Dina Meza im Gespräch über die Proteste gegen den Putsch

»Zelaya ist kein Linker«

Dina Meza ist Menschenrechtsaktivistin und Journalistin in Honduras. Sie hat 2007 den Journalistenpreis von Amnesty International gewonnen und ist an den Protesten gegen den Putsch beteiligt.

Wie ist die aktuelle Situation in Honduras?

Die Situation ist sehr angespannt. Die aktuelle Re­gierung übt sehr starken Druck aus. Über die Fernseh- und Radiosender werden Drohungen aus­gesprochen, die sich nicht nur an den Präsidenten Manuel Zelaya richten, sondern auch an die Bevölkerung, die sich gegen den Putsch stellt. Die Putschisten benutzen dabei alle Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, um sich an der Macht zu halten. Der komplette politische Apparat befindet sich in ihren Händen, die Justiz, das Parlament, die Institutionen. Dies nutzen sie, um die Proteste zu behindern und Aktivisten zu verfolgen.

Was droht den Menschen, die sich gegen den Putsch engagieren?

Es gibt Tote und Verschwundene, sie schlagen und foltern unbewaffnete Menschen, die friedlich gegen den Putsch demonstrieren. Letzten Donners­tag wurde eine männliche Leiche mit Folterspuren gefunden. Der Mann trug ein T-Shirt, auf dem für das Referendum geworben wurde. In den Regionen des Zentrallandes sucht das Militär nach jungen Leuten und rekrutiert sie unter Zwang. Es gibt vielerorts Straßensperren und Kontrollen, die Leute werden daran gehindert, zu den Demonstrationen in die Hauptstadt zu kommen. Vie­le versuchen nun, über Flüsse und Berge hierher zu gelangen. Neben der Bewegungsfreiheit wurde auch die Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt, noch immer gibt es eine nächtliche Aus­gangssperre. Wer zwischen neun Uhr abends und sechs Uhr morgens auf die Straße geht, wird festgenommen. Von den Menschenrechtsverletzungen erfährt man aber in den Medien nichts. Es gibt nur einen Radiosender, der solche Informationen verbreitet, alle anderen Medien sind in der Hand der Putschisten.

Was wollen die Putschisten, und aus welchen politischen Kreisen stammen sie?

Der durch den Putsch an die Macht gekommene Präsident Roberto Micheletti sitzt seit mehr als 30 Jahren für die Liberale Partei im Nationalkongress und war schon immer an Gesetzen beteiligt, die gegen die Bevölkerung gerichtet waren. Er ist von vielen Leuten umgeben, die öffentliche Ämter bekleiden. Sie kommen vor allem aus den beiden traditionellen Parteien, der Liberalen Partei und der Nationalen Partei. Unter ihnen sind viele Unternehmer, aber auch Beamte, es sind nicht nur die Reichen. In erster Linie sind es Leute, die Macht und Privilegien besitzen. Diese Kreise haben Angst, dass sich die Bevölkerung in einem Referendum dafür ausspricht, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Eine Verfassung, die ein- und nicht ausschließt, die partizipativ ist, die nicht diskriminiert. Das will die alte Elite verhindern, die schon seit langer Zeit die Rechte der Menschen verletzt. Alles, was die Putsch-Regierung derzeit macht, ist gegen die Bevölkerung und die demokratische Ordnung gerichtet. Sie machen den Aufbau der Demokratie, der fast 30 Jahre gedauert hat, wieder zunichte.

Auf wessen Seite steht die Mehrheit der Bevölkerung?

Es gibt hier derzeit zwei Arten von Demonstrationen. Zum einen die organisierten Märsche der Putschisten. Diese haben sowohl viel Macht als auch viel Geld und können so die Leute mobilisieren. Viele Menschen werden von den Medien desinformiert. Es werden aber auch Schüler von Privatschulen oder Arbeiter von ihren Chefs ge­zwun­gen, dort mitzulaufen. Die Putschisten behaupten, dass nur wenige die Rückkehr des Präsidenten fordern. Aber das stimmt nicht. Immer mehr indigene und schwarze Gemeinden, campesinos und weitere Sektoren der Gesellschaft mobilisieren zu den Protesten und kommen in die Hauptstadt. Die Demonstrationen der Gegner des Putsches werden trotz der Repression immer größer und werden auch die nächsten Tage weitergehen.

Die Putschisten sind international isoliert. Könn­te es trotzdem sein, dass sie sich an der Macht halten?

Es stimmt, dass sie international isoliert sind. Bald wird es Sanktionen geben und Gelder eingefroren werden. Aber ich glaube nicht, dass dies etwas ausmacht. Die Putschisten interessieren die internationalen Sanktionen nicht. Sie wollen nur an der Macht bleiben.

Zelaya kommt aus der Liberalen Partei. Warum gilt er als Linker?

Zalaya ist kein Linker, und er hatte in seinem politischen Leben kaum Verbindungen zur Linken. Er hat in seiner Amtszeit aber gegen die Interessen der Mächtigen im Land gearbeitet. Zum Beispiel hat er die Steuerflucht bekämpft und den Zinssatz von Kreditkarten begrenzt. Er hat campesinos, die in illegalen Siedlungen auf staatlichem Ackerland lebten, das Land überschrieben. Er hat die Mindestlöhne von weniger als 200 Dollar auf fast 300 Dol­lar angehoben. Mit diesen Maßnahmen hat er sich viele Feinde gemacht, die einen medialen Krieg gegen ihn angezettelt haben. Die Bevölkerung verteidigt aber in erster Linie nicht den Präsidenten, sondern die institutionelle Demokratie in diesem Land.

Hat Zelayas Politik denn die Lage der Armen und die Menschenrechtslage verbessert?

Ich war nie auf der Seite der traditionellen Parteien, denn sie sind es, die dem Land die aktuelle Misere gebracht haben. In der Regierungszeit von Zelaya gab es durch das eine oder andere Programm punktuelle Verbesserungen, aber die Armut wurde keineswegs strukturell bekämpft. Menschenrechtsverletzungen gab es auch unter seiner Regierung. Er hatte auch keine Kontrolle über die Polizei, die ja eigentlich die Bevölkerung beschützen soll. Die Polizei hat z.B. Gewerkschaften überwacht und ihre Aktivisten verfolgt und ver­haftet.

Die Putschisten sagen, Zelaya sei eine Gefahr für die Demokratie. Tatsächlich hat er sich ja zum Teil gegen die Verfassung und das Parlament gestellt.

Über das Referendum zur Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung wurde bereits seit März diskutiert. Es wäre zudem kein echtes Referendum, sondern nur eine Volksbefragung gewesen, mit dem Ziel, die demokratische Partizipation auszuweiten. Dadurch würde die Bevölkerung die Möglichkeit bekommen, ihre Meinung auszudrücken. Das Ergebnis wäre aber nicht bindend für Gesetze.
Es gibt sieben oder acht Familien, denen das ge­samte Land gehört. Ihnen gehören die Plantagen, sie streichen das Geld ein. Diese haben natür­lich ein Interesse daran, dass das Einkommen nicht auf alle verteilt wird, dass nicht die Bauern die Eigentümer der Ländereien sind usw. Daher sagen sie, dass Zelaya ein Linker sei, dass er ein marxistisch-leninistisches System einrichten, dass er die Unternehmer enteignen wolle. Diese Vorwürfe sind ideologisch begründet, sie sind Teil eines psy­chologischen Krieges niederer Inten­sität. Zelaya handelt gegen ihre Auffassung von Demokratie, aber nicht gegen die Demokratie an sich.

Es heißt, dass in Honduras die sozialen Bewegungen schwächer seien als in anderen Ländern Lateinamerikas. Woran liegt das?

Jedes Land hat seine Eigenheiten, die man beachten muss. Honduras ist ein sehr kleines Land mit gerade mal sieben Millionen Einwohnern. Da­zu muss man die Geschichte betrachten. Die sozialen Bewegungen waren und sind sehr starker Repression ausgesetzt. Ich würde aber nicht sagen, dass die sozialen Bewegungen hier kleiner oder schwächer als in anderen Ländern sind. Es gibt hier Organisationen von Indigenen, Arbeitern, Frauen und campesinos, die ihre Interessen vertreten. Wenn man die geringe Einwohnerzahl betrachtet, gibt es im Vergleich zu anderen latein­amerikanischen Ländern viele soziale Bewegungen, die keineswegs klein sind.