«, und nach dem Nazi-Angriff in Ebensee forderte er »mehr antifaschistische Aufklärungsarbeit«. Die Innenministerin musste sich für ihre »missverständlichen Äußerungen« entschuldigen. Und einer jener Schüler, die vorzeitig von der Auschwitz-Exkursion nach Hause geschickt wurden, flog von der Schule.
Für österreichische Verhältnisse sind das ungewöhnlich scharfe Reaktionen. Angetrieben von den Grünen und einigen solzialdemokratischen Politikern macht die Republik vorsichtige Schritte in Richtung Anpassung der anachronistischen postnazistischen Normalität Österreichs – in der vor wenigen Monaten noch ein Mitglied der rechts­extremen Burschenschaft Olympia von einer Mehrheit aus SPÖ und ÖVP zum dritten Nationalratspräsidenten gewählt wurde – an die modernisierte Variante des Postnazismus, wie sie aus der Bundesrepublik bekannt ist. Die geht in etwa so: Der Nationalsozialismus war eine schlimme Sache, offener Antisemitismus ist etwas für Nazis, und mit Israel erklärt man sich – bei aller Kritik – solidarisch; mit den Holocaustleugnern und ­Israelfeinden im Iran und in der arabischen Welt hingegen pflegt man den »Dialog« und finanziert sie durch die Intensivierung der ökonomischen Kooperation.
Mittlerweile scheint man auch in Österreich begriffen zu haben, dass dies im Vergleich zum antiquierten Verharmlosen und Beschweigen eine zeitgemäßere Form der Auseinandersetzung mit dem alten und neuen Nazismus darstellt: Bundespräsident Heinz Fischer verurteilt die Hetze der FPÖ gegen Moslems und Asylbewerber, findet aber offenbar nichts an der Ideologie des iranischen Ex-Präsidenten Khatami auszusetzen, der Israel eine »nicht heilbare Wunde, die dämonisches und ansteckendes Blut besitzt«, nannte, die Todesstrafe für Homosexuelle verteidigt und von Fischer in der Hofburg herzlich begrüßt wurde. Die Sozialdemokraten in der Bundesregierung warten in der Auseinandersetzung mit den Freiheitlichen neuerdings mit einem menschelnden Antifaschismus auf, empfangen aber den syrischen Baath-Faschisten Bashar al-Assad. Und der Kanzler empört sich über die antiisraelische Hetze der FPÖ, rührt aber keinen Finger, um der von der Österreichischen Wirtschaftskammer vehement betriebenen Intensivierung der Geschäftsbeziehungen mit dem Antisemitenregime in Teheran Einhalt zu gebieten.