Der Machtkampf im Iran

Die Aktionäre des Jihad

Der Machtkampf im iranischen Establishment dauert an. Sollten Khamenei und Ahmadinejad ihn gewinnen, droht eine Saddamisierung des Regimes.

Nahe der »heiligen Stadt« Qom findet sich ein Platz, von dem aus man in den Himmel kommen kann. Vorerst allerdings nur als Satellit oder Spreng­kopf, denn vom Startplatz der iranischen Raumfahrtbehörde heben nur unbemannte Rake­ten ab. Bekannt ist die Stadt jedoch vor allem wegen ihrer theologischen Seminare. Sie sollten eigentlich die Kaderschmiede des Regimes sein, doch ausgerechnet hier melden sich nun geistliche Kritiker des religiösen Führers Ali Khamenei und sei­nes Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad zu Wort.
»Das Ergebnis ist ungültig«, stellte die Vereinigung der Forscher und Lehrer von Qom in einer am Samstag veröffentlichten Erklärung fest. Doch es blieb nicht bei der erneuten Kritik an der Manipulation der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni. Der Wächterrat habe »Monate vor der Wahl bewiesen, dass er nicht unparteiisch ist«, und sei da­her »nicht kompetent«, die Ergebnisse zu überprüfen. Deutlicher lässt sich kaum sagen, dass Kha­menei, der die Hälfte der Mitglieder des Wächterrats selbst bestimmt und die andere Hälfte von dem Obersten Richter aussuchen lässt, den er ernannt hat, persönlich für die Wahlfälschung ver­antwortlich ist und sie langfristig geplant hat. Die Geistlichkeit sei nun aufgerufen, »die Würde, die mit dem Blut zehntausender Märtyrer verdient wurde«, zu retten, eine Formulierung, die Khamenei in die Nähe des Schahs rückt.
Die Stellungnahme aus Qom ist umso brisanter, als die Fraktion Khameneis klargestellt hat, dass alle, die sich ihr in den Weg stellen, als Staatsfein­de behandelt werden. In der Zeitung Kayhan und anderen Khamenei ergebenen Medien wird die Verhaftung Mir Hussein Mousavis gefordert, die Protestierenden werden als »ausländische Agenten« bezeichnet.
Mousavi und Mehdi Karroubi, der zweite Kandidat der »Reformer«, fordern weiterhin eine Annullierung der Wahlen. Inhaftiert wurden bislang nur Mitarbeiter der beiden Politiker, das besondere Interesse gilt offenbar den Medien der »Reformer« sowie der Bloggerszene, die weitgehend zum Schweigen gebracht wurde. Nach Angaben von Amnesty International wurden am 22. Juni in Teheran 25 Mitarbeiter der Zeiting Kalameh Sabz festgenommen, die Mousavis Wahlkampf unterstützt hatte. Den »Reformern« und der Bevölkerung soll demonstriert werden, dass keinerlei Dissidenz mehr geduldet wird.

Hochrangige Geistliche zu verhaften, ist hingegen noch immer ein Tabu. Zwei der fünf bedeutendsten iranischen Ayatollahs, Hussein Ali Montazeri und Youssef Sanei, haben sich mit der Opposition solidarisiert, die anderen drei schweigen. Gegen Khamenei wenden sich nicht allein die »Reformer«, sondern auch Männer wie Hashemi Rafsan­jani, der als Zentrist und Powerbroker gilt.
Der religiöse Führer und der Präsident entmach­ten die republikanischen Institutionen, die der Bevölkerung zwar nie ein Mitspracherecht gaben, aber ein plebiszitäres Element darstellten. Damit verliert das Regime nicht nur an Legitimation, es beraubt sich auch der Möglichkeit, die Stimmung der Iraner zu erkunden und entsprechend zu reagieren. Das Regime wird zu einer religiös legitimierten Militärdiktatur.
Ob dieser Schritt tatsächlich langfristig geplant war oder ob Khamenei improvisieren musste, ist noch ungeklärt. Auch die Motive des religiösen Führers sind rätselhaft. Khamenei weiß sicherlich, dass sein Ansehen als Geistlicher gering ist. Wenn er nun die islamistische Geistlichkeit spaltet, müsste er sich des Risikos bewusst sein, dass er immer mehr vom Militärapparat abhängig werden könnte, der allein seine Macht erhalten kann.
Doch zweifellos hat Khamenei alle Maßnahmen Ahmadinejads unterstützt, einschließlich der Privilegierung der »Revolutionswächter«, die zahl­reiche Posten besetzten und Milliardenbeträge für ihre Unternehmen einstrichen. In rasantem Tempo ist im Iran eine Militärbourgeoisie herangewachsen, während die Milizionäre der unteren Ränge mit kleinen Geschenken belohnt werden.
Die Privatisierungspolitik scheint nicht zuletzt diesem Zweck gedient zu haben. Ahmadinejads Fans im Westen mögen ihren Präsidenten für einen Freund der Armen und der Staatswirtschaft halten. Der Internationale Währungsfonds lobte hingegen im Jahr 2007 die »bedeutenden Fortschritte, die in den vergangenen Jahren erzielt wur­den bei der Öffnung der Wirtschaft für den internationalen Handel und ausländische Direkt­investitionen, der Ermutigung des privaten Sektors, der Beseitigung von Umtauschbeschränkun­gen, der Reform des Steuerssystems und der Weiterentwicklung des makroökonomischen Ma­nagements«.
Bereits vor Ahmadinejads Amtsantritt im Jahr 2005 waren Staatsunternehmen verkauft worden, unter Präsident Mohammed Khatami wurden Gesetze verabschiedet, die die Privatisierung erleichterten. Den Statistiken der Iranian Privatization Organization (IPO) zufolge erbrachte der Verkauf von Staatsunternehmen der Regierung seit 1991 einen Gewinn von mehr als 16 Milliarden Dollar, knapp fünf Milliarden wurden allein im Haushaltsjahr 2006/2007 eingenommen. In der ersten Amtszeit Ahmadinejads wurden 247 Staatsunternehmen vollständig oder teilweise privatisiert.

Der private Sektor erhielt allerdings nur knapp ein Viertel der Aktien. Ausdrücklich vermerkt werden hier auch Zinsgewinne – wenn es ums Geschäft geht, legt man die Sharia auch mal liberal aus. Et­wa ein Fünftel der Aktien wurde dem »nichtstaatlichen öffentlichen Sektor« zugesprochen. Da es im Iran weder zivile NGO noch nichtreligiöse Wohlfahrtsverbände gibt, verbirgt sich hinter die­sem Posten wohl der Anteil für die Stiftungen hochrangiger Geistlicher. Man darf annehmen, dass Khamenei und Ahmadinejad bei der Auswahl der Empfänger ihre Klienten bevorzugten.
Der Rest wurde in »Gerechtigkeitsaktien« umgewandelt. Einem im Jahr 2006 verabschiedeten Gesetz zufolge sollen sie »den Wohlstand der iranischen Haushalte steigern«, doch über die Verteilung entscheidet ein »Zentrales Hauptquartier«, in dem neben dem Präsidenten und den meis­ten Kabinettsmitgliedern auch der Komman­dant der Basij-Milizen und weitere Repräsentanten der ärmeren Anhänger Ahmadinejads sitzen. So kann Loyalität belohnt werden. Das System hat überdies den Vorteil, dass es den Verwaltern der Aktien ökonomische Macht verschafft.
Diese »Weiterentwicklung des makroökonomischen Managements« entspricht nicht ganz den klassischen Lehrsätzen der Ökonomie, doch wie üblich ist man beim IWF zufrieden, solange den wirtschaftsliberalen Dogmen Genüge getan wird. Auch der internationalen Geschäftswelt kann schwerlich Islamophobie nachgesagt werden. Die IPO gibt die ausländischen Direkinvestitionen, seltsamerweise unter Berufung auf den neo­kon­servativen US-amerikanischen Think Tank American Enterprise Institute (AEI), mit 218 Milliarden Dollar für die Jahre 2000 bis 2007 an. Das AEI selbst spricht von »300 Transaktionen« und »mehr als 150 Milliarden Dollar« für diesen Zeitraum, die wichtigsten Investoren waren nach China europäische Unternehmen.
Wirtschaftsliberale Militärdiktaturen sind kein neues Phänomen, der chilenische General Augusto Pinochet kann hier als Pionier gelten. Die derzeit von Khamenei und Ahmadiejad angestrebte Monopolisierung der politischen, wirt­schaft­lichen, militärischen und ideologischen Macht dürfte jedoch beispiellos sein, und es stellt sich die Frage, worauf die beiden bei diesem auch für sie riskanten Unterfangen hinaus wollen.
Es gibt Indizien dafür, dass Ahmadinejad einer apo­kalyptischen Randströmung der Schia nahesteht, die das baldige Ende der Welt erwartet und geneigt sein könnte, etwa mit einem Angriff auf Is­rael nachzuhelfen, wenn Gott sich zu viel Zeit lässt. Von Khamenei ist dergleichen nicht bekannt. Doch auch die Dynamik der inneren Entwicklung könnte zu einer Saddamisierung des Regimes führen.
Mit jeder Säuberungswelle wurde im Irak die Basis des Regimes schmaler und die Zahl seiner Feinde, die nur mit weiteren Gewalttaten niedergehalten werden konnten, größer. In den achtziger Jahren begann eine wirtschaftliche Öffnungspolitik, von der jedoch nur die Oligarchie der Loyalisten profitierte. Hofschranzen und Folterexperten sind nur selten gute Manager, überdies ver­schlangen die Militärausgaben gewaltige Summen. So kam das irakische Regime zweimal, 1980 und 1990, in eine Situation, in der es vor der Wahl stand, entweder seine ambitionierten Pläne aufzugeben oder einen potenziell lukrativen Raub­krieg zu führen. Beide Male entschied Saddam Hussein sich für den Krieg.
Im Falle des Iran wäre eine der Golfmonarchien das wahrscheinliche Ziel einer Invasion oder einer militärischen Erpressung. Dass Mitarbeiter der britischen Botschaft inhaftiert wurden und angeklagt werden sollen, ist ein erstes Anzeichen dafür, dass eine außenpolitische Konfrontation beabsichtigt ist. Die checks and balances der »Islamischen Republik« haben bislang wohl auch außenpolitische Abenteuer gebremst. Wenn nun die islamistischen Militaristen die Alleinherrschaft übernehmen, geht es bei Verhandlungen mit Ahmadinejad und Khamenei nicht allein um Fragen des guten Geschmacks.

Von ihren Atomrüstungsplänen wird man die iranischen Machthaber nicht abbringen können. Das Nuklearprogramm kann nur verzögert werden, vor allem durch Sanktionen. Siemens davon abzubringen, im Training Center in Teheran Kurse in »Gas Chromatography« anzubieten, obwohl diese Technologie zur Trennung von Chemikalien auch bei der Urananreicherung angewen­det wird, wäre ein Anfang. Verhindert werden kann die nukleare Rüstung nur durch die Säkularisierung und die Demokratisierung.
Die militärischen Atomprogramme Brasiliens, Südafrikas und Südkoreas wurden nach der Demokratisierung umgehend beendet. Die Iraner wür­den diesem Beispiel wohl folgen, in der Regel genügt es, wenn die zivilen Politiker sich die Rechnungen ansehen. Die Produktion von Atombomben ist extrem teuer.
Es ist daher nicht ersichtlich, warum ausgerechnet von vielen Linken und Anhängern der Frie­densbewegung vor »westlicher« Einmischung gewarnt wird. Als »ausländische Agenten« bezeich­net das Regime die Protestierenden ohnehin. Man kann über die besten Wege zur Unterstützung der Opposition und über die Wahl der Bündnispartner im Iran streiten, doch nur die De­mo­kratisierung kann einen militärischen Konflikt verhindern.