Berlin Beatet Bestes, Folge 3

Amateure helfen bei Hustenreiz

Berlin Beatet Bestes. Folge 3: Ronald Patrick Guttridge: Beat’n’Heart (1960).

Platten kann ich in vielen Trödelläden meines Viertels kaufen, aber am liebsten tue ich das eigentlich auf dem kleinen samstäglichen Flohmarkt direkt vor meiner Haustür. Die Platten, die ich suche und liebe, werden von anderen Käufern nicht mal angefasst: Werbeschallplatten, Flexi-Discs, Produktionen von Billig-Labels und private Pressungen von Leuten, die eine Spur von sich hinterlassen wollten.
Dieses Sammelgebiet ist zwar auf Ebay bereits bekannt, und gelegentlich versucht auch immer mal wieder ein Händler, solche Platten für zehn bis 20 Euro pro Stück zu verkaufen. So richtig anbeißen wollen allerdings nur wenige. Mein Preis ist 50 Cent bis ein Euro, selten zwei Euro. Diese Platten dürfen nicht viel kosten, weil sie Abfall sind. Abgefallen vom großen Rand der Popmusik.
Im Café sitzend, zähle ich meine frische Ausbeute: Cissy Cramers Originalversion von »Der Novak lässt mich nicht verkommen« auf dem österreichischen Austroton-Label von 1959, Jimmy Fields mit einer deutschen Cover-Version von Ricky Nelsons »Hello, Mary Lou« auf dem Billig-Label Tempo, eine Werbeschallplatte von Telefun­ken mit Amateur-Aufnahmen vom 9. Internationalen Wettbewerb der Tonjäger 1960 in Amsterdam, eine Werbeschallplatte für das Hustenmittel Tussipect (gegen quälenden Husten) mit Aufnahmen von Georg Kreisler und Helen Vita und eine private Pressung von Joachim Sommerfeld, einem singenden Feuerwehrmann. Und dann ist da noch ein Konvolut von insgesamt sechs Flexi-Discs, die alle in einem Cover stecken. Die Schall­platten werben für Nordmende-Fernseher, für Nescafé mit dem Nescafé-Calypso von Max Woiski und seiner Band, für Berlin mit einer Auf­nahme des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt, für die Jugendmode-Kollektion Jugend International des Ka De We (gesungen von Monika Grimm und René Kollo), für die Philicorda-Orgel von Philips im 6”-Format und für das Hannoveraner Schuhhaus Mareno mit »Hawaiiki« (gespielt von den Bohama-Hawaiians). Ausnahmsweise wies ich den Händler sogar darauf hin, dass in einem Umschlag ein ganzer Schwung Platten steckte, und trotzdem musste ich nur einen Euro zahlen.
Als besonders interessant für Pop-Fans stellte sich die Telefunken-Platte heraus, auf der lauter Amateur-Tonband-Collagen zu hören sind. Die einzige vollständige Aufnahme ist zum Glück das Stück »Beat’n’Heart«. Aus dem beiliegenden Infoblatt:
Was hier dem Engländer Ronald Pattrick Guttridge – er ist Vertreter von Beruf – gelang, hätte eine reelle Chance, ein Bestseller zu werden. Das technische Raffinement, mit dem er eine an sich simple Melodie auf der elektrischen Gitarre mit Schlag­zeug und dem treibenden Rhythmus eines menschlichen Herzens versehen hat, erinnert schon sehr an die perfekte Aufnahmetechnik amerikanischer Hits. Der Amateur erreicht qualitativ die Professionellen.
Leider brachte es Guttridge dann doch nicht bis zum eigenen Tonträger, geschweige denn schaff­te er es bis in die Charts. Allerdings zeigt ein kurzer Google-Check, dass die Aufnahme Mitte der Neunziger auf Volume 4 von »Prae-Kraut-Pandemonium« erschienen ist, der wich­tigsten Compilation-LP-Serie für obskuren deut­schen Beat. Mit dem pri­mitiven Charme dieser instrumentalen Rock’n’Roll-Aufnahme wurde mein samstäglicher Flohmarktbesuch jedenfalls belohnt.