Angriffe gegen Roma in Belfast

Keine Roma unter dem Union Jack

Während die protestantischen Paramilitärs ihre Waffen abgeben, schlagen in Nord­irland Nazis zu: In Belfast wurden an meh­reren Tagen in Folge Roma angegriffen.

»Wir wussten vermutlich nicht genug über die Roma. Wir haben es nicht geschafft, ihre Sorgen und Ängste zu verstehen, und möglicherweise haben wir das zu spät realisiert«, sagte der Polizeisprecher Alistair Finlay. Dass sie zu spät reagiert hatte, fiel aber nicht nur der Polizei selbst auf. Das Anti Racist Network (ARN) in Belfast warf der nordirischen Polizei vor, nicht schnell genug gegen die rassistischen Angriffe auf mehrere Roma-Familien vor zwei Wochen vorgegangen zu sein. 110 Roma hatten nach wiederholten Attacken auf ihre Wohnhäuser im Belfaster Universitätsviertel in eine Kirche fliehen müssen. Später wurde auch diese angegriffen. Die meisten der Ro­ma haben nach den Angriffen gesagt, sie wollten nach Rumänien zurückkehren, viele haben Nord­irland bereits verlassen.
Die Polizei hatte nach den Attacken zunächst gemeldet, die Opfer seien Polen. Finlay fügte hinzu, man habe die Lektion nun gelernt, und versprach Besserung. Doch Barbara Muldoon vom ARN wies darauf hin, dass Roma bereits vor sechs Jahren in Belfast Attacken ausgesetzt gewesen sei­en und die Polizei auch damals versprochen habe, ihre Kommunikation mit den Opfern rassistischer Gewalt zu verbessern.

Roma sind nicht die einzigen Ausländer in Belfast, die Angriffen ausgesetzt sind. In den vergangenen Jahren gab es im Süden der Stadt, in dem auch das Universitätsviertel liegt, und insbesondere im Viertel Village immer wieder Angriffe auf Ausländer. Statistiken zufolge stieg die Zahl der rassistischen Attacken in der Stadt von 450 im Jahr 2004 auf fast 1 000 im Jahr 2008 an. Zu den Opfern gehören Chinesen und Vietnamesen sowie Polen, Litauer und andere Einwanderer aus der EU. Zuletzt wurden im April im Village polnische Einwanderer nach dem Fußballspiel Nordirlands gegen Polen angegriffen. 2005 hatte der Spie­gel Belfast zur rassistischsten Stadt Europas erklärt.
Die nordirische Polizei hat wegen der Attacken auf die Roma bisher vier Personen im Alter von 15 bis 21 Jahren festgenommen. Wegen der Angrif­fe auf die Kirche, in der die Roma Schutz fanden, gab es drei weitere Festnahmen. Die Polizei sieht es bisher nicht als erwiesen an, dass die beiden Ereignisse in einem Zusammenhang stehen, und ermittelt daher unabhängig in beiden Fällen. Gegen die These der Behörden spricht die Öffentlichkeitsarbeit der Täter. Im Zuge der mehrtägigen Vorfälle erhielten viele Nordiren per SMS eine Art Bekennerschreiben zugesandt. In Reimen wurden in dem kurzen Text »rumänische Zigeuner« aufgefordert, den Süden Belfasts zu verlassen. Andernfalls werde die »loyalistische Combat 18« sie »zusammenschlagen«. »Get the boat and don’t come back! There is no black in the Union Jack«, hieß es in der Textnachricht weiter.
Combat 18 ist eine Nazi-Organisation, die in Großbritannien vor allem in den frühen neunziger Jahren von sich reden machte. Die Zahl 18 steht für die Buchstaben A und H, die Initialen Adolf Hitlers. Insbesondere den Milizen der protestantischen Loyalisten in Nordirland wurden damals enge Kontakte zu Combat 18 nachgesagt. Doch das Verhältnis war nie ohne Spannungen, nicht zuletzt weil man im gleichen Milieu, der weißen protestantischen Arbeiterklasse Nordirlands, nach Rekruten Ausschau hielt. In der jüngeren Vergangenheit bedrohte nach Berichten des Guardian mindestens eine Gruppe, die Ulster Volunteer Force (UVF), Mitglieder von Combat 18 mit Schusswaffen und forderte diese auf, Nord­irland zu verlassen.

Die protestantischen Paramilitärs, unter anderem die UVF, haben vor zwei Wochen nach langen Verhandlungen und Verzögerungen begonnen, ih­re Waffen abzugeben. Diese für den Friedensprozess in Nordirland sehr positive Neuigkeit wurde von den rassistischen Angriffen überschattet. Für einen Sprecher einer weiteren paramilitärischen Gruppe, der Ulster Defence Alliance (UDA), stehen die Ereignisse in einem Zusammenhang. Während die loyalistischen Milizen die Waffen niederlegten, um »die protestantischen Viertel zu transformieren«, versuchten Nazi-Gruppen, frustrierte Jugendliche zu rekrutieren. Der Sonntagszeitung Observer sagte der Sprecher: »Wir haben hier die Aufgabe vor uns, eine ganze Gene­ration, die mit idealisierten Bildern des bewaffneten Kampfes aufgewachsen ist, davon zu überzeugen, dass Gewalt keine Antwort ist.«
Er schloss zudem aus, dass es sich bei den Angreifern um gut organisierte Gruppen handelt. Es seien »Trittbrettfahrer-Rassisten«, die den Namen von Combat 18 nutzten, um Angst unter den Immigranten zu schüren. Es bestehe allerdings die Gefahr, dass sich die Gruppen besser or­ganisierten, zum Beispiel in der British National Party oder der nordirischen Ulster British People’s Party.
Alle nordirischen Parteien verurteilten die Gewalttaten. Die Bürgermeisterin der Stadt, Naomi Long, sprach von einem »immensen Schaden für den internationalen Ruf Belfasts«. Doch auch wenn die meisten Menschen die Gewalt ablehnten, zeigten sich manche über die Vertreibung der Roma aus dem Viertel durchaus erfreut. Die Roma seien Bettler, sie sollten nicht einmal ins Land gelassen werden, äußerte sich eine Frau aus dem Village im Guardian. Ein Mann befand in der Zeitung, es sei für alle Beteiligten besser, wenn die Roma nach Rumänien zurückkehrten.

Der Glasgower Soziologe Chris Gilligan hält allerdings nichts davon, Belfast als übermäßig rassistische Stadt zu bezeichnen, wie er im Internet-Magazin »Spiked Online« darlegte. Er wies darauf hin, dass Nordirland sich seit dem Ende des bewaffneten Konflikts von einem Auswanderungsland in ein Einwanderungsland verwandelt habe. Die Zahl der Immigranten ist seit 1999 von einigen hundert auf über 12 000 im Jahr angewachsen. Angesichts solcher Zahlen seien die Warnungen vor einem ausufernden Rassismus in Nord­irland mit Vorsicht zu bewerten. Belfasts jüngere Einwanderungsgeschichte zeigt dem Soziologen zufolge, dass ein großer Zuzug von Immigranten nicht notwendig zu proportional steigender Frem­denfeindlichkeit führe.
Gilligan kritisierte aber auch die Polizei: Sie nutze die wiederholten Angriffe, um sich als Vermittlerin zwischen den Bevölkerungsgruppen darzustellen. Dabei weise die Polizei selbst diesel­ben rassistischen Strukturen auf wie der Staat, zum Beispiel in Immigrationskontrollen. Während sich der derzeitige Diskurs also auf den Rassismus der weißen Arbeiterklasse konzentriere, dür­fe man nicht vergessen, den strukturellen Rassismus des staatlichen Einwanderungsregimes zu kritisieren.