Linke Debatten in Europa über die Entwicklungen im Iran

Grün, grün, grün ist alles, was ich habe

In der Debatte über den Aufstand im Iran ist die Linke in Europa vor allem eins: solidarisch. Mit wem und warum, darüber wird gestritten.

Großbritannien:Das »Potenzial des Islam«
Heftige Kontroversen um den Iran sind in der britischen Linken nicht neu. 2005 hatte die Campaign for Nuclear Disarmament den iranischen Botschafter eingeladen, eine Rede bei ihrer jährlichen Mitgliederversammlung zu halten. Teilnehmer, die darauf verwiesen, dass der Iran aller Wahrscheinlichkeit nach selbst Atomwaffen baue, wurden damals ausgeschlossen. Ein Jahr später begann die mit den Protesten gegen den Irak-Krieg entstandene Stop the War Coalition (STWC) eine Kampagne gegen einen angeblich von den USA erwogenen Angriff auf den Iran. Bei den damaligen Demonstrationen durften iranische Dissidenten zwar mitlaufen, doch als sie gegen das Regime in ihrem Herkunftsland protestieren woll­ten, wurden sie von den Ordnern der STWC daran gehindert.
Im Hinblick auf die gegenwärtigen Vorgänge im Iran zeichnet sich derzeit keine klare Konflikt­linie ab. Auf linken Webseiten und in Artikeln sowie Analysen finden sich die üblichen Solidaritätsbekundungen für die iranische Protestbewegung. Sogar die trotzkistische Socialist Workers Party (SWP) sieht in der Bewegung das Potenzial, die Interessen der iranischen Arbeiterklasse zum Ausdruck zu bringen. Einzige Ausnahme ist der Unterhausabgeordnete für den mehrheitlich mus­limischen Wahlbezirk Bethnal Green in Ostlondon, George Galloway. In einer Kolumne in der Ta­geszeitung Daily Record erklärte er, dass es »kein Jota Beweise« für eine gefälschte Wahl gebe. Auf Indymedia finden sich einige Verschwörungstheorien, wonach der gesamte Protest eine »Destabilisierungsaktion der CIA« sei.
Der Herausforderer von Mahmoud Ahmadinejad, Mir Hussein Mousavi, wird insbesondere von der SWP als Vertreter der städtischen Mittelschichten wahrgenommen. In einigen Analysen heißt es, er sei an einer »neoliberalen Umgestaltung« des Iran interessiert und wolle somit westlichen Interessen entgegenkommen. Die Menschen­rechtler erinnern ihrerseits daran, dass Mousavi in den achtziger Jahren Hardliner und für Folterungen und Hinrichtungen von Oppositionellen verantwortlich gewesen sei. Seine gegenwärtigen Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen der iranischen Regierung seien Heuchelei. Mousavi bleibe ein Fundamentalist.
In diesem Kontext spricht der in London ansäs­sige Philosoph Slavoj Žižek von einem »fundamentalen Unverständnis«, das weltliche Linke der iranischen Protestbewegung entgegenbrächten. Er bezeichnet Ahmadinejad zwar als einen Islamo-Faschisten, gleichzeitig die Proteste aber als eine »Rückkehr des Verdrängten« aus den Zeiten der Khomeini-»Revolution«, und begrüßt das »re­vo­lutionäre Potenzial des Islam«, welches in seinen Augen in den derzeitigen Protesten sichtbar wird.
fabian frenzel, london

Frankreich:Wichtig ist der Klassenkampf
In Frankreich verfolgt die linke Presse die Protest­bewegung im Iran überwiegend mit Aufmerksamkeit und Solidarität. In den vergangenen Tagen fanden auch Solidaritätsaktionen statt. Aus inhaltlichen Gründen könnte man zwar die irani­sche Oppositionsbewegung der Volksmujahedin – deren Nationaler Widerstandsrat seinen internationalen Sitz im Pariser Umland hat – unberücksichtigt lassen, da diese fanatisch und antidemokratisch auftritt. Allerdings konnte sie Zehntausende Menschen zu einem Meeting in Villepinte im Pariser Umland versammeln. Da diese Bewegung sich gerne als »demokratisch« darstellt, wer­den ihre Großveranstaltungen häufig auch von Vertretern französischer NGO besucht.
Am Freitag vergangener Woche demonstrierten die französischen Gewerkschaftsverbände CGT und SUD-Solidaires vor der iranischen Botschaft in Paris. Am Vorabend hatten am selben Ort rund 1 000 Menschen demonstriert, mehrheitlich Iraner und vor allem sehr viele Iranerinnen, aber auch Menschen aus Antirassismus- und Internationalismusorganisationen oder aus der französischen KP.
In linken Publikationen wird versucht, die Protestbewegung zu analysieren. Die Wochenzeitung Lutte Ouvrière der gleichnamigen trotzkistischen Partei begrüßte, dass »viele Menschen die Diktatur im Iran nicht mehr ertragen können«, warnte aber auch davor, dass bürgerliche Kräfte aus den Mittel- und Oberklassen den Protest instrumentalisieren könnten, indem sie sich ausschließ­lich »gegen das mittelalterliche Korsett des Regi­mes« wenden und sich nur für die Gewährung in­dividueller Freiheiten aussprechen. Die ärmeren Menschen, die unmittelbare Überlebenssorgen ha­ben, drohten, abseits zu stehen, was das Regime stärken würde.
Die Wochenzeitung des Nouveau Parti Anticapi­taliste (NPA), Tout est à nous, sieht den Protest als mögliche Keimzelle »einer neuen Revolution im Iran«, die als demokratische Revolution betrachtet wird. Die Zeitung richtet ihre Aufmerksamkeit vor allem auf Streiks im Iran.
Auf der anderen Seite finden sich jene Pseudo-Intellektuellen, die sich auf das Aufdecken vermeintlicher imperialistischer Verschwörungen spe­zialisiert haben und nun den Iran als deren neuestes Opfer betrachten. So berichtet der Verschwö­rungsideologe Thierry Meyssan auf der Homepage von Voltairenet, die CIA habe die Geschehnisse im Iran in die Hand genommen. Über iranische Handys habe sie falsche Nachrichten über den Ausgang der Wahlen verbreitet. Die Destabilisierung habe funktioniert, schreibt Meyssan, dennoch sei nicht sicher, ob die CIA die Demonstranten nun zu dem bringen könne, »was zu tun sie keinerlei Lust haben: das Regime zu stürzen und die islamische Revolution abzuschließen«.
In ähnlicher Weise sieht Michel Collon, Journalist und Chefideologe der maoistisch-stalinistischen Partei der Arbeit Belgiens, der auch in Frank­reich seine Schriften zu verbreiten versucht und Kontakte zu bekannten Verschwörungstheoretikern in Deutschland unterhält, den Iran als Opfer eines imperialistischen Manövers.
bernhard schmid, paris

Spanien:Hauptsache gegen Israel
»Warum kämpfen wir hier für die Freiheit und unterstützen im Iran eine Tyrannei?« fragte der User Eloi in einem Kommentar auf der Webseite des linken Kollektivs Kaosenlared.net: »Ich akzep­tiere auch in Katalonien, wo ich lebe, kein Regime ohne Streikrecht, mit prekären Arbeitsverhältnissen und einer Abwertung von Frauen und studentischen Bewegungen.«
In Spanien gibt es eine lebhafte und sehr kontroverse Debatte im Internet über die Proteste im Iran. Dagegen schweigen die größeren linken Parteien. Die Vereinigte Linke lässt ebenso wenig etwas offiziell verlauten wie die Kommunistische Partei, die größte ihr angeschlossene Organisation. Auch die anderen Organisationen der klassischen Linken bieten ein ähnliches Bild. Wenn der Osten vorkommt, dann der Nahe. Das Kollektiv der Einheit der Arbeiter ruft zum Boykott Israels auf und steht damit keinesfalls allein. Aber während ein Großteil der klassischen wie der neuen Linken das Recht auf die Bekämpfung Israels betont und dem eliminatorischen Antisemitismus von Ahmadinejad, Hamas & Co. nicht widerspricht, gibt es viel Widerspruch gegen ein antiimperialistisches Bündnis mit Ahmadinejad. In zahlreichen Kommentaren stößt man auf die drei Hauptargumentationslinien der spanischen Linken. Die erste: Ahmadinejad sei zwar ein Vertreter eines klerikalen Regimes, aber ein Antiimperialist und bereit, sich gegen die USA und Is­rael zu stellen – und deshalb unterstützenswert. Andere wiederum suchen nach einer Äquidistanz zum Klerikalregime und zum Imperialismus. Schließ­lich gibt es diejenigen, die das iranische Re­gime ablehnen und zur Solidarität mit der Protestbewegung aufrufen. Beispielsweise die Gruppen Revolutionäre Linke und Antikapitalistische Linke, denen von Antiimperialisten reflexhaft vor­geworfen wird, sie seien Klassenverräter und »Papageien des Imperialismus«, weil sie für Men­schenrechte im Iran eintreten.
Die Wahlliste Internationalistische Initiative – Solidarität der Völker schweigt trotz ihres Namens zum Iran. Sie ist damit beschäftigt, sich gegen die Kriminalisierung ihres prominenten Mitglieds Alfonso Sastre zu wehren, dem wegen eines Artikels Verharmlosung des Terrorismus und Sympathien für die Eta vorgeworfen werden.
gaston kirsche

Russland:Freundschaft mit Grenzen
Von Revolutionen, bei denen kräftige Farben eine Rolle spielen, hält man im russischen Establishment wenig. Nicht nur orangene Fähnchen mag man in Russland seit dem Machtwechsel in der Ukraine nicht. Auch von dem satten Grün, das von nun an nicht mehr allein die Farbe des Islam ist, sondern auch für die Proteste gegen den angeblichen Wahlsieg von Ahmadinejad steht, distanziert sich die russische Regierung. Der Kreml will sich nicht in innere Angelegenheiten des Iran einmischen. »Ich bin sicher, dass sich alle Fra­gen im Zusammenhang mit den vergangenen Wahlen auf der Grundlage iranischer Gesetze regeln lassen müssen«, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow Mitte vergangener Woche.
Die russische Regierung gibt sich recht gelassen hinsichtlich der Massendemonstrationen in Tehe­ran und anderen iranischen Städten. Auch wenn Ahmadinejads Macht gefährdet ist – verlieren wird er sie vorerst wohl nicht, und das ist die Hauptsache. Die der Regierung nahe stendende Tageszeitung Iswestija führte als Indiz gegen einen Erfolg der Opposition an, dass es sich bei dem Aufruhr um »innere Widersprüche« han­dele und damit das wichtigste Kriterium für eine farbige Revolution nicht vorhanden sei: die berüchtigte »Hand des Westens«. Außerdem zitierte sie einen »Experten« mit den Worten, dass im Iran schließlich niemand gegen das Regime protestiere, sondern nur für Gerechtigkeit im Sinne des Koran demonstriert werde.
Doch obwohl Russland enge Beziehungen zum Iran unterhält und auch in der Zukunft an einer Kooperation interessiert ist, die den lukrativen Waffenhandel zwischen den beiden Ländern und die russische Unterstützung des iranischen Atomprogramms mit einschließt, hat die Freund­schaft ihre Grenzen. So setzt sich der Kreml bislang nicht für eine Vollmitgliedschaft des Iran in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit ein. Diese setzt sich seit dem jüngsten Gipfel in Jekaterinburg, in dessen Rahmen ein Gespräch zwischen Ahmadinejad und dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew stattfand, stärker für eine Zurückdrängung des Dollars als internationalen Zahlungsmittels ein.
In russischen liberalen Kreisen deutet man die Proteste gegen Ahmadinejads Wahlsieg als er­neuten Beweis dafür, dass die Versuche autokratischer politischer Führungen, die Bevölkerung auf eine dekorative Rolle als Ja-Sager und Stimmvieh zu reduzieren, langfristig zum Scheitern verurteilt seien. Die russische Linke hat zu den Wah­len im Iran wenig zu sagen. Viele sehen den Iran gerne als antiamerikanische Führungsmacht im Nahen Osten, ob mit oder ohne Ahmadinejad.
ute weinmann, moskau

Italien:Solidarität mit dem »Volk«
Von einer Debatte über die Entwicklungen im Iran kann derzeit in der italienischen Linken keine Rede sein. In den wichtigsten Publikationen und Internetforen hält man sich zumindest zurück. In einem Land, in dem der linke Konsens vorwiegend antiimperialistisch, antizionistisch und antiamerikanisch ist, hat das nicht nur Nachteile.
Die Zurückhaltung der üblichen linken und links­radikalen Kommentatoren – die sich sonst, vor allem, wenn es um den Nahen Osten geht, ständig zu Wort melden – führt in diesem Fall dazu, dass sich die absurdesten Verschwörungstheorien nicht so schnell verbreiten. Erstaunlich unideologisch blieb bisher die Berichterstattung in linken und linksradikalen Zeitungen, was die Lage im Iran angeht, allen voran il manifesto und Liberazione. Die zu erwartende Solidarisierung mit »dem iranischen Volk« hat diesmal wenigstens dazu geführt, dass linke Medien sich mit dem iranischen Regime beschäftigten und nicht, wie üblich, mit dem Iran als antiimperialistischer Projektion. Selbst die Anhänger von Hugo Chávez, die in Italien zahlreich sind, trauten sich nicht, die Äußerungen ihres Máximo Líder zu kommentieren, nachdem er seinem Freund Ahmadinejad zum Wahlsieg gratuliert hatte.
Das bekannte Muster »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« funktioniert angesichts der iranischen Protestbewegung offenbar nicht mehr. Das könnte einige interessante Perspektiven bieten für eine grundsätzliche Debatte über Islamismus, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der italienischen Linken, doch an Debatten scheint derzeit kaum jemand Interesse zu haben.
Dass die Theorie einer vom Westen gesteuerten Verschwörung nicht im Mainstream angekommen ist, bedeutet allerdings nicht, dass es keine gäbe. Dass solche Theorien nicht auf Indymedia zu lesen sind (eine weitere erfreuliche Überraschung), bedeutet nicht, dass sie nicht im Netz zir­kulieren. Die Hardcore-Antiimperialisten betonen auf Seiten wie bellaciao.org, dass es sich bei der iranischen Protestbewegung um einen »Präventivkrieg« der USA handele. »Der Iran (den ich eigentlich Persien nennen möchte) stellt für niemand eine Bedrohung dar, ganz im Gegenteil, er wird von Israel bedroht, das Tausende Atomwaffen besitzt«, schreibt zum Beispiel Pietro Ancona, der zur Solidarität u.a. mit dem Iran, Russland und China aufruft – also mit den Ländern, in denen kein US-amerikanisches Militär zu finden sei.
Die Post-Stalinisten, etwa Classe Operaia (Arbeiterklasse) oder L’Ernesto, finden den Aufstand im Iran zu »bürgerlich« und »intellektuell«, sehen in Ahmadinejad einen Vertreter der »armen Bevölkerung« und halten die Vorwürfe des Wahlbetrugs für ein Destabilisierungsmanöver Israels und der USA.
federica matteoni