Ossis in der Bundeswehr

Ossis an die Front!

Überproportional viele Ostdeutsche sind Soldaten in der Bundeswehr und sterben bei Auslandseinsätzen. Werden die Ossis als williges Kanonenfutter verheizt? Wird die Bundeswehr zu einem Arbeitslosenheer? Und ist das gut oder schlecht?
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Sächsisch ist der mit Abstand unbeliebteste deutsche Dialekt. Das haben diverse Umfragen immer wieder gezeigt. Sogar im Hinblick auf die Paarungschancen eines Menschen gilt Sächsisch als »das sicherste Verhütungsmittel«. Kein Wunder also, dass die Bundeswehr nicht besonders beliebt ist. Denn immer mehr dominiert dort die im Osten Deutschlands verbreitete Mundart, erst recht bei Auslandseinsätzen, an denen Berufs- und Zeitsoldaten sowie Reservisten freiwillig teilnehmen. Während Sächsisch im Alltag auch als Einstellungshandicap bei der Jobsuche gilt, kann davon beim Arbeitgeber Bundeswehr nicht die Rede sein. »Wenn ich in die Einsatzgebiete fahre, herrscht dort oft der sächsische Dialekt vor«, ließ der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) kürzlich vor dem öffentlichen Gelöbnis in Berlin in einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung wissen.
Offenherzig erklärte er auch, weshalb das seiner Meinung nach so sei: Die Ostdeutschen seien eben »oftmals etwas flexibler und weniger anspruchsvoll«. Viele sähen in der Bundeswehr die einzige »sichere berufliche Chance«. Tatsächlich kommt fast die Hälfte der an Auslandseinsätzen betei­ligten 6 400 deutschen Soldatinnen und Soldaten aus den neuen Bundesländern. Das ist ange­sichts des Anteils der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung, der unter 20 Prozent liegt, vollkommen überproportional. Bei den einfachen Mannschaften beträgt der Anteil der Ossis sogar 62,47 Prozent. Mit aufsteigenden Rängen nimmt ihr Anteil dann ab, die Admirale schließlich kommen alle aus dem Westen. Überpropor­tional viele Ostdeutsche findet man auch unter den Gefallenen.

Diese Zahlen hat eine Kleine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Peter Hettlich ergeben. Für ihn zeigen sie die Perspektivlosigkeit vieler junger Leute in den neuen Bundesländern. Der Jungle World sagte Hettlich: »Dieses Missverhältnis erinnert auch an den überproportionalen Anteil von Farbigen und Hispanics in der amerika­nischen Armee.« Auf anderem Niveau jammert Roland Claus von der Linkspartei. Der Osten lie­fere das Kanonfutter, während westdeutsche Rüstungsbetriebe den Profit einstrichen. Anders gesagt: Fürs Vaterland sterben, das darf er, der Ossi, aber am Krieg mitverdienen lässt man ihn nicht!
Dass ein Arbeitsplatz bei der Bundeswehr oft der einzige ist, den ein ostdeutscher Bewerber bekommen kann, ist sicher richtig. Das liegt zum einen an der miserablen wirtschaftlichen Situation in vielen Regionen im Osten. Es liegt jedoch auch an der oft ungenügenden Bildung der Bewerber. Längst herrscht bei der Bundeswehr ein Mangel an Fachkräften, die man bei Auslandseinsätzen benötigt, wie Fremdsprachenexperten, Telekommunikationselektronikern und vor allem Ärzten.
Auch das Militär selbst weiß, dass eine schlechte soziale Perspektive die Bereitschaft junger Menschen erhöht, sich bei der allgemein eher schlecht angesehenen Bundeswehr zu verpflichten. Verstärkt wirbt die Bundeswehr im Osten um Nachwuchs, etwa an Schulen und in Arbeits­ämtern. Wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit habe man sich »in den letzten 15 Jahren erheblich mit Bewerbern aus den neuen Bundesländern eingedeckt«, sagte bereits 2006 der damalige Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz.

Doch kann die soziale Lage allein das Phänomen Ostarmee erklären? Der Osten ist schließlich auch für andere überproportionale Zahlen bekannt. Eine Studie der Volkssolidarität ergab in der vorigen Woche, dass 74 Prozent der Ostdeutschen mehr oder weniger ausländerfeindlich sind (bei nur 2,4 Prozent Ausländern im Osten), und nur 24 Prozent von ihnen finden es »sehr wichtig«, »in einer Demokratie zu leben«. Tatsächlich ist es der gleiche autoritäre Charakter, der sich im dumpfen, im Osten unter jungen Männern besonders stark verbreiteten Rechtsextremismus ebenso äußert wie in einer Begeisterung fürs Dienen und Schießen. Auch das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr kam in einer empirischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der »Zusammenhang zwischen politischer Rechtsorientierung und der Affinität von Heranwachsenden zur Bundeswehr« offensichtlich sei. Auch sei aus »historischen Gründen« im Osten der »Militärdienst als Bestandteil der gesellschaftlichen Konstruktion von Männlichkeit« und als gesellschaftlicher Regelfall viel »normaler« als im Westen. Deshalb sei auch die Zahl der Kriegsdienstverweigerer im Osten geringer.
Vielleicht hat die Ost-West-Schieflage auch einen ganz banalen Grund: In diesem Jahr ist, wie Staatssekretär Thomas Kossender betont, der »Leitverband für die Gestellung der Einsatzkontingente« im Ausland die 13. Panzergrenadierdivi­sion in Leipzig. Und der sind vor allem ostdeutsche Einheiten unterstellt. Wie dem auch sei, Ossis sind jedenfalls endlich mal gefragt. Sie dürfen Deutschland verteidigen – zum Beispiel am Hindukusch. Zum Glück ist Paschtu dem Sächsischen nicht ganz unähnlich, nicht nur hinsichtlich der Sympathiewerte: »Dreesch, ka ne se dasee kawum!« (Halt, oder ich schieße!), sollen die Soldaten in Afghanistan rufen, wenn sie jemandem die Waffe entgegenhalten. Dass so mancher Taliban inzwischen dank der von deutschen Soldaten aufgebauten Schulen antwortet: »Gänsefleisch de Bisdohle ma da wegnehm?«, ist aber nur ein Gerücht.