Der »Heidelberger Appell« ist konservativ

Appell an die Vergangenheit

Der »Heidelberger Appell« offenbart den Konservatismus seiner Urheber.

Die Autoren des Heidelberger Appells zeigen sich schon zu Beginn nicht kleinlich. Verfassungsmäßig verbürgt sei das Urheberrecht. Erfahrungsgemäß genügt ein Blick ins ursprüngliche Werk, um die Richtigkeit dieser Aussage zu überprüfen. Und siehe da: Das Grundgesetz sagt zu der Frage, wie das Urheberrecht ausgestaltet sein sollte, in etwa so viel wie die Bibel zur embryonalen Stamm­zellenforschung. Die Schöpfer des Grundgesetzes hatten mit dem Gedanken gespielt, den Schutz des geistigen Eigentums in die Verfassung aufzunehmen, haben dann aber darauf verzichtet. Die Urheber des Heidelberger Appells haben ihn dann 60 Jahre später reingeschrieben. Geht man so mit dem Urheberrecht der Verfassungsgebenden um?
Aber das ist eine Lappalie, dichterische Freiheit. Denn wer bestreitet schon die Wichtigkeit des Schutzes der Autorenschaft? »Die bestreiten alles, nur nicht ihren Lebensunterhalt«, hieß es in den Sechzigern über protestierende Studenten. Und wer macht den Autoren den Lebensunterhalt strei­tig? Nicht zuletzt die Verlage. Die Zahl der Au­toren, die von ihrem Werk allein leben können, reicht gerade mal dazu, die Auswechselbank des FC Bayern München zu bestücken. Allerdings verdienen natürlich auch diese Happy Few weniger als die Ersatzspieler des deutschen Rekordmeisters. Zehn Prozent des Ladenpreises minus Agentenhonorar minus Steuern minus Therapeutenrechnung. Kein Wunder, dass man als Autor ständig gefragt wird: Und was machen Sie sonst?
Es wäre natürlich unredlich, den Anteil der Ver­lage kleinreden zu wollen: Im Idealfall entwickeln sie einen Autoren, erschließen den Markt für ihn, machen einen Text überhaupt erst zum Buch – wer aber dessen Urheber als bloßen Buch­stabenlieferanten abqualifiziert und mit Almosen abspeist, ist schwerlich ernst zu nehmen als Hüter der Kulturlandschaft. In der übersichtlichen Welt des Heidelberger Appells ist die Sache klar: Der Feind steht im Netz. Auf Youtube werden Bücher raubgelesen, bei Myspace schicken sich die Nutzer Anthologien hin und her, bei Twitter wird Heidegger gebrandschatzt und Amazon schließ­lich – ach, nein, Entschuldigung.

Nirgendwo fänden die Verleger mehr Menschen, die Google skeptisch gegenüberstehen, als im Netz. Aber es geht anscheinend nicht darum, Ver­bündete in der Sache zu finden, man möchte einfach nur zum Appell rufen, »an die Waffen, Ge­nosse Bundeskanzler, schütze uns!«, für Argumente ist es längst zu spät, es geht ins letzte Gefecht. Dabei steht es um den Buchmarkt nicht schlecht. Nach dem Boomjahr 2007 mit elf Prozent Umsatzsteigerung verzeichnete ausgerechnet der Online-Buchhandel zuletzt die größten Zugewinne. Warum also die Panikmache? Es geht um des Geistigen schönste Materialisierung: das niemals stinkende Geld. Das Geld der Rechteverwerter, nicht etwa der Urheber.

Und wenn man erst Angst ums Geld hat, dann ist es eine lässliche Sünde, alles, wovor man sich gerade fürchtet, in einen Topf zu werfen, kräftig umzurühren und dann zu kreischen. Was verbindet etwa das amerikanische Datenimperium Google mit der Allianz der deutschen Wissen­schafts­organisationen? Oberflächlich betrachtet gar nichts, und schaut man genauer hin, dann stellt man fest: tatsächlich nicht das Geringste.
Die Hochschulrektorenkonferenz, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Fraunhofer-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst, alle gehören zum losen Verbund Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen. Was haben sie sich zuschulden kommen lassen, dass sie von den Verlegern bezichtigt werden, die »Frei­heit von Forschung und Lehre sowie die Presse- und Publikationsfreiheit zu untergraben«? Sie machen sich für Open Access stark, sie bemühen sich also darum, die Informationsinfrastruktur auszubauen, mittels der Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Forschung frei und für jedermann zugänglich im Internet publizieren können.
Momentan sieht die Situation folgendermaßen aus: Ein mit staatlichen Geldern geförderter Wissenschaftler publiziert, ohne dass er dafür ein Honorar erhielte, in einem Fachmagazin, wobei er in der Regel alle Rechte an der Schrift abtritt, der Beitrag wird von ebenfalls vom Staat bezahlten Wissenschaftlern geprüft, die wiederum von den Verlagen kein Honorar erhalten. Die Zeitschrift wird schließlich für Unsummen von den Universitäten abonniert. Mit anderen Worten: Einige wenige Wissenschaftsverlage werden auf verschlungenen Pfaden subventioniert. Zu Lasten des wissenschaftlichen Informationsaustauschs. Und wer würde nicht klagen, wenn man ihm die Lizenz zum Gelddrucken entziehen will?

Malte Welding war Autor des bekannten Weblogs Spreeblick und betreibt ein eigenes Blog unter: malte-welding.com

Geändert: 8. Juli 2009