Repression im Iran

Khamenei will keine Kompromisse

Im Iran hat eine umfassende Repressionswelle eingesetzt, auch reformislamistischer Widerspruch soll nicht mehr geduldet werden. Das Regime könnte die wachsende Isolation durch außenpolitische Aggression kompensieren.

In der Nacht kommen die Milizen. Von den Hausdächern im Schutz der Dunkelheit Parolen zu rufen, ist eine Möglichkeit, die Konfrontation auf der Straße zu vermeiden. Doch die Basiji setzen nach, Human Rights Watch sammelte Aussagen von Augenzeugen aus Teheran, die berichten, dass die Milizionäre in die Luft schießen, Autos anzünden, gewaltsam in Häuser eindringen und die Bewohner verprügeln, um die nächtlichen Kund­gebungen zu verhindern.
Eine umfassende Repressionswelle hat eingesetzt. Beendet ist der Konflikt nicht, doch offene Proteste sind selten geworden. Das ermöglicht es nicht nur den Medien, sondern auch den Politikberatern und Iran-Lobbyisten, wieder zur Tagesordnung überzugehen, nachdem die Revolte sie und ihre Expertisen blamiert hatte.
Entgegen den Analysen iranischer Oppositioneller hatten die Berater vor den Pseudowahlen das Bild eines innerlich gefestigten Regimes mit pluralistischen Zügen gezeichnet, das durch Anreize und westliche Sicherheitsgarantien von seiner aggressiven Außenpolitik und seinem Atomwaffenprogramm abgebracht werden könne. Vol­ker Perthes, Direktor des Think Tanks Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hatte in seinem Buch »Iran – Eine politische Herausforderung« noch kürzlich den Iran als innerlich gefestigte Ge­sellschaft portraitiert, in der sich Konflikte im Wesentlichen zwischen den verschiedenen Regi­mefraktionen abspielten. Je vehementer dem islamistischen Regime unterstellt wurde, Terror nach innen und außen nur aus defensiven Gründen auszuüben, desto schärfer wurde der Tonfall gegenüber Israel, das, so der ehemalige SWP-Direktor Christoph Bertram in der Zeit, durch seine Drohungen gegen den Iran deutsche und westliche Interessen schädige.

Niemand konnte die Wucht vorhersehen, mit der sich die Wut der iranischen Bevölkerung entladen und das ganze System der Islamischen Repu­blik in kürzester Zeit an den Rand des Abgrunds bringen würde. Die Welt hätte aber wenigstens über den desolaten Zustand informiert sein können, in dem sich die iranische Gesellschaft nach 30 Jahren der Velayat-e Faqih (Herrschaft des Rechts­gelehrten) befindet: 80 Prozent der Bevölkerung leben an oder unter der Armutsgrenze, während Hunderte von Milliarden Dollar Öleinnahmen für die Repression und die Aufrüstung ausgegeben wurden oder in privaten Taschen ver­schwunden sind. Hinter der angeblichen Popularität Ahmadinejads bei den Armen steht ein System der Patronage, in dem verelendeten Bevölkerungsgruppen Brosamen gegen Wohlverhalten zugeteilt werden.
Dennoch gelang es den Mullahs bis vor kurzem, einer naiven oder interessierten Außenwelt das Bild politischer Einheit in islamistischer Vielfalt zu vermitteln. Der religiöse Führer Khamenei hatte vor der Präsidentschaftswahl die Erlaubnis gegeben, zum erstenmal Fernsehduelle zwischen den zuvor vom Wächterrat ausgewählten Kandidaten zu senden, um Interesse an der Wahl zu wecken und das Horrorszenario leerer Wahllokale um jeden Preis zu vermeiden. Doch diese Fernsehshows offenbarten, dass die Differenzen über die Frage, wie der Gottesstaat erhalten werden könne, in erbitterte persönliche Feindschaften um­geschlagen waren.
Am Montag beendete der Wächterrat seine angebliche Überprüfung der Wahlergebnisse und bestätigte den Sieg Ahmadinejads. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie hoch die Beteiligung an der Pseudowahl war und wie die wirklichen Er­gebnisse aussehen, da es keinerlei unabhängiger Beobachtung gab. Festzustellen ist lediglich, dass Khamenei es entgegen früheren Gepflogenheiten sehr eilig hatte, seinem Kandidaten Mahmoud Ahmadinejad zu gratulieren, und dass andererseits die Versprechen und die von der Sittenpolizei weitgehend geduldeten Wahlpartys der Kampagne von Mir Hussein Mousavi eine Atmosphäre geschaffen hatten, die eine weitere Amtsperiode von Ahmadinejad für die meisten Iraner undenk­bar machte.
Millionen von Menschen demonstrierten tagelang im ganzen Land. Zunächst richtete sich der Protest vornehmlich gegen Ahmadinejad, radika­lisierte sich jedoch schnell zu einem Aufstand, in dem die Parolen »Nieder mit Khamenei« und »Tod der Islamischen Republik« immer populärer wurden. Mehdi Karroubi und Mousavi, die Kan­didaten des reformislamistischen Lagers, scheiterten mit ihren Versuchen, die Protestbewegung zu kanalisieren. Erst Khameneis beim Freitagsgebet am 19. Juni bekundete Entschlossenheit, den Protestierenden den Krieg zu erklären, und die Bereitschaft, mit äußerster Brutalität gegen die Bevölkerung vorzugehen, konnten die Aufstands­wellen zeitweise zurückdrängen.
Das Regime reagierte auf friedliche Demons­tra­tionen mit Tränengas, Schlagstöcken, Schusswaffen, Massenverhaftungen und Mord. Die verwundeten Menschen auf den Straßen wurden oft direkt in Militärkrankenhäuser oder Gefängnisse eingeliefert, die Krankenhäuser durchkämmt, Verletzte und Ermordete an unbekannte Orte gebracht. Um die Organisation der Demonstrationen durch die Studenten zu verhindern, überfielen die Milizen Studentenwohnheime in Teheran und in anderen Großstädten bei Nacht, zerstörten die Einrichtung und verschleppten und ermordeten eine unbekannte Anzahl von Studenten.
Zeugenaussagen zufolge werden auch Mitglieder der Hamas und der libanesischen Hizbollah im Iran zur Zerschlagung der Demonstrationen eingesetzt. Die Einsatzkommandos, Sicherheitskräfte und Schlägertruppen benutzen nach Anga­ben der Betroffenen aus Deutschland, Österreich und anderen europäischen Staaten importierte Waffen, Motorräder und Busse. Derzeit steht Siemens besonders in der Kritik, weil das Unternehmen dem Wall Street Journal zufolge gemeinsam mit Nokia Technik an den Iran lieferte, mit der Handygespräche und SMS überwacht, aufgezeichnet und verfolgt werden können.
Die Anzahl der Frauen unter den Demonstranten ist bemerkenswert. Das Video, das den Tod der 27jährigen Neda Agha-Soltan zeigt, die während der Proteste in Teheran ermordet wurde, hat weltweit Empörung ausgelöst. Die Gedenkver­anstaltung für Neda im Teheraner Bezirk Abbas Abad wurde verboten. Das Regime hat panische Angst vor Trauerfeiern, weil es genau weiß, wie wichtig diese im Kampf gegen den Schah vor 30 Jahren waren. Man legt großen Wert darauf, die Verantwortung für den Tod Nedas abzustreiten. Mit dem Verweis auf die »Einmischung der Feinde des Iran« gab Ahmadinejad am Montag die Rich­tung der offiziellen Untersuchung vor.

Die offiziellen iranischen Medien behaupten, bei den Auseinandersetzungen seien weniger als 20 Menschen getötet worden. Die wirkliche Anzahl dürfte in die Hunderte gehen. Augenzeugen berichten, dass allein bei den ersten Übergriffen am Wochenende nach der Wahl in Teheran Dutzende getötet wurden. Nach Angaben der International Federation for Human Rights wurden bereits 2 000 Regimegegner verhaftet. Angesichts der Er­fahrungen mit vergangenen Repressionswellen muss davon ausgegangen werden, dass ihr Leben akut in Gefahr ist.
Der Vorsitzende des politischen Büros der Revolutionswächter, Yadollah Javani, sagte: »Jede Aktion, die zu einer Revolution führen könnte, wird im Ansatz zerschlagen und vernichtet werden.« Beim zentralen Freitagsgebet forderte Ayatollah Ahmed Khatami, ein Mitglied des Wäch­terrats, »rücksichtslos und grausam« gegen die Revolte vorzugehen und die Anführer als »Feinde Gottes« mit dem Tode zu bestrafen.
Kommentatoren fragen sich angesichts der Unruhen im Iran, ob Khamenei mit der einseitigen Unterstützung Ahmadinejads einen entscheidenden Fehler begangen habe. Warum war das Regime bereit, das Land an den Rand des Bürgerkriegs zu treiben? Aus der Sicht westlicher Länder und auch vieler Iran-Lobbyisten wäre es wünschenswert gewesen, mit Mousavi einen neuen, nicht durch die Holocaust-Leugnung und andere Provokationen belasteten Präsidenten für die geplanten Verhandlungen über das Atomprogramm zu präsentieren.

In der Perspektive Khameneis und seiner Leute stellt sich die Sache jedoch grundlegend anders dar. Der reformislamistische ehemalige Präsident Mohammed Khatami mag dem Westen und insbesondere den Deutschen zwischen 1997 und 2005 mit salbungsvollen Worten geschmeichelt haben. Aus der Sicht der dominanten Fraktionen des Regimes ist er ein Versager, in dessen Amtszeit die ersten Massenproteste gegen das Regime seit seiner Stabilisierung in den achtziger Jahren fallen. Khamenei zog daraus offenbar den Schluss, dass das Überleben des Regimes davon abhänge, nicht einmal zum Schein Kompromissbereitschaft zu zeigen. Ahmadinejad erwies sich als Idealbeset­zung für diese Politik. Mit dem Segen Khameneis verschob er die Machtverhältnisse zugunsten der Revolutionswächter, die nun Schlüsselpositionen im Kabinett und in der Verwaltung besetzen.
Die Islamische Republik Iran war von Anfang an ein prekäres Bündnis verschiedener klerikaler und militaristischer Banden. Ihr Zusammenhalt konstituiert sich durch Terror nach innen und Ag­gressivität nach außen. Diese Dynamik duldet keine Kompromisse und wirkt nun selbstzerstörerisch auf das Regime. »Khamenei hat keinen Fehler gemacht, er hatte keine andere Wahl«, kon­statiert der in den USA lebende exiliranische Publizist Hassan Daioleslam. »Das Regime hat im­mer schon innere Schwäche durch außenpolitische Aggression kompensiert. Es wird jetzt mit Hochdruck versuchen, an die Atombombe zu gelangen.«
Es fragt sich, wie lange die USA und die EU durch diplomatische Offerten die Agonie des Regimes noch verlängern wollen. Iranische Oppositionelle im In- und Ausland warnen, dass jede weitere Kollaboration mit dem Regime zwangsläufig zum Krieg führe, den Khomeini einst als »Geschenk des Himmels« bezeichnete. Sie fordern vom Westen harte Sanktionen, insbesondere im Energiesektor. Denn trotz des Ölreichtum muss der Iran 40 Prozent seines Bedarfs an raffiniertem Brennstoff importieren. Ohne ausreichende Benzinversorgung werde das Regime in Kürze kollabieren.