Bildung für alle, keine Krawalle
Remmidemmi
Berlin, 17. Juni, 12 Uhr – vor dem Roten Rathaus findet die Auftaktkundgebung des Bildungsstreiks statt, Tausende Schüler sind gekommen. Um mich herum: ein Gewusel aus nervigen Teenagern. Ich fühle mich schrecklich alt. Ein Grüppchen Neuntklässler mit umgedrehten Baseballcaps drängt sich an mir vorbei. Einer von ihnen trägt ein selbstgemaltes Schild, auf dem geschrieben steht: »Fickt die Commerzbank!« Eine als wilde Punkerin verkleidete Gymnasiastin fragt mich höflich: »Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht Feuer?« Es reicht! Ich will sofort nach Hause oder zumindest schnell in meine Altersgruppe.
Der Block der Gewerkschaft Verdi scheint so etwas wie der Treffpunkt der Menschen über 30 zu sein. Brav wird hier den Redebeiträgen vom Hauptlautsprecherwagen gelauscht, in denen von Demokratie und Chancengleichheit gefaselt wird. Die richtige Altersgruppe also – aber die falsche Politfraktion. Auf der Suche nach der berüchtigten kleinen, radikalen Minderheit kämpfe ich mich durch ein Meer von Jusos, Grünen, Mitgliedern der Linkspartei und Anhängern der IV. Internationale. Mir begegnen viele Studenten mit Schildern, auf denen sie über zu wenig Geld oder Lehrmittel jammern und empört darauf hinweisen, dass sie »die Zukunft« und folgerichtig eine lohnende Investition seien. Dann geht die Demonstration los. Tausende skandieren: »Wir sind da, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!«
Irgendwann finde ich einen linksradikalen Block, in dem die üblichen Verdächtigen der Bewegungslinken zusammen mit einigen hundert erlebnisorientierten Schulschwänzern laufen. Verbalradikale Evergreens wie »Bildung für alle – sonst gibt’s Krawalle!« werden gerufen. Ein Mitglied der studentisch geprägten Gruppe »Soziale Kämpfe« sagt mir: »Anstatt den Verlust der Privilegien zu beklagen, geht es uns hier darum, ein System als ungerecht zu begreifen, das permanent Deprivilegierte produziert.« Auf einem Hausdach entrollen Vermummte ein riesiges Transparent der autonomen Schülerzeitung Straßen aus Zucker mit der Aufschrift »Krawall und Remmidemmi – Zusammen: Streiken – Schwänzen – Kämpfen«.
Ohne Krawall endet die Großdemonstration schließlich vor der Humboldt-Universität. Einige Schüler machen anschließend im Hauptgebäude zum Ärger des Hausmeisters und zur Freude der anwesenden Presse etwas Remmidemmi mit Klopapier und jeder Menge Krach. Am Ende des Tages weht auf dem Dach des Universitätsgebäudes eine abgewetzte schwarz-rote Fahne. Sie ist so klein und mickrig, dass man sie leicht übersieht. Aber immerhin.
Jesse-Björn Buckler
Hinsetzen, das ist ein Überfall!
Ziele sind die Filialen der Commerzbank, der Dresdner und Deutschen Bank. Wenn Banken, die selbst verschuldet dem Bankrott nahe seien, von der Staatskasse saniert würden, dann sollte auch Geld für die Bildung da sein, heißt es auf der angemeldeten Kundgebung. Die Demonstranten verlangen 104 Milliarden Euro für die Sanierung maroder Schulen und Universitäten, für mehr Lehrer und kleinere Klassen.
Nach der Versammlung, an der etwa 1.000 Menschen teilgenommen haben, geht es blitzartig los. Studenten und Schüler stürmen, angetrieben von der Titelmelodie von »Star Wars«, die aus den Boxen eines Pritschenwagens dröhnt, auf den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße. Noch bevor die Polizisten die Banken abriegeln können, haben sich schon 40 bis 50 Demonstranten in der Deutschen Bank niedergelassen.
Kurze Zeit später versammelt sich vor der Filiale eine große Menschenmenge. Die Beamten lassen niemanden aus der Bank. Stattdessen greifen zwei Polizisten in Kampfmontur zum Pfefferspray. Sie treffen einen 13ährigen – das gibt sicher Credit Points für den späteren Bachelor in Straßenkampf.
Ansonsten bleibt die Demonstration friedlich. Unter anderem auch, weil die Verantwortlichen nach diesem Vorfall die Menge in einer Durchsage bitten, sich hinzusetzen. Brav folgen die jungen Leute den Worten und setzen sich im Schneidersitz vor die Bank. »Endlich geht ihr mal auf die Straße, so wie wir früher. Nicht nur Party«, sagte ein Passant mit stolzer Miene.
Nach drei Stunden öffnet die Polizei den Bankausgang für die Besetzer, die sich zuvor geweigert hatten, ihre Personalien abzugeben, da es im Zuge eines Antrags auf Hausfriedensbruch zu einigen Kuriositäten gekommen war. »Es gab keine Ermahnung. Der Filialleiter hat einfach Anzeige gestellt, wollte diese aber wieder zurückziehen, wenn wir die Bank verlassen. Dann hat ein Polizist dem Banker wieder eingeredet, die Anzeige aufrechtzuerhalten. Und wir mussten hocken bleiben«, sagt Jens Richter, Student an der FU. Sein Kopf ist knallrot und die dunkelbraunen Haare sind verschwitzt. In der Bank sei es stickig und sehr heiß gewesen, aber immerhin habe es etwas zu trinken gegeben, ergänzt der junge Mann. Zufrieden lächelnd verlassen die letzten Demonstranten um acht Uhr die Straße – obwohl es kein Geld gab.
Thomas Ewald
Gespräche und Verständnis
Etwa 100 Studierende besetzten am Mittwoch vergangener Woche nach einer Demonstration mit 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Zufahrt zum sächsischen Bildungsministerium. Einige von ihnen gelangten auch in das Gebäude und trafen auf die Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD). Diese bot daraufhin ein Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern des Bildungsstreiks an. Aufgebrachte Zwischenrufer unterbrachen zwar Stanges Ansprache vor dem Ministerium, unter den anwesenden Studierenden setzten sich jedoch diejenigen durch, die Gespräche der Konfrontation vorzogen.
Der Sprecher des Dresdner Bildungsstreiks, Martin Helfrich, bezweifelt jedoch, dass das Gespräch mit der Ministerin am Donnerstag der vergangenen Woche für die Interessen der Studierenden nützlich gewesen sei. Die Konferenz sächsischer Studierendenschaften, die offizielle studentische Landesvertretung, treffe sich ohnehin »regelmäßig mit Frau Stange«, ein Großteil der Forderungen des Bildungsstreiks werde dort sowieso »regelmäßig angesprochen«. Als Erfolg sei dennoch zu bewerten, dass durch das Angebot der Ministerin der Protest der Studierenden wahrgenommen werde. Ähnlich sei nach Auffassung von Martin Helfrich auch ein Gesprächsangebot des Rektors der TU Dresden, Hermann Kokenge, zu bewerten.
Diese Offenheit für seine Forderungen verdankt der Dresdner Bildungsstreik sicher auch seinen nicht sonderlich radikalen Protestformen. Ein täglicher Flashmob auf dem Campus war die offensivste Aktion, zu der offiziell aufgerufen wurde, sagt Sprecher Helfrich. Statt zivilem Ungehorsam wurde eher »selbstbestimmtes Lernen« propagiert. In einem kleinen Zeltdorf auf dem Campus wurden täglich Vorträge gehalten und Workshops angeboten.
Für die Zukunft sieht Martin Helfrich auch weiterhin die Notwendigkeit, »Öffentlichkeit zu schaffen und mehr Studierende zu erreichen«. Das Thema Studiengebühren, das in anderen Bundesländern zahlreiche Studierende auf die Straße brachte, wird dabei in Sachsen auch nach der Landtagswahl Ende August wahrscheinlich nicht von Belang sein. Sowohl die CDU als auch die SPD, die zurzeit gemeinsam regieren, sprechen sich in ihren Wahlprogrammen gegen Erststudiengebühren aus.
Matthias Galle
Bloß nicht vereinnahmen lassen
In der vergangenen Woche schien es fast so, als seien die alten Zeiten der Proteste wieder da. Mit beinahe 10.000 Teilnehmern fand in Göttingen – der Eigenwerbung zufolge die »Stadt, die Wissen schafft« – eine der größten Demonstrationen im Rahmen des bundesweiten Bildungsstreiks statt. Die Tage zuvor und danach sah man immer wieder studentisches Straßentheater und Flashmobs in der Innenstadt. Auf dem Campus wurde ein Zeltlager errichtet, der Gang der Sozialwissenschaftlichen Fakultät wurde zur Open Uni. Bereits vor zwei Wochen waren im Anschluss an eine Vollversammlung über 800 Studenten unangemeldet durch die Fußgängerzone gezogen. Nach der großen Demonstration am Mittwoch wurde kurzerhand das Präsidium der Universität besetzt.
Doch was wollten die Demonstranten neben der an sich nicht falschen, aber auch nicht zwingend emanzipatorischen Forderung nach »besserer Bildung«? »Die Breite des Bündnisses und die kurzfristige Planung haben leider eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Bildung verhindert«, beklagt sich Marcel*. Der gesamtgesellschaftliche Kontext und damit der Kapitalismus seien erst auf der Vollversammlung thematisiert worden, »was den 900 Anwesenden wohl kaum aufgefallen ist, denn sie haben die Versammlung mit tosendem Applaus begleitet«, so Marcel weiter, der auch an der Organisation des sozial-revolutionären Blocks beteiligt war.
Der Versuch verschiedener linksradikaler Gruppen, die Ökonomisierung der Bildung zur Sprache und damit eine Kritik am »kapitalistischen Normalzustand« in die Proteste zu bringen, stieß eher auf Ablehnung unter Studenten. Gleich zu Beginn der Demonstration beschwerten sich einige über die »Vereinnahmung«, kurz darauf wurde von einem Lautsprecherwagen des Schülerblocks die Abgrenzung auch öffentlich gemacht: »Wir sind hier, um für bessere Bildung für alle zu demonstrieren, wir sind nicht hier für den Kommunismus!«
Verwunderlich sind diese Reaktionen nicht. Die Göttinger Universität hat schon seit Jahren einen rechten AStA, die rechte Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Fachschaftsmitglieder (ADF) erreichte in den Hochschulwahlen im Januar sogar die absolute Mehrheit. Auch wenn diese Gruppen nicht zu den Protesten aufgerufen haben – irgendwer muss sie ja gewählt haben.
Thorsten Mense
* Name von der Redaktion geändert