Twitteran

Jou, stimmt, wir haben Twitter letztens sinngemäß als überflüssiges Mikro-Blogging für Makro-Egozentriker bezeichnet und müssen nun feststellen, dass wir uns ein kleines bisschen geirrt haben. Twitter kann auch – wie im Iran – ein unerhört wichtiges Informationsmedium sein, das sogar Leben retten kann. Neben Demo-Aufrufen, Protokollen von Telefongesprächen mit Freunden im Iran, Links zu Dokumentationen von Übergriffen des Regimes und Informationsquellen werden auch Anleitungen zu Erster Hilfe, sowohl auf Farsi als auch auf Englisch, verbreitet, in denen alles vorkommt, was iranische Demonstranten wissen müssen. Und dazu gehört eben nicht nur, wie man anonyme Proxies aufsetzt, um halbwegs sicher im Internet surfen zu können, sondern auch, wie man Schusswunden erstversorgt. Und wie Wiederbelebungsmaßnahmen korrekt angewandt werden.
Denn das, was im Iran passiert, ist kein hippes Spektakel von erlebnisorientierten Teheraner Großstadt-Jugendlichen für gelangweilte westliche Nerds – was letztgenannte immerhin schnell erkannten und Regeln für den Cyber War herausgaben und massenhaft verbreiteten, die vor allem die iranischen Twitter-User schützen sollen. Dazu gehört, dass möglichst viele Nutzer ihre persönlichen Angaben ändern und z.B. als ihren Wohnort Teheran/Iran angeben. Und wich­tige Informationen mit dem Vermerk RT (Re Tweet) weiterzugeben.
Eine Weile lang sah es dann tatsächlich so aus, als könnte die Twitter-Community die Mullahs schlagen. »Wir beweisen gerade, dass man nicht mehr als 140 Zeichen braucht, um Weltgeschichte zu schreiben«, freute sich ein User vor­eilig, denn das Regime bewies schon kurz darauf, was das Problem an twitter-basierter Ge­schichtsschreibung ist: Man braucht einen ungehinderten Internet-Zugang.