Deutsche Antimilitaristen und die iranische Bombe

Worte ohne Antifa

Während man sich hierzulande am Nimbus der iranischen Protestbewegung berauscht und den Antimilitarismus beschwört, bauen die Mullahs weiter an der Bombe.

»Der einfachste soziale Sachverhalt: daß man, wo zwischen zwei ›Übeln‹, denen man sich ausgesetzt fühlt, zu wählen ist, das ›kleinere‹ zu wählen hat, wenn man ihm schon nicht im Innersten für die Abwehr des größern dankbar sein will, und daß man, wenn man sie durch einen Angriff gegen das kleinere stört, des Erfolges gegen beide gewiß sein muß«. (Karl Kraus) An der mit diesem politischen Einmaleins verbundenen Denkanstrengung und seinen praktischen Konsequenzen ist die Linke gescheitert. Dort, wo man noch mit sich selbst hadert und der kulturalistisch verklausulierten Vorliebe für islamische Herrschaft mit Skepsis begegnet, entstehen Dokumente einer moralisch-intellektuellen Krise, mithin verzagte bis verzweifelte Versuche, trotz allem den Laden zusammenzuhalten. Die Geschehnisse im Iran sind nur der aktuelle Hintergrund, vor dem dieses zuweilen groteske Drama ein weiteres Mal zur Aufführung gelangt.
Nachdem man sich jahrelang nicht nur in linken Kreisen an der Menschenschinderei in der Islamischen Republik Iran desinteressiert gezeigt hatte, kamen die Solidaritätsbekundungen der vergangenen Wochen auf den ersten Blick überraschend. Auch die Autonome Antifa [F] hatte lange Zeit zum islamischen Übel geschwiegen. Nun fordert man die »Unterstützung der Revolte im Iran« und zeigt sich empört angesichts der betonten Zurückhaltung der Bündnisgenossen. Fürwahr: Die Sprachlosigkeit all derer, die für gewöhnlich um keine Wortmeldung verlegen sind, wenn es darum geht, jedes noch so kleine Rinnsal volkstümlicher Entrüstung auf die Mühlen sozialrevolutionärer Agitation zu leiten, ist nachgerade verabscheuungswürdig.

Gleichwohl hat sich mit der Entdeckung der iranischen Oppositionsbewegung keineswegs die Erkenntnis durchgesetzt, dass dort einzig und allein ein Systemwechsel hilft, der die Beseitigung der Mullah-Diktatur beinhaltet. Ebenso wenig haben sich die projektiven Sehnsüchte, die immer am Werk sind, wenn deutsche Rebellen international stattfindende Aufstände begutachten, keineswegs zu reiferen Formen der Wirklichkeitsdeutung entwickelt. Nachdem das Mullahregime auf die nach Ungereimtheiten im Zuge der Präsidentschaftswahlen aufgeflammten Proteste mit brutaler Gewalt reagiert hatte, heftet sich die Sehnsucht nach einem guten Islam nun bei manchen auf den Teil der Demonstranten, der für den authentischen Geist der Khomeini-Revolution einstehe. Der plötzliche Stimmungsumschwung hat augenscheinlich jedoch noch andere, nicht weniger zweifelhafte Gründe. Er ist Ausdruck der Verlogenheit des europäischen Friedensfundamentalismus; ein Friedensfundamentalismus, der bereit ist, Israel dem Wahn von Staatsantisemiten und Vernichtungsrackets auszuliefern. Man hofft, die, die in Teheran auf die Straße gehen, mögen einem die Arbeit abnehmen: einem die notwendige Entscheidung für eine militärische Intervention ersparen, über die man sich seit Jahren im Jargon pseudodialektischen Bescheidwissens erhaben dünkt.
Fraglos: Ein Umsturz durch die Bevölkerung wäre zu wünschen. Vor allem denen, die sich ein besseres – und das ist: ein westlicheres – Leben ersehnen. Allem Anschein nach aber steht den Frauen, die nicht länger der sexualfeindlichen Herrschaft islamischer Patriarchen ausgeliefert sein wollen, den Homosexuellen, die nichts anderes als den Tod finden sollen, sowie den Jugendlichen und jung Gebliebenen, die hedonistisches Suchen und Hoffen dem kollektiven Todeskult vorziehen, eine Mehrheit gegenüber, die bereit ist, den Tugendterror im Gottesstaat zu ertragen oder fortzusetzen.
Erinnert sei bei aller Begeisterung auch daran, dass mit Mousavi, dem persischen Obama, keine Säkularisierung zu erwarten wäre. Das Programm bestünde weiterhin aus jeder Menge Racket, Familienbande und Sharia. Überhaupt: Nicht erst der Wahlbetrug und die daraus resultierende Empörung der Demonstranten auf den Straßen Teherans hätten darüber Aufschluss geben können, dass da etwas mehr als faul ist in der islamischen Republik. Derweil man hierzulande hektisch Solidaritätsadressen formuliert, um sich mit dem Nimbus subversiver Protestbewegungen zu umgeben, und sich am Pathos exil­iranischer Podiumsteilnehmer erfreut, bauen die Mullahs, wahrscheinlich mit Einverständnis nicht weniger Iraner, weiter an der Bombe.
Die Neigung, salbungsvoller zu schreiben, wenn Widerstand gegen absolut abschaffenswerte Zustände erlebt wird, ist eine Schwäche, die unter Umständen zu verzeihen ist. Spätestens dann, wenn die Ausrufung einer Kampfgemeinschaft unter dem Banner der Solidarität zum Selbstzweck gerät und das solidarisierende Bewusstsein an der Prüfung der Realität wohlig scheitert, schlägt Empathie in Ideologie um. Die unzählbaren Solidaritätsbekundungen der vergangenen Tage und Wochen in Richtung Iran erscheinen größtenteils im Jargon heroisierender Herz- und Geisterweichung, der nicht nur die Sicht trübt, sondern auch die notwendigen Differenzen nivelliert. Das sollte vor allem jene nachdenklich stimmen, die an anderer Stelle aus gutem Grunde großen Wert darauf legen, nicht oder nicht mehr in das notorische Geraune der ausgebildeten linken Gemeinde einzustimmen, welches sich auf immergleiche Formeln kapriziert. Schön wäre es, wenn zumindest die proisraelischen Gegner des Staatsjihadismus einsähen, dass die Kompromissbereitschaft zugunsten realer politischer Ziele und der überschwänglich vorgetragene Optimismus im Hinblick auf die iranische Protestbewegung ein wenig zu weit gehen.

Die »Antifa F«, die ihr Unvermögen, Kritik zu entfalten, als Überwindung »linker Grabenkämpfe« zwischen Antideutschen und Antiimperialisten konzeptualisiert und mit diesem Billig­angebot seit Jahr und Tag hausieren geht, hätte zwecks Verbreiterung ihrer neuesten Aktionswoche gegen das »iranische Regime« auch gerne jene Antisemiten im Boot, die nicht gegen Juden, sondern gegen Israel hetzen. Weil man weiß, dass Vereinigungen wie die »Antifaschistische Linke Berlin«, die »Interventionistische Linke« oder die Antinazikoordination aus Frankfurt im Zweifelsfall an der Seite der Arab-Kids gegen Israel stehen, umgarnt man sie mit der in Deutschland am meisten verpflichtenden Tugend. Die Parteinahme für die iranische Opposition sei, schreibt die Autonome Antifa [F] in ihrem Text, »schon aus Antimilitarismus« verpflichtend. Denn mit »jeder Schwächung des Regimes, das den Iran zur Nuklearmacht machen will, wird eine militärische Konfrontation im Nahen Osten unwahrscheinlicher«. Die »Vermeidung militärischer Konfrontationen« ist nicht nur ein Grundbedürfnis des Deutschen von heute, sondern zugleich das diplomatische Mittel, mit dem der tagtägliche Verrat an Israel über die Bühne geht. Dass Pazifismus von Leuten nachgeäfft wird, die an anderer Stelle vom Militanzgehabe nicht lassen können, verweist auf die moralische und politische Verkommenheit einer kompletten Szene. Weil die Linken, ob in Parteien, selbstverwalteten Jugendzentren oder Infoläden, wissen, dass die militärische Verteidigung das einzige ist, was Israel im Ernstfall bleibt, kommen sie in der Beschwörung des Antimilitarismus nicht zur Ruhe.
Schaut man sich den terminologischen Mummenschanz an, den die Antifa [F] veranstaltet, um die eigene Zielgruppe für ihren Postone-geTÜVten »neuen Internationalismus« zu erwärmen, wünscht man sich, sie hätten weiterhin geschwiegen. Die Geschäftigkeit, mit der hier ein fraglos wünschenswerter Umsturz herbeizuschreiben versucht wird, soll darüber hinwegtäuschen, dass zumindest mittelfristig nur eine militärische Intervention von außen Schlimmeres zu unterbinden vermöchte. Zu kritischer Perzeption unfähig, macht man Hamas und Hisbollah folglich in der Sprache der FdGO zu rechtsradikalen Organisationen, statt sie als die zu bezeichnen, die sie sind: Massenmörder im Wartestand. Die Wurstigkeit, welche die Antifa [F] mit ihrem illusorischen Konzept eines neuen Antimilitarismus auf ideologische Butterfahrt durch linksdeutsche Geistesprovinzen gehen lässt, ist mitnichten dazu geeignet, einen Krieg im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern, sondern dazu, den Mullahs eine weitere Atempause auf ihrem atomaren Feldzug gegen Israel und alle Ungläubigen zu verschaffen.
Wie erfolgreich der Kampf der Protestierenden verläuft und ob er entscheidend Besseres bringt, ist offen. Ob sein Ausgang durch pressekompatible Unterschriftenaktionen, Iran-Konferenzen oder Proteste gegen deutsche Firmen sinnvoll beeinflusst werden kann, bleibt nicht nur zweifelhaft, weil das Publikum fürs laute Getrommel fehlt. Die Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten von Mehrheiten und die Interessen von etwas Mächtigeren setzt Mäßigungen voraus, die sich im Resultat vor der Kraft des islamischen Unheils blamieren. Die Kritik der deutschen und islamischen Ideologie wäre zwar weiterhin stiller, dafür aber zersetzender als taktierendes Spektakel. Die praktische Israel-Solidarität hat sich zu einem Geschäft gemausert, das auf wirtschaftspolitisches Gezänk abonniert ist und nicht viel mehr als peinliches Expertentum und moralisches Appellieren zu bieten hat. Die Entscheidung, Eventpolitisches der kritischen Zerstörerarbeit vorzuziehen, hat dafür gesorgt, dass nun die karrieregeilen ebenso wie die antifaschistischen Resteverwerter kommen. Zur Strafe muss man nun auch nach dem Studium Doktoren lauschen und darf sich glücklich schätzen, Gruppen wie die Antifa [F] als autonomen Flügel von »Stop the bomb« zu wissen.
Aber machen wir uns nichts vor: Auch Ideologiekritik kann letztlich nicht mehr ausrichten, als all jene Ideologen ihrer unlauteren Motive zu überführen, die den Eingriff von IDF und US-Army zu verhindern trachten.