Das Verbot der Ungarischen Garde

Illegal, scheißegal

Die Ungarische Garde wurde zwar gerichtlich verboten. Dennoch kann die paramilitärische Organisation schon wieder unbehelligt aufmarschieren. Ihr Gedankengut wird auch von anderen ungarischen Parteien und Personen geteilt.

Die ehemalige »lustigste Baracke des Sozialismus«, deren Beitrag zur deutschen Einigung vor 20 Jahren diesen Sommer gefeiert wird, ist nicht mehr der Liebling der westlichen Medien. Der aggressive Antisemitismus und die rassistische, zu Meuchelmorden führende Hetze gegen »Zigeunerkriminalität« machen Schlagzeilen. So kann es auch nicht verwundern, dass die rechten Medien Ungarns in jüngster Zeit deutschsprachigen Zeitungen vorwerfen, lediglich über Negatives aus ihrem Land zu berichten. Amüsant ist es, wenn sie Journalisten der FAZ, der Welt oder der NZZ linksradikaler Tendenzen bezichtigen, weil diese die Dinge beim Namen nennen. So brachte es die FAZ am 16. Juli auf den Punkt: »Das Verbot der ›Garde‹ war notwendig; nun gilt es, die Benachteiligung der Zigeuner zu beenden.«
Tatsächlich hat nach einem langen, juristischen Streit Anfang Juli ein Budapester Gericht die paramilitärische Ungarische Garde verboten. Als am ersten Samstag nach dem Verbot uniformierte Mitglieder der Garde lautstark Polizisten als »dreckige Juden« beschimpften, wurden 200 Gardisten für eine Nacht inhaftiert. Ein Gardist, der einen Polizisten tätlich angegriffen hatte, wurde von einem Gericht verurteilt. Doch als die Garde eine Woche später wieder in Budapest demonstrierte – dieses Mal nahmen auch der antisemitische Pfarrer Lóránt Hegedüs junior und der ehemali­ge Verteidigungsminister Lajos Für teil –, blieb die Polizei untätig.

In den Wahlen zum Europa-Parlament im Juni erhielt die rassistische und antisemitische Partei Jobbik, die im Jahr 2007 die Garde gegründet hat, 14,77 Prozent. Sofort nach den Wahlen begannen führende Funktionäre der zum euro­päischen Verband der Volksparteien gehörenden Fidesz, wie István Stumpf, Jobbik für unbedenklich zu erklären. Kein Wunder, koalieren doch Fidesz und Jobbik an etlichen Orten. Freilich sagte Viktor Orbán, der Vorsitzende der Fidesz, am 10. Juli, er werde nach den Wahlen im April 2010 weder mit der sozialistischen Partei (MSZP) noch mit Jobbik eine Koalition eingehen. Aber Jobbiks rassistische Ideologie störte die Fidesz bislang ebenso wenig wie die Tatsache, dass Jobbik dem nationalsozialistischen Muster folgend die uniformierte Garde gründete. So hielt die Fidesz-Parlamentsabgeordnete Maria Wittner Reden auf Veranstaltungen der paramilitärischen Organisation. Doch dass Jobbik im Juni 427 773 Wähler für sich gewinnen konnte – was auch den öffentlichkeitswirksamen Auftritten der Garde zu verdanken ist –, stört die Fidesz. Deren Politiker verbreiten selbst oft genug völkische Parolen, niemand soll ihnen allzu große Konkurrenz machen.
Das schafft Jobbik jedoch ohne Weiteres: Die Ideologie der Partei ist rassistisch, ihre Politik ist nationalsozialistisch, Juden, Zigeuner und Linke zählen für sie nicht zum »Ungarntum«. So spricht beispielsweise Krisztina Morvaí, die Listenführerin von Jobbik in Brüssel, ständig von »unserer Sorte«, was aber auch »unsere Rasse« bedeuten kann und im Kontext auch so zu verstehen ist. Die Juristin Morvai, Lehrbeauftragte an der Universität Budapest, antwortete im Juni auf eine kritische Äußerung mit einem obszönen, antisemitischen Brief: »Ich würde mich sehr freuen, wenn sich als ›stolze ungarische Juden‹ Bezeichnende in ihrer Freizeit mit ihren winzigen, beschnittenen Schwänzchen spielen würden, anstatt mich zu schmähen.« Diese Äußerung, die von Jobbik gutgeheißen wurde, brachte der Partei wahrscheinlich noch einige tausend Wähler mehr ein.

Gábor Vona, der junge Parteivorsitzende von Jobbik, war vor einigen Jahren noch Mitglied einer der Fidesz nahestehenden Organisation. Die Garde war seine Erfindung. Die »patriotische Wirtschaftspolitik«, die die Fidesz vertritt, genügt ihm nicht. So machte er u.a. den originellen Vorschlag, sich von der EU abzuwenden und durch enge Wirtschaftsbeziehungen mit Russland, China, der arabischen Welt und dem Iran in Ungarn Arbeitsplätze zu schaffen. Wie einige an­dere rechtsextremistische Parteien wünscht sich auch Jobbik ein starkes »Eurasien«, denn Ungarn dürfe »kein zweites Palästina« werden.
Nationalistisch äußern sich auch andere: Gergely Pröhle, ungarischer Botschafter in Berlin von 2000 bis 2003 und inoffizieller außenpolitischer Berater von Fidesz, schrieb am 26. Juni über »deutsch-ungarische Mythen« und tadelte in dem Text den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Dieser hatte in Prag den tschechischen und slowakischen Außenminis­ter getroffen und dabei eine Rede Viktor Orbáns kritisiert, in der dieser angekündigt hatte, die ungarischen Abgeordneten des Karpatenbeckens einigen zu wollen. Das Becken umfasst auch Teile der Slowakei, Rumäniens, Kroatiens und Serbiens, sodass die Nachbarländer Ungarns verständlicherweise alarmiert waren.
Was Viktor Orbán angeht, so ist seine kürzlich erfolgte Distanzierung von Jobbik angesichts seines bisherigen Verhaltens kaum ernst zu nehmen. Im Frühjahr 2008 publizierte der der Fidesz nahestehende Journalist Zsolt Bayer einen Artikel in der rechtskonservativen Tageszeitung Magyar Hirlap, in dem er gegen »Zweck-Juden« hetzte, deren »bloße Existenz den Antisemitismus rechtfertigt«. Bayer schrieb: »Lassen wir sie nicht ins Bassin der Nation urinieren oder hineinschneuzen.« Einige Tage nach der Veröffent­lichung ließ sich Orbán mit Bayer fotografieren, auch die Zuschauer des ungarischen Fernsehens sahen Bilder einer engen Freundschaft.
Und erst unlängst schlug die Wochenzeitung Magyar Demokrata vor, deren Bezug Orbán empfiehlt, die ungarische Gendarmerie wieder zu begründen. Diese spielte während des Horthy-­Regimes eine unrühmliche Rolle bei der Unterdrückung linker Agrarbewegungen und prügelte Hunderttausende Jüdinnen und Juden binnen ­einiger Wochen während der deutschen Besatzung 1944 in die Waggons, die nach Auschwitz-Birkenau fuhren.

Einspruch gegen solche und ähnliche Äußerungen wird nur selten erhoben. Die christlichen Kirchen schweigen zur rassistischen und antisemitischen Hetze, die sozialistische Regierung wagt es nicht, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen, die Kräfte, die sich der Formierung der völkischen Gemeinschaft entgegenstellen, sind schwach. Und auch die demokratischen Parteien der EU schauen tatenlos zu, während es in Ungarn immer ungemütlicher wird.