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Die Wahlkampfarena hat während der Wirtschaftskrise durchgehend geöffnet. Sogar am Pfingstwochenende murmeln die Politiker und Politikerinnen »innovativ«, »zukunftsweisend« und »tragfähig« vor sich hin und verkünden, die soziale Marktwirtschaft retten zu wollen. Beziehungsweise das, was von ihr übrig geblieben ist.
»Wir müssen Firmen, die aus System- und grundsätzlichen Grün­den relevant sind, zu stabilisieren versuchen«, fordert der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering. »Systemrelevant« ist für ihn die Kaufhauskette Karstadt, die pleite ist und einen der 1 164 Anträge auf staatliche Unterstützung bei der KfW gestellt hat. Immerhin gehe es hier nicht nur um 56 000 Arbeitsplätze, sondern auch um den Erhalt deutscher Innenstädte. Eine »drohende Verödung« fürchtet Müntefering, und die überwiegend weiblichen Angestellten kennen »ohne Karstadt keine Innenstadt«, glaubt man dem, was bei ihrer Protestkundgebung in Wiesbaden auf einigen Plakaten geschrieben stand.
Wie auch immer, Karstadt gilt vielen als ein Relikt aus den siebziger Jahren, als Vollbeschäftigung, Sozialstaat und Massenkonsum noch keine Träume waren. »Ein seit Jahren nicht mehr zeitgemäßes Konzept und Sortiment«, urteilen Experten über die Unternehmenspolitik von Karstadt.
Aber nicht nur »zukunftsfähige Konzepte« sind die Voraussetzung dafür, um in den Genuss einer Förderung oder einer Bürgschaft durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu kommen. Auch muss die drohende Insolvenz im direkten Zusammenhang mit der Finanzkrise stehen. Und bei Karstadt kriselt es bekanntlich schon länger. Kein »Ausufern der Finanzspritzen« fordert Hans-Heinrich Driftmann, der Präsident des DIHK, und nach Roland Koch (CDU) verfüge Arcandor über das profitable Touristikgeschäft Thomas Cook, das man verkaufen könne. Auf privatwirtschaftliche Annäherungen seitens der Metro geht Arcandor bislang nicht ein, obwohl für den 12. Juni eine Kreditrückzahlung von 650 Millionen Euro ansteht. Vielleicht denkt der Konzern zeitgemäßer, als alle glauben, und konzentriert sich auf sein drittes Standbein. Mit Primondo, einem »führenden Homeshopping-Anbieter«, bräuchte man zum Einkaufen gar keine Innenstädte mehr.