Autos im Museum: Autostadt, Benztempel, BMW-Welt

Jurassic Park der Käfer

Sterben Autos bald aus und wandern ins Museum? Carsten Otte hat die firmeneigenen Autoausstellungen in Deutschland abgeklappert, war in der Autostadt, im Benz-Tempel und der BMW-Welt.

Deutsche Autofirmen ahnen, dass eine neue Epoche der Fortbewegung begonnen hat – und treiben die Musealisierung des klassischen Automobils voran. Ob BMW in München, Porsche und Mercedes in Stuttgart oder Volkswagen in Wolfsburg, die deutschen Autofirmen beeindrucken mit spektakulären Museumsbauten und aufwändigen Präsentationen. Das ist kein Zufall: Bevor vollautomatische Rollroboter die Straßen erobern, bevor das klimaneutrale Gefährt erfunden ist, soll die Geschichte des Automobils ganz im Sinne der Produzenten ausgestellt werden. Wie wichtig ihnen die Deutungshoheit über diesen Teil unserer Technikgeschichte ist, sieht man allein daran, wie viel in die museale Aufbereitung investiert wird. Nur wenige Kunstmuseen haben so viel Geld zur Verfügung wie die Automuseen in Deutschland. Wobei zu fragen wäre, ob das, was Automuseum genannt wird, überhaupt ein Museum ist.
Selbst wenn, wie bei BMW, zwischen Museum und aktueller Markenpräsentation unterschieden oder, wie bei Volkswagen, der musealere Teil der Autostadt »ZeitHaus« genannt wird und die Präsentation neuer Technologien im »AutoLab« untergebracht ist – alle Häuser und Einrichtungen erfüllen, Museum hin oder her, vornehmlich eine Reklamefunktion. Und manchmal ist die ziemlich penetrant. So stellt sich das Mercedes-Benz-Museum im Internet mit diesem Satz vor: »Wir brauchen keine gute Geschichte zu erfinden, wir schreiben sie seit 1886.«
Wer herausfinden will, wie diese Werbeparolen im Museum umgesetzt werden, wundert sich. Denn die Inhalte im Stuttgarter Benz-Tempel sind durchaus selbstkritisch. Hier wird eben nicht nur die »gute Geschichte« gefeiert. Es werden weder die vielen Verkehrstoten noch die Umweltverschmutzung verschwiegen, auch die Unternehmensgeschichte im Nationalsozialismus wird nahezu vorbildlich angesprochen. So umfangreich wird sonst nirgendwo in Deutschland übers Autofahren mit und ohne Stern informiert, und das in einem Gebäude, dessen Architektur die museale Aufgabe unterstützt, ohne allzu museumspädagogisch zu wirken. Wie das möglich ist? Vielleicht hat es mit schwäbischer Gründlichkeit zu tun. Oder mit einem Selbstbewusstsein aus einer Vergangenheit, in der ein solches Automuseum noch nicht wie ein Mausoleum wirkte.
Der Volkswagen-Konzern, der mit der Musealisierung der Konzerngeschichte begonnen hat, ist nicht ganz so akribisch. Im Wolfsburger »ZeitHaus« wird zwar mit vielen historischen Exponaten die Erfolgsgeschichte des Volksautomobils erzählt, die endet aber etwas abrupt mit dem ersten Golf. Zudem sucht man dort vergeblich nach ausführlicheren Informationen, wo die Schattenseiten der Konzernvergangenheit angesprochen werden müssten: Wir sehen zwar einen Wagen, der wie ein Vorläufer vom VW-Käfer aussieht, laut Hinweistafel aber KDF-Wagen genannt wurde. Viel mehr erfahren wir nicht. Ich frage rund 20 Besucher, ob sie wüssten, was mit KDF gemeint ist. Nur drei wissen Bescheid, und die sind über 70 Jahre alt.
Wer über die Zeit des KDF-Wagens mehr erfahren will, wer wissen will, auf wessen Kosten die nationalsozialistischen Reiseveranstalter ihr Programm »Kraft durch Freude« realisiert haben, muss die Autostadt verlassen und kann die »Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeit auf dem Gelände des Volkswagenwerkes« besuchen. Doch dorthin gehen die wenigsten. Leider, denn dort kommen auch jene zu Wort, die als Zwangsarbeiter im Wolfsburger VW-Werk ausgebeutet wurden. Wie Katarzyna Morzydsza aus Polen, die sich an die qualvolle Zeit erinnerte: »Ich kehrte krank und erschöpft zurück. Bis heute leide ich an den Folgen der vergan­genen Jahre, Jahre der Vernichtung, Kälte und der Angst. Ich leide an Erkrankungen der Bewegungsorgane, an Herzerkrankungen.« Wer heute in einen Volkswagen einsteigt, wird sich nicht erinnern, dass VW auch deshalb zur Massenmarke wurde, weil viele tausend Menschen gelitten haben und, wenn sie noch leben, weiter unter den Folgen ihres Zwangseinsatzes leiden. Es wäre angemessen, auch das Massenpublikum mit der Aufarbeitung der automobilen Geschichte zu konfrontieren.
Die Autos im Wolfsburger »ZeitHaus« werden als »Skulpturen« inszeniert und wirken, so alt sie sein mögen, seltsam zeit- und geschichtslos. Das Museum will die »Meilensteine der Automobilität« ausstellen. Dabei geht es vornehmlich um Volkswagen und darum, was für ein toller Autokonzern VW immer schon war. Darüber kann man sich ärgern, man muss es aber nicht. Denn die Reise in die Autostadt lohnt sich trotzdem. Zumindest, wenn man im Ritz absteigt und sich das Restaurant »Aqua« leisten kann, wo sich Sven Elverfeld drei Michelin-Sterne erkocht hat, oder man die »Movimentos-Festwochen« besucht, die Jazz- und Klassikkonzerte, Lesungs- und Vortragsreihen, die von der Autostadt organisiert werden. Kein Wunder, dass Merian einen Autostadt-Reiseführer herausgegeben hat – in dem Wolfsburg selbstverständlich nur am Rande vorkommt.
Die Autostadt ist alles andere als eine Stadt; hier gibt es keinen Dreck und kein Getöse. Die Autostadt ist so gut wie autofrei. Selbst in den Marken-Pavillons von Audi, VW, Škoda, Seat, Lamborghini und Bentley sind nur wenige Fahrzeuge ausgestellt. Ob sich das ändert, wenn dort eines Tages auch ein Pavillon für Porsche errichtet wird? Was wohl in diesem Fall mit dem neuen Porschemuseum in Stuttgart geschieht? Die Automuseen in Schwaben und Niedersachsen scheinen sich mit der aktuellen Krise nicht zu beschäftigen. Warum auch? Die Museen sind Welten für sich und haben mit der automobilen Realität nur am Rande zu tun.
Die Autostadt in Wolfsburg ist ein Fußgängerdorf. Vielleicht fühle ich mich deshalb dort so wohl. Etwas peinlich ist die ambitionierte Schreib­weise von »KundenCenter«, »KonzernForum« und »MarkenPavillons«. Dabei ist die Architektur im Vergleich zu den protzigen Markentempeln der süddeutschen Autohersteller an­genehm sachlich und fügt sich gut in die weitläufige Gartenlandschaft ein. »Neuronale Architektur« hat Chefplaner Gunter Henn sein Ensemble genannt, das auf dem ehemaligen Schrottplatz des VW-Werks errichtet wurde. Auf mich wirkt die künstliche und radikal harmonische Welt der Autostadt entspannend und beängstigend zugleich. Es scheint, als hätte jemand mit Kinderaugen eine Erwachsenenwelt erschaffen wollen. Wer sich einen Belustigungspark wie das Phantasialand in der Nähe von Köln wünscht, wird von der Autostadt enttäuscht sein. Statt Achterbahn und Wildwasserrutsche gibt es hier eine entspannte Besichtigungsfahrt in einem gläsernen Autoturm oder ein paar aufregende Minuten im Fahrsimulator. Vor diesem Gerät fürchte ich mich, soll es doch das Fahrgefühl in einem Auto realistisch nachahmen.
Lacht da jemand? Ich betrete die Simulatorkabine. Kaum habe ich mich hingesetzt, schließt sich das Gerät zu einem eiförmigen Objekt zusammen. Ich erhalte von der freundlichen Fahrlehrerin Hinweise, was ich zu tun habe: Auto anlassen, Gas geben, bremsen – zum Glück wird hier eine Fahrt mit Automatik-Getriebe simuliert. Mein Ziel ist das Theater einer namenlosen Stadt. Ich fahre über Landstraßen, besser gesagt: ich krieche. Ich habe Kurven und Regen zu bewältigen. Ich werde noch langsamer. Es geht hinein in die Stadt, ich fahre weiterhin im Schneckentempo, das mir vor einer roten Ampel zum Verhängnis wird. Die Zeit ist um, das Benzin verbraucht, ich bin nicht rechtzeitig angekommen, werde die Premiere verpassen. Ärger! Das Ei öffnet sich wieder und spuckt mich aus. Die Fahrlehrerin gibt mir zu verstehen, dass es noch schlechtere Ergebnisse gibt. Ich sage selbstbewusst: »Einen Unfall habe ich nicht gebaut.«
Der Fahrsimulator hat meinen Eindruck bestätigt, dass die Autostadt für große und kleine Kinder konzipiert ist. Wobei das Angebot für die kleinen Kleinen vielseitiger ist: Hier kann man Spielzeugautos mit Winddruck-Antrieb und kleine Solarwägelchen bauen, hier gibt es Kurse, in denen Kinder ab zehn Jahren Auto-Designer spielen und eigene Modelle entwerfen können, es werden Motoren auseinander genommen und Karosserien auf Aerodynamik getestet – es gibt sogar einen Workshop, in dem Teenies in die Rolle von Lobbyisten schlüpfen und auf einer selbst geleiteten Podiumsdiskus­sion über die Ware und die wahre Mobilität diskutieren.
So viel Autopädagogik gibt es bei den Bayerischen Motorenwerken in München nicht. Weder in der großen BMW-Welt noch im kleinen Museum nebenan. Der schüsselartige Bau, der unlängst erweitert und renoviert wurde, nennt sich Museum und ist auch eines. Obwohl die Reklame für BMW nicht zu kurz kommt, erhält man einen guten Eindruck davon, wie das Automobil unseren Alltag bestimmt hat. Wenn etwa mit Originalfotos aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren dokumentiert wird, wie sich der Wohlstand in der Bundesrepublik vor allem im Autokauf gezeigt hat, amüsiert und erschreckt das zugleich. Wir sehen ein und dasselbe Modell, wie es bei unterschiedlichen Besitzern die immer gleiche Reaktion hervorruft: Stolz, Stolz, Stolz.
Ein Mann lässt sich in den besten Jahren mit Frau und Kind vor seinem neuen BMW 328 ablichten. Die Richtung seines Blicks verrät, wie wichtig ihm Frau und Kind sind und was für ihn das Auto bedeutet. Durchaus verständlich sind diese Prioritäten bei der kleinen und feinen Isetta, die als Zweisitzer zwar nicht familienkompatibel ist, dafür aber mit Vordereinstieg und blasenartiger Form heute wieder modern wirkt. Da möchte man auch als Führerscheinloser sofort einsteigen und durch München gondeln. Oder mit zwölf PS die Alpen hochfahren, wie dies die Besitzer auf den ausgestellten Bildern getan haben.
Dass die Isetta im BMW-Museum so prominent präsentiert wird, hat nicht nur nostalgische Gründe. Denn die Isetta bewahrte das Unternehmen nach dem zweiten Weltkrieg vor dem Konkurs. Während Ferdinand Porsche mit dem VW-Käfer einen Kleinwagen für die Massen im Angebot hatte, setzte BMW im Nachkriegsdeutschland zunächst auf Motorräder und Luxuslimousinen. Das war eine Fehlentscheidung. Die Mehrheit der Deutschen sehnte sich damals nach Autos, die sie sich auch leisten konnte. Die Zeit der dicken Luxusliner kam später.
Auf dem Turiner Autosalon entdeckten die Münchner zu ihrem Glück die Isetta der italienischen Firma Iso Rivolta und kauften eine Lizenz zum Nachbau. So entstand aus der Iso-Isetta ein bayerisches Motocoupé, und die »Knutschkugel« wurde ein Riesenerfolg; zwischen 1955 und 1962 wurden rund 160 000 Stück verkauft.
Wer das BMW-Museum verlässt und wie ich gerade noch davon geträumt hat, sich in der kleinen Isetta davonzumachen, steht fassungslos vor der neuen BMW-Welt. Allein die Größe des vom österreichischen Architekturbüro Coop Himmelb(l)au entworfenen Bauwerks erschlägt mich. Obwohl insgesamt 14 500 Quadratmeter Glas für die Fassade verbaut wurden, wirkt das Gebäude keinesfalls transparent. Wenig deutet von außen daraufhin, dass es sich bei dem Monumentalbau um das Repräsentationsgebäude einer Automarke handelt. Nur die abwechselnd konvex und konkav geformten Stahlplatten der Dachwelle erinnern an das Design neuer BMW-Modelle. Der obere Teil des vorgelagerten Doppelkegels wirkt auf mich wie die Überwachungsstation eines Geheimdienstes. Wenn es in Bayern einmal ein Wahrheitsministerium geben sollte, wie George Orwell es in seinem Roman »1984« beschrieben hat, dann sollte es in diesem Stahl-Beton-Glas-Kegel untergebracht werden. Was die Sprache angeht, ist man auch bei BMW nicht weit vom Wahrheitsministerium entfernt: »Die BMW-Welt als Gebäude, aber auch als Institution ist eine bedeutende Schnittstelle zwischen dem Unternehmen, der Marke und seiner Umwelt. Nur an diesem Standort sind Unternehmen, Marke und Produkt sowie deren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ganzheitlich zu erleben.«
Ganzheitlich? Wie das? Gebäude, Institution, Schnittstelle, Unternehmen, Marke, Umwelt, Standort, Unternehmen, Marke, Produkt, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Zu viele Substantive in zwei Sätzen. Zu viel Unternehmen, zu viel Produkt.
Ich drehe mich noch einmal um und schaue aufs BMW-Hochhaus, das kongenial in Form eines Vierzylinders gebaut wurde, betrete den neuen Münchner Himmelbau, freue mich zunächst einmal, daß es sich um einen öffentlichen Raum zu handeln scheint. Eintritt wird hier nicht verlangt. Ungläubig passiere ich den Info-Schalter und stehe in einer silbrig schimmernden Motormaschine. Ein perfektes Ambiente für die Präsentation einer Automarke wie BMW; alles wirkt teuer und technisch. Die Innenausstattung verzichtet auf Farbtupfer. Der Raum ist in Hellgrau, Dunkelgrau, Graugrün, Blaugrau, Silbergrau, Silber-Matt und Silber-glänzend gehalten. Ich kann mir gut vorstellen, dass an diesem Ort noch viele Partys gefeiert werden. Partys, die den grau-kalten Glamour der BMW-Welt in zwanzig, dreißig Jahren als Retro-Schick feiern werden.
Die geschwungenen Wege und Brücken, Galerien und Bühnen sind so organisiert, dass der schweifende Blick irgendwann doch auf ein Auto fällt. Nach den schriftlichen Verlautbarungen der Presseabteilung hatte ich allerdings mehr befürchtet: mehr Werbeplakate, mehr BMW, mehr Fahrzeuge. Weil nicht jeder Winkel des luftigen Gebäudes mit einem Wagen vollgestellt ist, schlendere ich gerne durch diesen Autotempel, besuche, als die Beine müde werden, die Coffee Bar und beginne zu meiner eigenen Verwunderung, mich für die ausgestellten Autos zu interessieren. Gerade die Leere des Raumes macht den einzelnen Wagen zu einem Fetisch, den es anzubeten gilt. Was werden wohl die Menschen in 100 Jahren über einen solchen Sakralbau sagen? Was über jene Gläubigen denken, die in der BMW-Welt ihre neuen Fahrzeuge abgeholt haben?