Die Ergebnisse der Europa-Wahl

Outsiders im Parlament

Konservativ bis rechtspopulistisch, so haben die Bürger Europas gewählt. Welche Folgen werden die Wahlergebnisse für die Politik in Strasbourg und Brüssel haben? Nicht nur linksliberale Mehrheitswünsche sind bei der Europa-Wahl zerplatzt. Angesichts der Stärke der EU-Gegner steht es auch für eine konservativ-liberale Mehrheit nicht besonders gut.

Der Gesichtsausdruck des Martin Schulz ließ keinen Zweifel zu. Dies sei ein sehr trauriger Abend für die Sozialdemokratie in Europa, erklärte der sichtlich erschütterte Fraktionschef der europäischen Sozialisten (SPE) am Sonntagabend per Live-Schaltung aus Brüssel. Wenige Minuten zuvor waren die letzten Wahllokale in der Europäischen Union geschlossen worden. Und mit jeder neuen Hochrechnung wuchs die Gewissheit: Dieser 7. Juni dürfte in die Geschichte der Partei als bittere Niederlage eingehen. Die Sozialdemokraten, die von 1979 bis 2004 die stärkste Fraktion im Europa-Parlament stellten, werden im neuen Parlament nur noch etwas mehr als 20 Pro­zent der Sitze haben, das sind fast sieben Prozentpunkte weniger als 2004.
Mit dem Ergebnis der SPE hat die Europa-Wahl einen klar erkennbaren großen Verlierer, doch die Wahlergebnisse bringen jede Menge politische Signale mit sich, die erst langsam durchsickern und den Brüsseler Politikalltag der nächsten fünf Jahre verändern könnten. Deutlich war auch die Wahlbeteiligung. Nur noch 43,4 Prozent der rund 375 Millionen Wahlberechtigten gingen am Wochenende an die Urne. In einigen der 2004 beige­tretenen ost- und mitteleuropäischen Mitgliedstaaten wählte nur jeder fünfte Bürger.

Doch auch ein immer größerer Teil derjenigen, die zur Wahl gegangen sind, haben ihre Skepsis gegenüber der EU ausgedrückt. Die Liste der Parteien, die erfolgreich rechtspopulistische und rechts­extremistische Töne angestimmt hat, ist diesmal länger denn je. In Österreich haben knapp 40 Pro­zent für FPÖ, BZÖ oder die Liste des EU-Gegners Hans-Peter Martin gestimmt. In Großbri­tannien setzte sich die United Kingdom Independent Party als drittstärkste Kraft des Landes noch vor der Labour Party durch. Das niederländische Ergebnis hatte bereits zum Auftakt deut­lich gemacht, dass rechtspopulistisches Gedankengut weit in die Mitte der Wählerschaft vorgedrungen ist. Die Liste von Geert Wilders holte dort 17 Prozent. Auch in Osteuropa konnten rechts­extremistische Parteien teils hohe Ergebnisse erzielen: In Ungarn kamen sie auf 15 Prozent, in Bulgarien auf elf und Rumänien auf sieben Prozent. Den größten Zuwachs verzeichnete demnach auch die Grup­pe der Abgeordneten, die sich zumindest jetzt noch nicht einer bestehenden Fraktion im Europa-Parlament anschließen wollen. Mit 12,6 Prozent oder 93 Abgeordneten besetzen sie den dritten Platz noch vor den Liberalen.
Parlamentspräsident Pöttering sprach zwar noch am Wahlabend erfreut von einer »proeuropäischen Mehrheit im Parlament« – doch machte er damit im Umkehrschluss bereits das Problem deutlich: Die EU-feindlichen Stimmen haben im Europa-Parlament mittlerweile so an Gewicht ge­wonnen, dass sie die proeuropäischen Kräfte künftig häufiger zur Zusammenarbeit über Partei­grenzen hinweg verdammen. So bleibt der Sieg von Konservativen und Liberalen relativ. Sowohl die konservative Fraktion der Europäischen Volks­partei (EVP, 35,7 Prozent) als auch die Liberalen (Alde, 10,9 Prozent) konnten ihre Ergebnisse von 2004 bei leichten Verlusten lediglich behaupten. Gleiches gilt für die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken (GUE, 4,5 Prozent). Lediglich die Grünen haben im Bereich der eta­blierten und proeuropäischen Parteien in ganz Europa deutlich zulegen und damit ihr Ergebnis um zwei Prozentpunkte auf 7,1 Prozent steigern können.

Trotz des grünen Erfolgs bleibt eine linksliberale Mehrheit fernab der Realität. Mit 326 Sitzen der insgesamt 736 Sitze wären SPE, Liberale, Grüne und Linkssozialisten noch immer weit von der notwendigen absoluten Mehrheit von 369 Sitzen entfernt.
Das gute Abschneiden der Rechtspopulisten macht aber auch den Konservativen und Liberalen einen Strich durch die Rechnung. Der gerade von den Liberalen gehegte Wunsch, nach der Europa-Wahl eine ideologisch klare liberal-konservative Koalition zu schmieden, dürfte im neuen Europa-Parlament schwer zu erreichen sein. Denn die Stimmzuwächse des rechten Lagers sind fast alle im populistischen Feld gelandet – und bringen so keine zusätzlichen Sitze für EVP und Alde. Zwar bringen beide Fraktionen es auf ins­ge­samt 343 Sitze. Doch auch damit liegen die Bürgerlichen unter der notwendigen absoluten Mehrheit. Knapp über der notwendigen Mehrheit lägen sie nur, wenn sie die nationalkonservative Fraktion des »Europa der Nationen« (UEN) ins Boot brächten. Doch angesichts der kaum vorhandenen Fraktionsdisziplin im Europa-Parlament hätte auch eine solche Koalition kaum Spielraum.
Noch am Wahlabend sprach sich der liberale Fraktionschef Graham Watson dennoch erneut deutlich gegen eine »technische Mehrheit« aus – eine Mehrheit also, wie sie Konservative und Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren immer wieder praktiziert haben, um mit Absprachen ihre jeweiligen Präferenzen durchzusetzen. Doch die Zahlen sprechen ihre eigene Sprache: Während Zusammenarbeit im vorigen Parlament oft einfach nur der bequemere Weg für die beiden großen Fraktionen war, könnte sie im neuen Parlament die einzige Alternative sein – zu stark ist der rechte Rand ausgefranst. Die EU-Politik bekomme »österreichische Verhältnisse«, hieß es bereits am Wahlabend im Europa-Parlament. In dem Land, das bezeichnenderweise mehr als jedes an­dere den Ruck nach rechts bei dieser Europa-Wahl zelebrierte, war in den neunziger Jahren genau das eingetreten: Die ewige große Koalition führte am Ende dazu, dass beide Parteien so schwach waren, dass andere Koalitionen kaum noch möglich waren.
Bis zur Konstituierung des Parlaments am 14. Juli wird sich zeigen, ob aus den Europa-Gegnern und den Populisten eine neue eigene Fraktion erwächst. Die britischen Tories haben bereits angekündigt, dass sie sich mit tschechischen Kol­legen aus dem Feld des EU-kritischen Präsidenten Vaclav Klaus sowie den polnischen Abgeordneten der Partei der Kacynski-Brüder zusammenschließen wollen. Für eine Fraktion im Europa-Parlament wäre allerdings etwas mehr europäischer Geist notwendig. Ab Juli müssen Fraktionen min­destens aus 25 Abgeordneten bestehen, die aus mindestens sieben verschiedenen Mitgliedstaaten stammen. Ob soviel Teamgeist auch bei den Gegnern der Integration zu finden sein wird?