Der Film »Schattenwelt«

Die ockergraue Zeit

Mit »Schattenwelt« kommt schon wieder ein RAF-Film in die Kinos. Der interessiert sich aber weniger für die Ausführenden des Terrors als für dessen Opfer.

Der RAF-Film ist längst ein Genre für sich, und wie jedes Genre das vital erscheinen will, muss es den eigenen Mythen immer wieder neue hinzufügen. An diesem Anspruch scheiterte ja auch der »Baader-Meinhof-Komplex«, der in keiner Hinsicht über sich selbst hinauswies und bloß das RAF-ABC herunterrasselte in grellen Bildern.
»Schattenwelt« nun ist das genaue Gegenteil des »Baader-Meinhof-Komplexes«. Als ob der Film dies noch extra unterstreichen müsste, ist er in ein mürrisch-schmuddeliges Ockergrau getaucht, mit dem sich auch beim besten Willen keine bombige RAF-gleich-Pop-Stimmung herstellen ließe. Dieses Ockergrau hat aber vor allem einen ganz anderen Zweck: Auch wenn dieser RAF-Film in der Gegenwart spielt, symbo­lisiert es doch ein Deutschland der Tristesse, eine muffige Siebziger-Jahre-Stimmung. Was uns wohl sagen soll: Geändert hat sich eigentlich nichts. Deutschland ist immer noch das trostlose Land der Mietskasernen, in denen der Mob Andersartigen nachstellt und wo ganz offensichtlich die Sonne niemals scheint. Eine »Schattenwelt« eben, in der der Terror der Siebziger in Ewigkeit nachspukt.
»Schattenwelt« macht aber auch inhaltlich alles anders als die RAF-Introspektive nach Stefan Aust. Er umkreist nicht den Terror und seine Strukturen, nicht das Epizentrum des Trei­bens der inzwischen aufgelösten Stadtguerilla, sondern konzentriert sich auf seine Nachbeben und die Opfer des bewaffneten Kampfes. Eine sachliche Abrechnung ist der Film dabei nicht, eher hochspekulativ und in seinem Willen, Täter und Opfer als in unseliger Weise miteinander verstrickt darzustellen, leider etwas zu konstruiert.
Es sollte heute weniger um die Täter als um die Opfer gehen, so die implizite Forderung des Films, der die Verschiebung der Fokussierung gleich selbst vornimmt. Langsam wechselt er die Perspektive von den Tätern zu den Opfern. Der Film spielt das durch, was in den Debatten um die Hinterbliebenen der Taten der RAF immer wieder gefordert wird: Die Ex-RAFler sollen sich endlich zu ihrer persönlichen Schuld beken­nen, denn der Kampf ist vorbei, aber die Hinterbliebenen wollen angeblich immer noch Gewissheit. Wer genau hat meinen Vater ermordet? Wer meinen Bruder? Nur wenn diese Fragen endlich geklärt werden, so legt der Film nahe, gibt es für die Hinterbliebenen Hoffnung auf Erlösung.
Doch dahin ist es ein langer Weg. In »Schatten­welt« ist der entscheidende Schritt raus aus dem Mythos einer Kollektivhandlung hin zum Bekenntnis der persönlichen Tat für den Ex-RAFler Volker Widmer nur durch die direkte Kon­frontation mit seinen Opfern zu bewältigen. Dabei ist dieser Schritt auch kein gewollter, sondern ein erzwungener. Widmer wird mit denselben Methoden der Gewalt konfrontiert, die er damals gutgeheißen hat, erst dank dieser psychologischen Radikalkur setzt der Läuterungsprozess ein. Gewalt führt also fast notwendiger­weise zu Gegengewalt, dieser Befund in »Schattenwelt« hinterlässt das ungute Gefühl, dass im Nachhinein ein Staat gerechtfertigt wird, der in teils unangemessener Weise auf die Herausforderung des Terrors reagierte.
Die Debatte um einen Ex-Terroristen, der seine Strafe abgesessen hat, jetzt aber gefälligst auch noch Reue zu zeigen hat, wie sie zuletzt um Christian Klar geführt wurde, wird in »Schattenwelt« recht moralisch geführt. So kehrt der ehemalige RAF-Terrorist Widmer, herrlich prollig und mackerhaft gespielt von Ulrich Noethen, genau wie Klar auch nicht nach 22 Jahren Knast zurück in eine Welt, in der Jugendliche HipHop hören, sonderbare Klamotten tragen und bizarrerweise sogar eine Frau Bundeskanzlerin ist, sondern alles ist erst einmal wie immer. Gefrorene Zeit. Die einzige Musik, die in dem Film zu hören ist, kommt von Can, der protodeutschen Band der Siebziger, deren stoische, entkörperlich­te Musik gut in dieses Reich der Schatten passt, als das die Gegenwart, die BRD heute, erscheint. Die gezeigte ockergraue äußere Welt entspricht also wohl der Innenwelt von Widmer. Der kommt ebenso wenig geläutert oder gar hoffnungsfroh aus dem Knast wie vor kurzem Klar, der in seinen Aussagen schon vom verschwurbelten Sprachduktus her deutlich machte, dass für ihn das Prinzip des Klassenkampfs heute so sehr gilt wie damals.
Um das Zurechtfinden des Ex-RAFlers in seinen neuen Lebensumständen geht es in »Schat­tenwelt« dann gar nicht. Nicht einmal die Paparazzi sind ein Problem für den ehemaligen Staatsfeind, die sind doof genug, sich durch einen simp­len Trick nach der Entlassung aus dem Gefängnis abschütteln zu lassen. Es geht vielmehr um das Zurechtfinden all derer, die mit der RAF, mit Widmer in Berührung kamen, ob sie wollten oder nicht. Da gibt es etwa Samy, den Sohn von Widmer, der damals, noch als kleiner Junge, in unmittelbarer Nähe war, als Widmer und seine Komplizen versuchten, den Bankpräsidenten von Seichfeld zu entführen, was schief­ging und mit dem Tod des Bankiers und eines zufällig aufgetauchten Angestellten endete. Samy ist bis heute traumatisiert und wohnt mit seinem Lebensgefährten in einer zu einer Art Hochsicherheitstrakt umgebauten Villa, die wohl auch seinen psychischen Zustand symbolisiert. Er fühlt sich von seinem Vater verraten und miss­braucht und hat Angst. Vor allem aber gibt es da Valerie, die Tochter des damals ermordeten Angestellten, eines Gärtners, der den Helden spielen wollte und dessen man sich sozusagen in Notwehr entledigen musste.
Valerie führt ein zerrüttetes Leben als Mutter, der man das Erziehungsrecht genommen hat. Sie sucht die Nähe zu Widmer, ohne dass der an­fangs wissen würde, mit wem er es da zu tun hat. Valerie durchlebt eine etwas unglaubwürdige Verwandlung vom lockenden Weib mit blondem langem Haar zum Racheengel im Butch-Look. Ihr geht es nur noch darum, die letz­te Macht der RAF, nämlich das Wissen um den genauen Ablauf der damaligen Ereignisse, zu brechen. Wer hat auf meinen Vater geschossen? Das ist für sie die alles entscheidende Frage. Die Pistole wird in diesem Ringen um die Geschichte zum Phallussymbol, das über Macht oder Ohnmacht entscheidet. Widmer, der in einer Se­quenz Valerie gönnerhaft bescheinigt, die nötige Durchtriebenheit zu besitzen, um damals in seinen Verein gepasst zu haben, beugt sich am Ende dieser Macht der Pistole. Als Valerie die Waffe nicht mehr braucht, öffnet sie die Autotür und wirft sie achtlos auf die Straße, was Wid­mer nun mit ihr anstellt, das ist ihr gleichgültig geworden.

»Schattenwelt« (D 2008). Regie: Connie Walther. Start: 25. Juni