Serie über Serien: »Kapitän vom Tenkesberg«

Tenkes kommt

Serie über Serien. Judith Kohlmeyer schwärmt vom »Kapitän vom Tenkesberg«, dem Mantel- und Degenklassiker aus DDR-Zeiten

Der »Kapitän vom Tenkesberg« war ein echter Straßenfeger – damals, 1965, und auch während der späteren Wiederholungen der 18 Folgen. Unsere Spielstraße in Köpenick leerte sich jedenfalls beim Ruf meines Vaters: »Tenkes kommt.« Egal, ob wir gerade im spannenden Finale des Völkerballspiels waren oder beim Endausscheid vom Gummitwist, alles war vergessen, denn im Fernsehen gab es echtes Heldentum; ungarisches dazu. Ungarn – das war für uns wie erlaubter Kapitalismus, tolle Klamotten, gute Rockmusik (Omega hieß übrigens die angesagteste Band) und mehr Sonne als in der DDR.
Zurück zur Serie. Es ging um den Aufstand ungarischer Bauern gegen die Besetzung durch kaiserlich-österreichische Truppen Anfang des 18. Jahrhunderts. Die Bauern waren arm, wurden von allen Seiten ausgepresst, aber ihr Stolz, ihr rauer Witz und vor allem die Auflehnung gegen die bestehende Situation ließen mich ihre materielle Not vergessen, sie wirkten eher reich. Und dann der wirklich außerordentlich gut aussehende Máté Eke (der »Kapitän«), der zwar adelig, aber trotzdem auf der Seite der Bauern war. Klar, heute verstehe ich seine Ambitionen besser – der ungarische Adel wollte seine Leibeigenen und Grundstücke für sich –, damals durchschaute ich so was nicht, hätte ich wohl auch nicht gewollt. Tenkes war einfach über jeden Verdacht der Eigennützigkeit erhaben, und liebte er nicht eine Bauerntochter (hieß sie Veronika)? Wenn er in den Kampf zog, mit seinem Degen kämpfte, wie es nur d’Artagnan noch konnte, neben sich die Bauern mit perfekter Stockkampftechnik – tja, da wurden meine eigenen Träume genährt. In denen hätte ich neben ihm alles mitgemacht, hätte als Frau den verdammten Offizieren die Perücken abgenommen, sie verprügelt und die Baronin mit tiefster Verachtung gestraft.
Leider gab es zu meiner Zeit kaum noch die Hoffnung auf solche Abenteuer. Alle bösen Reichen waren vergrault aus unserem Land, die guten Arbeiter regierten; ich hätte auswandern müssen, und das war bekanntlich nicht so einfach (ich war gerade mal sechs Jahre alt).
Die hohen Offiziere der k.u.k. Monarchie besaßen zwar eine tolle Burg, schicke Uniformen und Kutschen, aber sie waren einfach nur blöd. Der Kommandant der Burg, Baron Egbert von Eberstein, übertraf alle an Trotteligkeit. Seine Gemahlin war Oberklasse. Sie schaute ihn missbilligend an, natürlich bediente sie sich dabei eines Lorgnons, und sagte dann immer: »Aber Egbert!« Nein, nicht so, die Lippen ganz spitz halten, jede Silbe bis aufs Äußerste betonen und das »t« am Ende ein bisschen knallen lassen, es klang eher wie »Aber Äckbäärt!?!« (Aufpassen – kein breites Ä) Ich brach regelmäßig vor Lachen zusammen bei diesen Szenen. Und wenn dann noch die diversen kleinen Kätzchen zwischen seinen Beinen herumliefen und er sie nicht einfach wegstoßen konnte, wegen des strafenden Rufes – ihr versteht –, war der Kommandant für mich ganz klar zum Abschuss durch Tenkesberg frei gegeben. Da gab es sie noch – die berühmte heile Welt: schwarz und weiß, böse war dumm und dick, gut war intelligent und gut aussehend. Nie im Leben wäre ich wie diese Offiziersgattinnen im Reifrock, mit unpraktischen enggeschnürten Kleidern und Perücken durchs Leben stolziert. Kaffeeklatsch oder Kutschfahrten waren die einzigen Tagesinhalte. Hätte ich mich etwa vom Kapitän derart belustigt ansehen lassen wollen? Nein, lieber in abgeschabten Kleidern durch die Wälder hasten, verwundete Bauern pflegen und mit blitzenden Augen einem der Besetzer den Hirtenstock übern Kopf ziehen, um im Anschluss einen heißen Blick vom schwarzgelockten Máté zu erhalten.
Abgesehen von diesen Aussichten waren es aber auch die Landschaften, die immer wieder zum Träumen einluden. Ungarische Weinberge, alte Burgen, dichte Wälder und romantische Bauernhütten. Tja, vielleicht schaffen sie es ja doch noch mal, diese Serie auf die Mattscheibe zu bringen. Dann muss ich mich bei jemandem einmieten, der einen Fernseher hat. Besser noch, ich lasse alle Folgen aufnehmen, damit ich immer mal wieder dem Revoluzzertum frönen kann. Ich hoffe jedenfalls, dass alles noch genauso wirkt, wie es sich in meiner arg verklärten Erinnerung anfühlt.