Krise und Geschlecht

Krise, Kinder, Konjunktur

Ist der Aufschwung weiblich? Die Analysen zum Zusammenhang von Krise und Geschlecht sind eines nicht: progressiv.

»Die Rezession ist männlich«, hat Petra Ledendecker vom Verband deutscher Unternehmerinnen festgestellt. Sie glaubt zu wissen, was die Wirtschaft für den – vermutlich weiblichen – Aufschwung tun kann, und fordert eine gesetzliche Quote für Frauen in den Aufsichtsräten und Vorständen. Nach ihrer Einschätzung »gehen Frauen vorsichtiger mit Geld um, wirtschaften nachhaltiger und führen Unternehmen verantwortungsvoller«. Die Risikofreudigkeit der Männer habe ausgedient, und »männliche Unternehmenskulturen« seien nicht mehr profitabel.
Auch die SPD forderte bereits, inspiriert von den aktuellen Ereignissen, eine Quote von 40 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten. Und die Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat »Krisenzeiten zu Umstrukturierungszeiten« erklärt und forderte »familienfreundliche Strukturen und Chancengleichheit«. Nur gesetzlich fest­schreiben möchte sie nichts, da geht ihr die unternehmerische Freiheit offenbar doch über das Bestreben, das so genannte weibliche Human­kapital optimal verwerten zu wollen. So könnten etwa nach von der Leyens Vorstellung Unternehmen in Zukunft freiwillig durch die Anwendung eines im Internet zur Verfügung gestellten Programms herausfinden, ob sie ihre weiblichen Angestellten schlechter bezahlen als die männlichen. Da scheint doch die vollendete Gleichstellung der Geschlechter zum Greifen nahe!

Feministische Analysen und progressive Meinungen zum Geschlechterverhältnis haben in der Krise nicht gerade Konjunktur. So weiß man zwar bei der Frauenzeitschrift Brigitte, dass sich Wirtschaftskrisen stärker auf Frauen auswirken. Man weiß aber auch, dass Frauen dies gewohnt seien. Sie hätten aus der Zeit der Trümmerfrauen gelernt und könnten »deshalb auch die aktuelle Krise bewältigen«. Frauen, die den deutschen Außenhandel wieder aufbauen – eine einleuchtende Vorstellung.
Ebenfalls bestechend ist die Logik von Ulrich Blum, dem Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Wer in der Krise arbeitslos wird, hat endlich Zeit, sich um den Nachwuchs zu kümmern. »Gerade in Zeiten höherer Arbeitslosigkeit kann es für Paare Sinn machen, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen«, sagte er und forderte entsprechende staatliche Anreize. »Denn das demographische Problem wird noch sehr lange anhalten, länger als die Finanzmarktkrise.«
Vermutlich treibt Blum und von der Leyen die nicht unbegründete Sorge um, in Zeiten der Verunsicherung könne die Geburtenrate noch weiter sinken. Entsprechend müssen in der Krise plötzlich nicht nur Beruf und Familie, sondern auch Erwerbslosigkeit und Familie vereinbar sein. Bisher sollten vor allem gut ausgebildete und gut bezahlte Frauen mit einem üppigen Elterngeld zum Kinderkriegen animiert, spätestens nach einem Jahr aber wieder in die Berufstätigkeit gelockt werden. Gleichzeitig sollten die Väter dazu ermuntert werden, sich wenigstens zwei Monate vollständig dem Nachwuchs zu widmen. Nun aber wird »Flexibilität« erwartet. »Viele Väter, die sich in Zeiten der Krise nicht trauen, ganz auszusteigen, könnten statt zwei voller Vätermonate vier halbe nehmen: Sie arbeiten halbtags und bekommen das halbe Elterngeld«, sagt von der Leyen. Ähnlich »flexibel« wurde übrigens das Erziehungsgeld viele Jahre lang ausgezahlt, bevor die Familienministerin es durch das Elterngeld ersetzte.
»Familienfreundlichkeit« wird den Unternehmern nach wie vor als »Erfolgsfaktor« angepriesen, ebenso wie der Bevölkerung die Familie als Halt in unsicheren Zeiten. Was die Bevölkerung aber von der Leyen zufolge längst weiß: »Wenn die Zeiten rauer werden, sagen rund Dreiviertel der Menschen: Mein wichtigster Halt ist meine Familie, das zeigt sich auch daran, dass die Anzahl der Scheidungen zurückgeht.« Man ahnt, hört man diese Worte, dass zumindest ihr eigenes Bild von Familie ein recht eingeschränktes ist.

Keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern kennen hingegen die meisten der täglich vorgestellten Statistiken und Studien über wachsende Armut, Kurzarbeit und Erwerbslosigkeit. Man könnte glauben, Männer und Frauen seien gleicher­maßen betroffen. Zwar verzeichnen durchaus von Männern dominierte Branchen sinkende Um­sätze und Gewinne in der Krise. Aber auch jene Branchen, die mit den Konjunkturprogrammen unterstützt werden, sind traditionelle Männerdomänen – so etwa die Automobil- und Baubranche. Und die staatlichen Bürgschaften für Banken schützen keineswegs das zumeist weibliche Schalterpersonal vor Kündigungen.
Manche Branchen, in denen überwiegend Frau­en arbeiten, wie Pflege und Bildung, werden zwar ebenfalls für investitionswürdig befunden, oft aber vor allem hinsichtlich ihrer baulichen Ausstattung. So stellte auch der DGB auf seinem »Konjunk­turgipfel« fest: »Dringender Handlungsbedarf besteht auch im Bildungssystem. Schulen und Hochschulen befinden sich teilweise in einem erschreckenden Zustand – die Bauten sind veraltet, es fehlt an Lehr- und Lernmitteln.«

In den einschlägigen feministischen Zeitschriften ist die Krise bisher kaum angekommen. Und manche Institution, die sich mit dem Begriff »Gen­der« im Namen einen progressiven Anstrich gibt, schafft es dennoch, die vorherrschende Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern weiter festzuschreiben. So beschäftigt sich die Leitstelle für Gender, Umwelt und Nachhaltigkeit (Genanet) in Anbetracht der Krise mit »vorsorgendem Wirtschaften«. Entsprechend setze man bei den üblicherweise von Frauen verrichteten Tätigkeiten an, erklärt die Projektleiterin Ulrike Röhr. Frauen übten diese Tätigkeiten zwar nicht aus, »weil sie die besseren Menschen sind«. Dennoch hätten diverse Studien belegt, dass »Frauen in ihren Rollen nicht auf den großen Gewinn setzen, sondern als besorgende in ihren Familien zukunfts­orientierter denken und nachfolgenden Generationen eine Chance geben wollen«.
Immerhin kritisiert das Feministische Institut Hamburg das staatliche Krisenmanagement. Für Gabriele Winker stellen die Konjunkturprogramme eine Unterstützung von Männerarbeitsplätzen dar. Die Forderung nach subventionierten Arbeitsplätzen für Frauen sei aber auch keine Lösung: »Es reicht angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht aus, primär die Gleichberechtigung im herrschenden System zu fordern und dies über Prozesse des Gender Mainstreaming und des Gender Budgeting voranzutreiben. Vielmehr müssen jetzt die für jede und jeden Einzelnen elementaren und über die Gesellschaft vermittelten Existenz- und Reproduktionsbedingungen in den Vordergrund der politischen Auseinander­setzung gestellt werden.«
Genau an diesen Punkten könnte eine feministische Kritik ansetzen.