Für den »Heidelberger Appell«

Ohne Original keine Kopie

Der »Heidelberger Appell« fordert von Google die Beachtung der Autorenrechte. Und Autoren waren nie so wertvoll wie heute – auch für das Internet.

Dass »geistiges Eigentum« überholt sei, können nur die behaupten, die von Geistesarbeit nicht leben müssen. Oder weltabgewandte E-Literaten, die stets nur ans Kunstwollen und die Integrität des Werkes denken. Für die schlichteren Autoren wie mich als Krimiromanverfasserin heißt Urheberrecht: Mein Text gehört mir, und wie damit umgegangen wird, bestimme ich, denn nur so kann ich vom Verkauf der Nutzungsrechte profitieren.

Deshalb habe ich den »Heidelberger Appell« unterschrieben. Auch Google hat Autorenrechte zu respektieren. Und den Raubkopierern sei gesagt: Schön, dass ihr unsere Bücher lesen wollt. Aber sie haben Erzeuger, die ihre 400 Seiten nicht eben mal so runtergebloggt haben. Dennoch: Ver­gessene und vergriffene Bücher wieder verfügbar zu machen, ist eine großartige Sache, und so­fern sich Google darauf beschränkt und das Recht der Autoren wahrt, sehe ich überwiegend Vorteile. Warum ich auch den Freibeuterscharen einiges nachsehe, die Bücher einscannen und zum kostenlosen Herunterladen ins Netz stellen? Weil sie unsere Leser sind. Leidenschaftliche Vielleser, die sich stundenlang an den Scanner stellen, um ihre Begeisterung für Werk und Autor mit anderen zu teilen. Sie tun also das, was für Autoren heutzutage am wichtigsten ist: Sie empfehlen sie weiter.
Doch wer ein Buch kostenlos aus dem Netz sau­gen kann, geht Verlagen und Autoren als Käufer verloren. Das tut zwar unterschiedlich weh – der Schaden wird bei denen am größten sein, die bereits erfolgreich sind, denn wer eh schon weni­ger Bücher verkauft, wird auch weniger kopiert. Und solange die einzige echte Alternative zur Lek­türe am Bildschirm oder zum (kostspieligen) Aus­druck, der E-Book-Reader, unzulänglich und zu teu­er ist, wird die Mehrheit der Leser noch eine Weile zum Buch greifen. Möglich ist ja auch, dass das Fundstück aus dem Web die Einstiegsdroge ist, die den Leser in die Buchläden treibt: Man kann sich zumindest fragen, ob das die Verluste durch illegalen Download kompensieren könnte.
Aber der Trend ist abzusehen. Und da es bereits heute nicht ganz einfach ist, Lesern zu erklären, warum der höhere Preis für ein Hardcover nicht allein durch den aufwändigeren Einband gerecht­fertigt ist, sondern für den Autor lebensnotwendig ist, lässt sich denken, wie schwer es das legal zu erwerbende E-Book haben wird. Warum so viel Geld zahlen für etwas, das weder haptisch noch ästhetisch mit einem Buch mithalten kann? Das E-Book wird mit dem illegalen Download nur dann konkurrieren können, wenn es entweder einen Zusatznutzen bietet oder erheblich billiger wird. Der Geburtsfehler ist ja nicht mehr zu beheben: Wir sind es gewohnt, dass wir im Internet fast jeden »content« für lau bekommen, warum nicht auch ein Buch?
Aber das ist ohne Autoren nicht zu haben. Noch immer zeigen völlig unvorhergesehene Ausreißer wie der Erfolg der Harry-Potter-Romane oder, im kleineren Maßstab, der Bücher von Daniel Kehlmann oder Andrea Maria Schenkel, dass es die Autoren sind, die neue Inhalte schaffen. Die Maschine selbst bringt nichts hervor. Ohne Original keine Kopie. Da wäre es natürlich nett, wenn auch die Copypiraten, die sich als Vorhut der Mei­nungs- und Informationsfreiheit begreifen, die Sache mit dem geistigen Eigentum und den ökonomischen Bedingungen der Literaturproduktion berücksichtigen könnten. Aber haben Appelle jemals genützt?

Die Augen verschließen und weitermachen wie bisher hilft sicher ebenso wenig wie die gnadenlose Verfolgung von Eigentumspiraten, die finden immer einen Weg. Die Idee, aus Einsicht ins Unabänderliche Autoren mit einer kleinen staatlichen Überlebenshilfe auszustatten, damit sie in Spitzwegscher Idylle vor sich hin basteln können, ist wiederum unappetitlich. Autoren sind keine Streuobstwiesenpfleger und keine aussterbende Minderheit, die aus Gründen der Artenvielfalt erhalten werden müsste. Im Gegenteil: Noch nie waren sie so wertvoll wie heute. Gerade das Netz braucht, sucht, fleht nach »content«.
Deshalb wäre ein geschicktes Bündnis zwischen Autoren und Fans auf Dauer für beide Seiten besser. Schön, wenn sich auch die nehmende Seite dazu etwas einfallen ließe – und wenn es nur ein kleines Dankeschön für jeden kostenlosen Download wäre, das andere ermutigend in die Buchhandlungen treiben könnte. Weitersagen, was gefällt: Ich empfehle www.Autorendank.de. Bis jemandem endlich etwas Besseres einfällt.

Anne Chaplet ist Krimiautorin, ihr letzter Roman, »Schrei nach Stille«, erschien 2008. Unter ihrem bürgerlichen Namen Cora Stephan hat die Historikerin zahlreiche Sachbücher verfasst. Im Internet: anne-chaplet.de