Die internationalen Reaktionen

Gelungene Überraschung

Die internationalen Reaktionen zeigten, dass kaum jemand mit den Massenprotesten im Iran gerechnet hatte. In der arabischen Welt sieht man die Oppositionsbewegung mit Freude – aber auch mit Sorge.

Eigentlich hätte es so schön und ruhig werden können. Gestärkt von Analysen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des Iran-Experten Christof Bertram, sah man in Deutschland ge­lassen der iranischen Präsidentschaftswahl entgegen. Egal wer gewinnen würde, man war bereit für den Dialog, als Faustpfand hatte man Israel auserkoren, und nach Obamas Rede in Kairo war allen Europäern klar: Von jenseits des Atlantik kämen keine allzu nervigen Einsprüche. Man hat­te also Zeit, von nun an, immer dann, wenn das Schlagwort Nahost fallen sollte, gleich und nachdrücklich auf die Israelis zu verweisen, in deren hartnäckiger Weigerung, umgehend einen Palästinenserstaat zuzulassen, die wirkliche Ursache von Gewalt, Unruhe, Armut und allen anderen Übeln in der Region fortan zu identifizieren sei.
Sicher, die Bombe in iranischen Händen will man nicht, ebenso wenig aber hatte man vor, ernst­hafte Schritte gegen ihre Produktion zu unternehmen. Und schließlich hatte die SWP pünktlich schmackhafte eurasische Szenarien geliefert, wie ein erstarktes und von den USA emanzipiertes Deutschland so richtig mit den Mullahs ins Geschäft kommen könnte. Gerüstet also für ein Weiter-so in den nächsten vier Jahren, kommentierten schon die üblichen Nahost-Experten den vermeintlichen Wahlsieg Ahmadinejads – noch bevor die Gratulationsschreiben aus Venezuela, Phnom Penh, Gaza und Südbeirut im Präsidialpa­last in Teheran eintrafen –, da erreichten die ersten Meldungen von Massendemonstrationen aus dem Iran die europäischen Hauptstädte. Überrascht schienen nicht nur die Europäer, auch in den USA hatte man sich so sehr auf Verhandlungen mit dem iranischen Regime festgelegt, dass es einige Zeit dauerte, bis die Obama-Adminis­tration sich überhaupt zu Wort meldete. So erging es offenbar allen Regierungen, Experten und Think Tanks, im Westen wie im Nahen Osten. Mit Protesten, Aufständen und Straßenschlachten im Iran hatte wohl niemand gerechnet, ebenso wenig mit den Reaktionen des Regimes in Teheran, das so deutlich Schwäche und Uneinigkeit zeigte.

Die arabischen Staaten hatten sich in den vergangenen Monaten mehrheitlich deutlich gegen das Regime in Teheran positioniert, dessen regio­nale Hegemonialambitionen sie fürchten. Mit Aus­nahme von Syrien und den vom Iran finanzierten Terrororganisationen Hizbollah und Hamas löste dann auch verhaltene Freude den ersten Schock über die Wahlergebnisse ab. Ausgerechnet die staatsnahe ägyptische Tageszeitung al-Ahra rief zur internationalen Unterstützung der Protes­te auf. Es ist kein Geheimnis, dass die meisten arabischen Regierungen eine nachhaltige Schwächung des Iran begrüßen würden. Allerdings bleibt die Freude in Autokratien wie Ägypten verhalten, weil man sich nur ungern ausmalen möchte, was passierte, nähme sich die unzufriedene Jugend und Mittelschicht des eigenen Landes die Iraner zum Vorbild. Schon rumort es in Blogs und auf den Kommentarseiten vieler arabischer Medien; nicht gerade wenige wünschten sich ähnliche Bilder wie aus Teheran aus der arabischen Welt. Rami G. Khouri erklärte im libanesischen Daily Star, eine »zweite iranische Revolution« würde eine enorme Auswirkung auf den gesamten Nahen Osten haben.
Das weiß man auch im Irak, wo ausgerechnet der kurdische Präsident Jalal Talabani Ahmadine­jad umgehend gratulierte, sich der schiitische Premier Maliki hingegen merklich zurückhielt. In Straßeninterviews des Senders al-Jazeera erklärten Irakis aus allen Landesteilen, sie wünsch­ten sich vor allem, dass das Nachbarland endlich aufhöre, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen.

Für den gesamten Nahen Osten gilt: Ein Zerfall des iranischen Regimes oder eine nachhaltige Schwä­chung hätte zur Folge, dass künftig Millionen von Dollar nicht mehr an Terrorgruppen und Radikalislamisten fließen würden. Oppositionelle und Unzufriedene in den verschiedenen Staaten der Region fühlen sich von der »grünen Revolution« gestärkt. Noch vermag sich niemand auch nur im Traum auszumalen, wie die Region aussehen würde mit einem Iran, dessen Regierung nicht mehr als selbsternannte Speerspitze des weltweiten Antiamerikanismus und Antizionismus seine Nachbarländer bedrohen und destabilisieren würde, sondern die Region ökonomisch und kulturell positiv beeinflussen würde.

Auch dem Westen fehlt eine Perspektive für den Iran. Nur weil die Dynamik der Ereignisse ihn dazu zwang, erklärte etwa der Deutsche Bundestag am 17. Juni seine Solidarität mit den Demons­tranten. Am Sonntag dann ging Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einen Schritt weiter und forderte eine Neuauszählung der Stimmen. Spätestens nach den Demonstrationen am Samstag war allen klar geworden, dass, was immer auch geschehen mag, eine Rückkehr zum Status quo ante ausgeschlossen ist.
Inzwischen hat auch Obama seine Zurückhaltung, die von seinen Anhängern als kluger Schach­zug gepriesen, von seinen innenpolitischen Gegnern als Schwäche gegenüber den Mullahs scharf kritisiert wurde, aufgegeben und sich, wenn auch auffällig halbherzig, hinter die Demonstranten gestellt, jedenfalls hinter jene, die »Gerech­tigkeit auf friedliche Art und Weise« suchten.