Obama und die Muslime

Mullahs we can believe in

Einen Neubeginn im Verhältnis zu den Muslimen wünscht US-Präsident Obama. Doch über seine Kairoer Rede können sich vor allem jene freuen, die über die Mus­lime herrschen.

»Die islamische Welt braucht keine moralischen oder politischen Predigten«, meint Hassan Fadlallah, Parlamentsabgeordneter der libanesischen Hizbollah. Wer nun hofft, die Islamisten würden hinfort den Mund halten, wird enttäuscht. Denn Fadlallah möchte beim Predigen nur nicht vom US-Präsidenten gestört werden. Wie andere islamistische Kritiker der Rede, die Barack Obama am Donnerstag der vergangenen Woche in Kairo hielt, vermisst er einen »fundamentalen Wandel« in der US-Politik.
Gänzlich unrecht haben die Kritiker nicht, denn Obamas Rede unterschied sich mehr im Stil und den Nuancen als in der Substanz von den Aussagen seines Vorgängers. Bereits George W. Bush hatte den Koran zum Teil des amerikanischen Wer­tesystems erklärt und die US-Muslime für ihren »unglaublich wertvollen Beitrag für unser Land« gelobt, allerdings hörten seine Feinde ebenso wie seine antideutschen Freunde bei solchen Redepassagen wohl nicht hin.
Etwa 45 Prozent der US-Amerikaner besuchen wöchentlich einen Gottesdienst, sie erwarten, dass der Präsident hin und wieder von seinem Ver­hältnis zu Gott und den Wohltaten des Glaubens spricht. Ohne multikonfessionellen Konservatismus kann Obama schwerlich auskommen. Doch käme wohl kein US-Präsident auf die Idee, bei einem Besuch in China die konfuzianische Welt anzusprechen oder auch den wertvollen Beitrag des Marxismus-Leninismus zu preisen.
Wer hingegen an »die Muslime« und »den Westen« denkt, dem kommen unwillkürlich Bilder weißgewandeter, bärtiger und sehr, sehr wütender Männer in den Sinn, die US-Fahnen verbrennen, weil der Imam erzählt hat, dass in Guantá­namo ein Koran ins Klo gefallen ist. Der Realität in der »islamischen Welt« entspricht dieses Klischee nicht. In Saudi-Arabien, wo die allgegenwärtige Religionspolizei Betunwillige auch mal mit dem Schlagstock in die Moschee treibt, gehen nur 28 Prozent der Bevölkerung wöchentlich zum Gottesdienst. Die Ägypter mögen ihre Prediger etwas lieber, doch auch ihre religiöse Observanz erreicht nicht die der US-Amerikaner.

Eine große Koalition von Staatsklerikern, muslimischen Politikern und Islamisten hat es fertiggebracht, den Eindruck zu erwecken, es gäbe eine »islamische Welt«, einen ideellen Gesamtmuslim, der ein Problem mit den USA und dem Westen hat, weil diese dem Islam zu wenig Respekt entgegenbringen. Im Westen wird dieses Klischee von reaktionären Sozialromantikern der Linken wie der Rechten propagiert, vor allem aber von bürgerlichen Politikern, die den Islam als Ord­nungs­faktor einsetzen wollen.
Seit den siebziger Jahren stärkt die US-Außenpolitik den reaktionären Staatsislam und auch den Islamismus, sofern dessen antiwestliche Politik sich auf Rhetorik beschränkt. Zunächst dien­te diese Strategie dem Kampf gegen die Sowjet­union und deren linksnationalistische Verbündete, derzeit soll sie vor allem den Jihadismus schwächen.
Auch Bush hat muslimische Potentaten hofiert. Problematisch sind weniger die einzelnen Aussagen in Obamas Rede. Er hat den Holocaust und die Leiden der Palästinenser nacheinander zur Sprache gebracht und hätte deutlicher sagen müs­sen, dass er sich eine Gleichsetzung verbittet, betonte jedoch die »unzerstörbare Bindung«, also auch die Besonderheit der israelisch-amerikanischen Beziehungen. George Bush Senior, der 1991, nach dem ersten US-Krieg gegen den Irak, seinen arabischen Verbündeten etwas schuldig war, ging wesentlich rabiater mit der damaligen israelischen Regierung um und verzögerte wegen eines Streits über die Siedlungspolitik die Auszahlung eines Milliardenkredits.

Auch George W. Bush hatte die Forderung nach Demokratisierung immer wieder relativiert, ­Obama beschränkte sich auf das »Bekenntnis zu Regierungen, die den Willen der Bevölkerung widerspiegeln«, was auch jeder Diktator für sich in Anspruch nimmt, und einige Floskeln über Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Dass er säkulare Zwangsmaßnahmen wie das Schleierverbot ablehnt, entspricht der US-amerikanischen Tradition beinahe schrankenloser Freiheit für religiöse Gruppen. Ob er den reaktionären muslimischen Patriarchen auch noch diesen Ball hätte zuwerfen müssen, ist eine andere Frage.
Stil und Nuancen sind in einer in einer solchen Grundsatzrede von großer Bedeutung. Obama übertrifft noch den religiösen Konservatismus sei­nes Vorgängers und stellt sich an die Seite der Autokraten und Patriarchen. Er distanziert sich von der These, die Zivilisationen seien »zum Konflikt verurteilt«, konstruiert seine islamische Welt aber im Stil Samuel P. Huntingtons: weitgehend demokratieresistent, strikt religiös und von leicht reizbaren Menschen bevölkert, die man beruhigen muss, damit sie nicht ausrasten.
In früheren Zeiten sollen Könige sich zuweilen inkognito aus ihrem Palast geschlichen haben, um zu erkunden, was die Menschen wirklich über sie und die Welt denken. Obama hat diese Chance nicht, doch eine unerkannte Fahrt mit der U-Bahn in Kairo hätte ihm möglicherweise ganz andere Perpektiven eröffnet als eine Rede vor sorgsam ausgewählten Zuhörern an einer Universität, deren Studenten beim dort obligatorischen militärischen Training »Liebe zur Disziplin« lernen.
»Ich war mit der U-Bahn auf dem Heimweg«, be­richtet etwa die ägyptische Journalistin Mona Eltahawy, »als ich bemerkte, dass eine junge Ägyp­terin ein sudanesisches Mädchen belästigte.« Die Sudanesin, eine Schwarze, wagte nicht, sich zu wehren. Eltahawy, die kein Kopftuch trägt, stellte die Angreiferin zur Rede. »Ihre Mutter frag­te mich, warum ich mein Haar nicht bedecke, und ich antwortete, dass ich nicht so eine Heuch­lerin sein will wie sie und ihre Tochter.« Die Ignoranz anderer, die den Vorfall nicht beachteten, sei der Widerhall des Rassismus, der dazu führe, dass »das Leiden in Darfur ignoriert wird«.
In einer 55minütigen Grundsatzrede kommt es auch darauf an, worüber man schweigt. Nicht Obamas Hautfarbe verpflichtet ihn zur Kritik am arabischen Rassismus, über den auch Bush schwieg. Doch der Darfur-Konflikt verdeutlicht nicht nur die Heuchelei der muslimischen Autokraten und Patriarchen, denen der Tod von rund 300 000 Menschen, überwiegend Muslimen, völlig gleichgültig ist, weil es noch niemandem gelang, Amerikaner oder Juden dafür verantwortlich zu machen. Er beweist auch, dass der politisierte Begriff einer »islamischen Welt« eine Konstruktion ist, in der die real existierenden Muslime keine Rolle spielen.

Auch unter gläubigen Muslimen wachsen Zweifel und Widerstand. In vielen Ländern scheinen für Islamisten und Reaktionäre schwerere Zeiten anzubrechen. In Pakistan wächst der Abscheu über die Verbrechen der Taliban, mehrere linke Gruppen haben sich zur Labor Relief Campaign zusammengeschlossen und organisieren die Flücht­lingshilfe. Entgegen den meisten Prognosen verlor die von der Hizbollah geführte Koalition die Wahlen im Libanon. Eltahawy, deren Artikel »Das schmutzige Geheimnis der ara­bischen Welt: Rassismus« in zwei arabischen Zeitungen veröffentlicht wurde und unter Bloggern kursiert, erhielt in der vergangenen Woche eine libanesischen Journalistenpreis. In islamischen Staaten wie dem Senegal hat sich die parlamentarische Demokratie ohnehin längst stabilisiert. Yes, they can. Zum Glück auch ohne die Hilfe des US-Präsidenten.