Geschäfte mit Rohstoffen und Lebensmitteln in Zeiten der Krise

Der Reis ist heiß

Seit der Immobilien- und Finanzkrise investieren Anleger vermehrt in Geschäfte mit Rohstoffen, darunter auch Lebensmittel.
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Falls jemand der Hoffnung erlegen sein sollte, dass Banken, Versicherungen und all die anderen »Finanzdienstleister« aus der Krise eine Lehre gezogen haben, möge er sich einmal die einschlägige Wirtschaftspresse ansehen. Seit dem Fast-Zusammenbruch institutioneller Finanz­jong­leure, etwa dem Versicherungskonzern AIG in den USA, versucht man in der Branche vermehrt private Anleger zu finden. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Rainer Neske, stellte kürzlich auf einer Konferenz des Handelsblatts klar, dass die Bank in der nächsten Zeit 1 200 neue Stellen in der Beratung privater Anleger schaffen möchte. Was die internationalen Kapitalmärkte nicht mehr hergeben, soll nun der Privatanleger bringen.

Das Problem ist das alte geblieben. Wo soll investiert werden? Seit dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA sind die Unternehmen auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten, die zwei Bedingungen erfüllen. Zum einen müssen Produkte geschaffen werden, die auch für im Bankerjargon »AD-Kunden« genannte Personen (»AD« steht für alt und doof) interessant sind. Zum anderen müssen sie natürlich eine ordentliche Rendite versprechen.
Auf den Rohstoffmärkten gibt es noch eine solche Hoffnung auf Rendite. Nicht nur mit Gold und Industriemetallen kann dort spekuliert werden, auch Derivate, die sich auf Reis, Sojabohnen oder Mais beziehen, scheinen hohe Erwartungen zu rechtfertigen. Die Preise der dabei gehandelten Güter werden allerdings nicht nur durch die Qualität der eingebrachten Ernte bestimmt. Vielmehr wurden in den vergangenen Monaten verstärkt Optionen auf Reis, Sojabohnen und Mais aufgekauft. Die Optionen werden derzeit zurückgelegt und damit aus dem Handel gezogen. Wenn die Rohstoffe dann verstärkt nach­gefragt werden, kommt es zu einer künstlich produzierten Verknappung, die dann zu den erhofften Preisen führt.
In Thailand, dem größten Exportland für Reis, hat sich der Preis für eine Tonne seit Jahresbeginn auf etwas mehr als 1 000 Dollar verdreifacht. Dabei ist Reis für etwa die Hälfte der Weltbevölkerung das Grundnahrungsmittel Nummer eins.
Im Gegensatz zum Reis werden Sojabohnen und Mais in erster Linie als Tierfutter verwendet. Steigende Preise bei diesen Erzeugnissen führen daher indirekt zu steigenden Fleischpreisen.
Um auch dem weniger versierten Investor die Möglichkeit zu geben, an diesem Geschäft teilzunehmen, wurde ein neues Derivat erfunden. Differenzkontrakte, kurz CFDs (Contract for Difference), spielen bei der Spekulation im Rohstoffbereich eine immer größere Rolle. Diese Kontrakte stellen eine Wette auf Preisänderungen bei Rohstoffen dar, ohne dass man die entsprechenden Güter selbst besitzen muss. Dazu kommt, dass diese Instrumente mit einem so genannten Leverage, also einem Hebel ausgestattet sind. Ein Hebel von beispielsweise 20:1 macht es möglich, dass ein Anleger, der selbst nur 5 000 Euro besitzt und einsetzen kann, die Möglichkeit erhält, mit einem Kapital von 100 000 Euro an der Börse zu spekulieren.
Anbieter solcher Anlagemodelle sind zurzeit in der Regel noch kleinere Banken, beispielsweise die FXdirekt-Bank mit Sitz in Oberhausen. »Fallend oder steigend: Setzen Sie den Hebel an«, begrüßt die Website der Bank den interessierten Besucher und stellt sofort klar, dass jeder dabei sein kann, sofern er nur 2 000 Euro übrig hat. Zwar erwähnt die Bank dort auch, dass zu jeder Chance ein Risiko gehöre: »Je größer der gewähl­te Hebel, desto größer ist Ihr Verlustrisiko.« In erster Linie jedoch wirbt die FXdirekt-Bank damit, dass diese Anlageform besonders sicher sei, da das eigene »Frühwarnsystem« den Kunden rechtzeitig darauf aufmerksam machen werde, wenn sein Verlust doch einmal zu hoch sein sollte.

Nun ist das mit den Verlusten so eine Sache. Wenn davon gesprochen wird, dass Geld »verbrannt« wurde, dann stimmt das nur zum Teil. Das Kapital von den US-Immobilienmärkten ist ja nicht weg. Es hat nur den Besitzer gewechselt, und der neue Besitzer ist nun seinerseits auf der Suche nach guten Renditemöglichkeiten. War es bis vor kurzem noch lukrativ, sein erspartes, geerbtes, erarbeitetes oder anderweitig erworbenes Kapital auf den Immobilienmärkten der USA anzulegen, so ist es derzeit interessanter, etwas anderes damit zu tun. So haben die Spekulationen im Rohstoffbereich, der eben nicht nur Gold, Silber und Kupfer umfasst, in den vergangenen zwölf Monaten beträchtlich zugenommen.
Jürgen Fitschen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, äußerte unlängst, dass es nach wie vor einen »Anleihe-Boom« gebe. Das Unternehmen hat wegen des regen Handels mit Anleihen, Währungen und Rohstoffen sein Renditeziel von 25 Prozent erreicht. Alleine die deutschen Sparer besitzen derzeit ein liquides privates Geldvermögen von etwa 4,6 Billionen Euro, das auch in Zukunft gewinnbringend angelegt werden will. Da ist also noch einiges drin für die globalen Lebensmittelmärkte.
Die seit dem Jahr 2006 immer schneller steigenden Preise an der Warenterminbörse in Chicago (CBOE) ziehen derweil verstärkt Hedgefonds an, deren Investitionen in Reis, Sojabohnen und Mais zurzeit ähnlich hoch sind wie 2008. An der CBOE werden Futures auf Rohstoffe wie Öl und Lebensmittel gehandelt. Dieser Mechanismus, der ursprünglich geschaffen wurde, um die Preise auf einem moderaten Niveau zu halten, wird nun zum Spekulieren benutzt. Die Auswirkungen konnte man im vergangenen Jahr bewundern, als in Haiti bei gewaltsamen Hunger­aufständen fünf Menschen umkamen und rund 200 verletzt wurden. Nur mit Mühe konnte die Regierung den Aufstand unter Kontrolle bekommen. Staaten wie Indonesien, Indien und Vietnam verhängten Ausfuhrverbote für Reis, um wenigstens die eigene Bevölkerung einigermaßen ernähren zu können. Von Bangladesch bis Usbekistan kam es zu Unruhen, und in Südafrika gingen die Menschen zu Tausenden auf die Straßen, um gegen die hohen Lebensmittelpreise zu demonstrieren.

Die Hoffnung der Spekulanten, dass die Lebensmittelpreise in den kommenden Jahren noch deutlich steigen und die Branche einen so genannten Bullenmarkt darstellen wird, gründet sich auf das Bevölkerungswachstum und das steigende Wohlstandsniveau in Schwellenländern wie China und Indien. Die UN gehen davon aus, dass die Erde im Jahr 2050 von etwa neun Milliarden Menschen bewohnt sein wird. Dazu kommt, dass ein beträchtlicher Teil der Weltbevölkerung seine Essgewohnheiten deutlich verändert hat. Allein in China ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch in den vergangenen zwei Jahrzehnten um über 50 Prozent gestiegen. Im Durchschnitt werden für die Produktion von einem Kilo Fleisch etwa sieben Kilo Getreide verbraucht – Getreide, das in den ärmeren Regionen fehlt.
Der Agrarmarkt hat nämlich klar definierte Grenzen. Anbauflächen für Weizen, Mais und Sojabohnen sind nicht endlos vorhanden. Schon allein aufgrund dieses Umstandes ist bei wachsender Bevölkerung davon auszugehen, dass die Lebensmittel immer knapper und immer teurer werden. Gute Aussichten für Spekulanten, die auf anderen Märkten ihre Renditeforderungen nicht mehr erfüllt sehen.
Die auf kurzfristigen Gewinn zielende Spekulation auf den Lebensmittelmärkten wird bei langfristig wachsender Bevölkerung und knapper werdenden Anbauflächen in den kommenden Monaten und Jahren dafür sorgen, dass die Menschen in den ärmeren Regionen der Welt immer weniger zu essen haben. Die Revolten des vergangenen Jahres waren aller Wahrscheinlichkeit nach nur der Auftakt zu vermehrten Kämpfen um Lebensmittel. Die Spekulanten auf dem Agrarmarkt in Chicago nutzen diese Entwicklung aus, zur Steigerung der eigenen Kapitalrendite. Eine verstärkte Kontrolle des Warenterminhandels, wie sie bereits von Gary Gensler, dem Vorsitzenden der US-Aufsichtsbehörde für den Warenterminhandel (CFTC), angekündigt wurde, bringt vielleicht mehr Transparenz in den Rohstoffmarkt – die kurzfristigen Auswirkungen kann sie jedoch nicht abmildern. Soll sie vielleicht auch nicht. Denn zumindest beim Handel mit Lebensmitteln gibt es solche Kontrollen bereits seit längerem. Bloß sind hohe Preise für Lebensmittelexporteure nicht das Schlechteste. Problematisch können sie dagegen für Importeure und Konsumenten sein.

Die UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) veröffentlichte kürzlich einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass mittlerweile etwa ein Sechstel der Weltbevölkerung an Hunger leidet, ohne dass die Auswirkungen der wachsenden Spekulation an den Rohstoffmärkten bereits vollständig sichtbar wären. Viele der unter Hunger leidenden Menschen mussten bisher »nur« Einkommenseinbußen oder den Verlust des Arbeitsplatzes verkraften. Die FAO rechnet derweil damit, dass die Lebensmittelpreise in den nächsten Monaten deutlich anziehen werden. Die Zahl der Hungernden soll sich allein im Verlauf dieses Jahres um elf Prozent erhöhen und würde dann bei 1,02 Milliarden liegen. So viele Hungernde und Unterernährte gab es noch nie.