Die Hauptkandidaten im iranischen Wahlkampf

Der Duft Khomeinis

Im iranischen Präsidentschaftswahlkampf wird heftig gestritten, obwohl sich alle vier vom Wächterrat zugelassenen Kandidaten politisch so gut wie einig sind. Denn auch der international als chancenreicher Reformkandidat aufgebaute Mir-Hossein Mousavi wirbt mit islamistischem Stallgeruch.

Westliche Medien geben sich zur zeit alle Mühe, den Präsidentschaftswahlen im Iran Sinn und Spannung abzugewinnen. Sie ließen es sich nicht nehmen, alle vier vom Regime vorsortierten Kan­didaten zu Interviews einzuladen. Aus diesen ließ sich durchaus einiges über den Charakter des ira­nischen Regimes und sein Führungspersonal erfahren. Ahmadinejad erklärte etwa dem Spiegel, dass er zum Vorwurf der Holocaust-Leugnung nichts zu sagen habe. Mohsen Rezai, ehemaliger Chef der Revolutionsgarden und von Interpol als Drahtzieher zweier Terroranschläge gegen jüdische Einrichtungen in Argentinien gesucht, gab zu, ein Freund des libanesischen Topterroristen Imad Mughniyeh gewesen zu sein, der im vergangenen Jahr bei einem Attentat getötet wurde. Der als Reformist fungierende Mehdi Karroubi erklärte, dass der Präsident hinsichtlich des Atom­programms nichts zu entscheiden habe, denn dies obliege dem religiösen Führer Ali Khamenei. Dem schließt sich auch der Lieblingskandidat des Westens, Mir-Hossein Mousavi, an, der es im Übrigen ablehnt, als Basis für Verhandlungen mit den USA und Europa die Urananreicherung auszusetzen.
Dennoch ließ es sich CNN nicht nehmen, Mousavis Frau Zahra Rahnavard, die ihren Mann im Wahlkampf aktiv unterstützt, als »Iran’s Michelle Obama« zu feiern. Selbst im persischsprachigen Programm des staatlichen US-Senders Voice of America wird zur Empörung vieler Exiliraner immer wieder suggeriert, es gebe innerhalb des iranischen Regimes relevante Alternativen zu Ahmadinejad.

Dabei dient die komplizierte Verfassung der Islamischen Republik mit den darin enthaltenen Bestimmungen zu den Wahlen der Herrschaftssicherung einer religiös-totalitären Clique. Die manipulierten Wahlen sollen der Islamischen Re­publik plebiszitäre Legitmation verschaffen. Für die politreligiöse Führung ist es denn auch weniger wichtig, wer die Wahlen gewinnt, als die Frage, welche Wahlbeteiligungsquote dem Westen als ›realistisch‹ verkauft werden kann. Zugleich soll der Urnengang der internen Schlichtung zwischen den konkurrierenden Gangs innerhalb des Regimes dienen.
Der westlichen Berichterstattung, die dieser Tage mit Reportagen über begeisterte Mousavi-Anhänger aufwartet, ist angesichts dessen nur bedingt zu trauen. Jegliche Berichterstattung aus dem Iran muss von Ershad, dem Ministerium für Kultur und islamische Führung, genehmigt und begutachtet werden. Der Journalist Bruno Schirra berichtet von seinen Erfahrungen aus dem Iran, dass es »für jede Reise innerhalb des Irans, für jede Recherche, für jeden Gesprächspartner eines Antrags bei Ershad« bedarf. »Dafür wurden drei halbprivate Medienfirmen etabliert, die sich um die Belange eines jeden ausländischen Journalisten kümmern. Was als Serviceleistung für Medienvertreter verkauft wird, ist hingegen nichts anderes als der Versuch, die totale Kontrolle über alle westlichen Journalisten zu erlangen.«
Daraus erklären sich die medialen Parallelwelten der Berichte aus dem Iran: Auf der einen Seite stehen die Reportagen von Auslandskorrespondenten, die versuchen, mit den Gesprächspartnern, die Ershad vermittelt, bunte und spannende Storys zu entwerfen – auf der anderen Seite die meist mit Handys aufgenommenen Bilder und Filme von Protesten in den Straßen und auf dem Uni-Campus, die in Blogs und Videoforen zirkulieren. Die Reaktionen des Regimes sind erst später den von Menschenrechtsorganisationen ver­breiteten Hilferufen oder Todesanzeigen zu entnehmen. Denn oft verhaften die Sicherheitskräfte Regimegegner erst nach deren Protesten in Nacht-und-Nebel-Aktionen. Die iranischen Repres­sionsorgane agieren umsichtig und vergessen nichts.

Der Außenwelt ein einheitliches Bild der Lage im Iran zu vermitteln, gelingt den Islamisten allerdings immer weniger. Nach offiziellen Angaben der iranischen Nachrichtenagentur FarsNews leben derzeit mehr als 80 Prozent der Menschen im Iran an oder unter der Armutsgrenze. Gleichzeitig fließen die Öleinnahmen in den Ausbau des Repressionsapparats, in die Unterstützung von Terroristen oder einfach in private Taschen. Präsidentschaftskandidat Rezai zufolge sind »340 Milliarden US-Dollar an Einnahmen vor allem aus dem Öl- und Gasgeschäft in den letzten Jahren verschwunden«. Nach 30 Jahren Terror und Verarmung ist die Lage im Iran explosiv.
Vor einer ähnlichen Situation stand die Islamische Republik bereits Ende der neunziger Jahre. Die Wirtschaftskrise und der diplomatische Druck, den die öffentliche Verurteilung der iranischen Führungsriege im Berliner »Mykonos-Prozess« ge­gen die Mörder iranischer Exilanten auslöste, machte die Präsentation neuer Gesichter dringlich. In dieser Situation ließ damals der Wächterrat die Kandidatur des so genannten Reformers Kha­tami zu, der alle möglichen gesellschaftlichen Veränderungen versprach. Vor allem Frauen und Jugendliche erhofften sich von ihm eine Besserung ihrer unerträglichen Lage. Khatami hatte aller­dings nicht vor, etwas Grundsätzliches am Sys­tem der Islamischen Republik zu ändern, noch konnte seine Wahl die Situation beruhigen. Im Ge­genteil: Die wenigen Zugeständnisse Khatamis ermutigten die Gegner des Regimes zu radikaleren Forderungen. Als sich im Sommer 1999 die Studentenproteste mit denen anderer Be­völ­ke­rungs­gruppen zu vereinen drohten, wurde die Re­volte unter Khatamis Verantwortung blutig niedergeschlagen.
Trotz seiner Verdienste für die Islamische Republik – vor allem in der außenpolitischen Image­aufbesserung – ist Khatami heute offenbar keine Option mehr für das Regime. Er zog seine Kandidatur zugunsten von Mir-Hosein Mousavi zurück. Dieser nennt sich selbst nun einen »fundamentalistischen Reformer« und wirbt auf Plakaten mit dem Slogan »Duft des Imam Khomeini«, als dessen treuer Gefolgsmann er sich in seiner Funktion als Ministerpräsident von 1981 bis 1989 bewährte. In Mousavis Amtszeit fallen etwa die Massenhinrichtungen von politischen Gegnern und die Abrichtung von Kindern als Kanonenfutter für den Krieg gegen den Irak. Dennoch wird der grüne Schal Mousavis in Medienberichten als Symbol einer »jungen grünen Welle gegen Ah­madinejad« gedeutet. Für Mousavi und die Islamis­ten generell ist die Farbe dagegen ein Symbol für die Märtyrerbereitschaft des dritten schiitischen Imam Hossein.
Dass sich Mousavi im Wahlkampf ab und an mit den Themen der Reformisten, mit »Meinungsfreiheit« und »Frauenrechten« im Sinne der Verfassung der Islamischen Republik, zu profilieren sucht, dürfte ihm dennoch wenig nutzen. Denn ihm steht mit Ahmadinejad ein selbstbewusster und aggressiver Amtsinhaber gegen­über, der sich der Unterstützung des religiösen Führers Kha­menei sicher wähnt. Khamenei hatte vor vier Jahren Ahmadinejads Aufstieg und die folgende Ersetzung der alten bürokratischen Elite durch Revolutionsgardisten protegiert und will diesen Kurs anscheinend fortsetzen.

Dennoch wird innerhalb der Machteliten heftig gestritten. Eine Fernsehdebatte zwischen Mousavi und Ahmadinejad endete in einer Schlammschlacht, in der Mousavi Ahmadinejad Betrügereien in seiner Amtszeit attestierte, während Ahmadinejad dem Führungspersonal der restlichen vergangenen 26 Jahre Korruption vorwarf. In einer weiteren TV-Show mit Ahmadinejad und Karroubi warfen sich die Kandidaten gegenseitig Lüge, Diebstahl und Gotteslästerung vor.
Trotz der harten Auseinandersetzung offenbart der Wahlkampf zwischen den Konservativen und den so genannten Reformern jedoch weniger deren politische Differenzen als die Gemeinsamkeiten der verschiedenen islamistischen Fraktionen. So warf etwa der ehemalige Atom­un­ter­händ­ler Hasan Rowhani Ahmadinejad vor, er spiele die Bedeutung seiner Vorgänger inklusive Mousavi für die Entwicklung des iranischen Atomprogramms herunter, um sich selbst als einsamen Helden zu präsentieren. Karroubi begründet seine taktische Kritik an Ahmadinejads Holocaust-Leugnung mit der Behauptung, diese schwäche den Kampf gegen Israel, da sie den Iran international isoliere. Als Mousavi Ahmadinejad vorwarf, seine Holocaust-Leugnung schade dem Regime im Ausland, zitierte Ahmadinejad im Gegenzug eine alte Rede von Mousavi, in der er die Stationierung iranischer Revolutionsgardisten im Libanon forderte und dies mit dem Ziel begrün­dete, Israel auszulöschen. Neben jenen Gemeinsamkeiten verweisen die stark personalisierten öffentlichen Auseinandersetzungen auf das, was nicht diskutiert wird und nicht zur Diskussion stehen darf: der Terror nach innen und außen, das Atomprogramm, der antiwestliche und antiisraelische Kurs.
Die säkulare Opposition setzt vor diesem Hintergrund auf keinen der vier Kandidaten und ruft zum Boykott der Wahlen auf. Streiks und Pro­teste sind alltäglich, obwohl die Protestierenden wissen, dass diese sie ihr Leben kosten können. An mehreren Universitäten empfingen die Studenten Mousavi mit Fragen zu seiner Rolle bei den Massakern an Regimegegnern in den achtziger Jahren: »Wo waren Sie 1988, und wie viele Menschen haben Sie ermordet?«

Die Hoffnungen der Regimegegner sind groß, denn das iranische Regime scheint heute innenpolitisch extrem instabil. Der Druck aus dem Aus­land nimmt dagegen ab. Allen voran deutsche Akteure versuchen das Zeitfenster zu nutzen, das die neue US-Regierung durch ihre Avancen an das iranische Regime geöffnet hat. Um die Beziehungen zum Iran auszubauen, müsse den Herr­schenden der Islamischen Republik »Regimesicherheit« garantiert werden, so etwa Johannes Reissner vom deutschen Think Tank Stiftung für Wissenschaft und Politik.
Die Stärke des iranischen Regimes lag aber schon immer außerhalb seiner Grenzen. Um sich der Solidarität der Islamisten weltweit zu versichern, betätigt sich das Regime seit 30 Jahren als Sponsor des globalen Jihadismus und tritt als Agent antiamerikanischer und antisemitischer Res­sentiments auf. Die Unterstützung der Europäer gewinnt das Regime, indem es ihnen lukrative öko­nomische Angebote macht.
Die Atombombe wäre die Krönung dieser Strategie – sie würde das Regime gegen jeglichen äußeren Druck sichern und seine Vormachtstellung in der Region untermauern. Deshalb hat Kha­menei beschlossen, den aggressiven Kurs der islamischen Republik fortzusetzen und zur Absicherung nach innen die paramilitärischen Elemente des Regimes zu stärken. Er verfährt dabei nach dem Motto, das Ahmadinejad in Bezug auf das Atomprogramm prägte und dem jeder zukünf­tige Präsident der Islamischen Republik folgen muss: »Der Iran besitzt nukleare Technologie. Die­ser nukleare Zug hat weder eine Bremse noch einen Rückwärtsgang. Wir haben sowohl die Brem­se als auch den Rückwärtsgang im Vorjahr weggeworfen.«