Reinhard Thole von den LSU im Gespräch über Homosexuelle in der CDU

»Man braucht ein dickes Fell«

Reinhard Thole ist Bundesvorsitzender des Bundesverbandes der Lesben und Schwulen in der Union (LSU). Während einige CDU-Spitzenpolitiker derzeit hef­tig gegen das Vorhaben der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) protestieren, Homosexuellen gleiche Adoptionsrechte zu gewähren wie Heterosexuellen, fordert die LSU schon länger Adoptionsrechte für homosexuelle Paare.

Ist es für Sie verletzend, wenn Ihre Parteifreunde mal wieder versuchen, mit homophoben Ressentiments Politik zu machen?

Nein. Weil man sich im Laufe der Jahre ein dickes Fell anschaffen muss, wenn man sich diesbezüglich in der CDU engagiert. Man muss auch die andere Meinung akzeptieren, auch wenn ich natürlich denke, dass sie vollkommen falsch ist. Es gibt keine rationalen Gründe für die Ablehnung der Adoptionsrechte für Homosexuelle. Das beruht auf irrationalen Ängsten.

Homophobe Ressentiments könnte man das auch nennen.

Nicht wirklich. Es dreht sich im Prinzip alles um die Institution der Ehe. Sie ist die Institution schlechthin, die die CDU schützen möchte. Alle Themen, die sie betreffen – wie jetzt das Thema Adoptionsrecht –, sehen einige in der CDU als Gefahr an. Das hat weniger etwas mit homophoben Ressentiments zu tun als mit der grundsätzlichen Angst: »Das könnte die Ehe untergraben.«

Ich verstehe nicht, wie sich aus dem »besonderen Schutz für Ehe und Familie« eine Ablehnung der Homo-Ehe oder der Homo-Adoption ableiten lässt. Verstehen Sie das?

Ich verstehe das auch nicht. Was Frau Zypries mit ihrer Studie vorgestellt hat, war auch schon vorher bekannt. Sämtliche Studien, die es zum Thema gibt, zeigen, dass es keine vernünftigen Argumente gegen die Adoptionsrechte von Homosexuellen gibt. Kinder sind in Regenbogen­familien gut aufgehoben.

CDU-Fraktionsvorsitzender Kauder sagte der Süddeutschen Zeitung: »Es gibt auch andere wissenschaftliche Erkenntnisse. Volles Adoptionsrecht für Schwule und Lesben widerspricht den Interessen von Kindern.« Auf welche wissenschaftlichen Erkenntnisse setzt er?

Das kann ich nicht sagen, ich wüsste das auch gerne. Herr Kauder kann sich gerne mit mir zusammensetzen, dann können wir darüber sprechen. Mir sind solche Ergebnisse nicht bekannt, wenn es solche gibt, sind sie vermutlich nicht wissenschaftlich. Das sind verzweifelte Argumente, die da herangezogen werden. Viele in der Union haben mit diesem Thema ein emotionales, vielleicht sogar ein ideologisches Problem.

Kauder wirft Zypries vor, es gehe ihr allein um die Selbstverwirklichung von Lesben und Schwulen – und nicht um das Wohl der Kinder. Bedient er damit nicht das Klischee, Lesben und Schwule seien egoistisch auf »Selbstverwirklichung« aus, und dies sei mit der Verantwortung für Kinder unvereinbar?

Das ist auch ein verzweifeltes Argument aus den Tiefen der Vorurteilskiste. Das Klischee ist falsch, in meiner persönlichen Erfahrung stelle ich das Gegenteil fest.

Bayerns CSU-Fraktionsvorsitzender Georg Schmid sagte, für die Entwicklung der Kinder sei es das Beste, wenn sie mit Vater und Mutter aufwüchsen. Gegen diese Aussage protestieren auch viele Alleinerziehende. Offenbar sieht die gesellschaftliche Realität anders aus, als Ihre Partei meint. Hinkt die Union der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher?

Das ist in der Tat so – aber nur, was dieses Thema angeht. Ich würde niemals behaupten, dass die CDU im Allgemeinen hinterherhinkt. In dem speziellen Zusammenhang ist es so, dass es Lebensrealitäten gibt, die wir ernst nehmen müssen. Die Kollegen im Bundestag sind dazu da, um Politik zu machen, die diesen Lebensrealitäten entspricht. Dabei darf man sich eben nicht auf rein rechtliche Dinge zurückziehen, wie es etwa der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, Hartmut Honka, versucht. Der behauptet, Adoptionsrechte für homosexuelle Paare würden dem Grundgesetz widersprechen. Ich sehe da nichts, was dem Grundgesetz widerspricht. Aber wenn nichts anderes mehr funktioniert, werden die angeblich juristischen Argumente herausgeholt.

Der Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, sagte, die Adoptionsrechte homosexueller Paare seien ein »zu sensibles Thema, um damit Wahlkampf zu machen«. Ist das Thema wirklich zu »sensibel« für den Wahlkampf?

Die Studie, die Zypries jüngst präsentierte, ist schon lange angekündigt gewesen. Dass sie die Studie im Wahlkampf herausholt, während sie ihre Tingeltour über die CSDs macht, ist schade. Ich hätte mir gewünscht, das Thema wäre in einem Umfeld platziert worden, in dem man es sachlicher hätte diskutieren können.

Aber Zypries kann ja nur deshalb mit diesem Thema im Wahlkampf Sympathien gewinnen, weil sich die Union als einzige Partei gegen die Adoptionsrechte homosexueller Paare ausspricht. Sonst stehen ja alle auf Zypries’ Seite.

Ob alle auf ihrer Seite stehen, ist fraglich. Die SPD ist in ihrem Kern konservativer, als viele sich das vorstellen. Dass das Thema Homosexuellenrechte in der SPD so beliebt ist, würde ich bezweifeln. Sie haben aber Recht – ich sage das als LSU-Bundesvorsitzender ganz direkt –, dass meine Partei ein Problem mit diesem Thema hat, dass sie sich durch Zypries’ Vorstoß im Wahlkampf unter Druck gesetzt fühlt und deshalb jetzt auch so einseitig reagiert.

Bringt die Ablehnung der Homo-Adoption der CDU Wählerstimmen ein, oder wird sie die Union Wählerstimmen kosten?

Ich glaube, dass die Ablehnung der Adoptionsrechte für Schwule und Lesben der Union keine neuen Wählerinnen und Wähler bringt. Ich glaube vielmehr, dass die Union mit dieser Position viele bürgerliche Lesben und Schwule abschreckt, die die CDU wählen könnten.

Erst kürzlich sprach CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla auf dem Sommerfest der LSU und überbrachte Grüße von Angela Merkel. Das ist ein Indiz von vielen, dass sich die CDU gesellschaftspolitisch modernisiert hat. Aber nicht alle in der Union finden das gut. Ist die Ablehnung der Homo-Adoption jetzt der Punkt, an dem Ihre Partei es doch auch mal den konservativeren Kräften recht machen will?

Das ist eine schwierige Frage. Ich könnte mir vorstellen, dass Klientelpolitik eine Rolle spielt. Ich formuliere hier bewusst vorsichtig. Wenn man sich ansieht, dass sich Maria Böhmer vehement gegen die Adoptionsrechte homosexueller Paare ausspricht, frage ich mich, ob sie als Staatsministerin für Integration an der richtigen Position ist. Gerade, was Antidiskriminierung und Toleranz angeht, müsste sie die Speerspitze innerhalb der CDU sein, gerade auch als Vorsitzende der Frauen-Union. Da habe ich schon das Gefühl, dass es hier darum geht, bestimmte Wählerschichten anzusprechen. Das werden in diesem Falle nicht die Lesben und Schwulen sein.

Werden Sie von Menschen, die sich selbst eher dem linken Spektrum zuordnen, manchmal gefragt, wie man gleichzeitig schwul und Mitglied der CDU sein kann?

Heute nicht mehr. Vor zehn Jahren kamen diese Fragen, und die wurden damals teils auch so formuliert: »Findest du es denn natürlich, entspricht es denn deiner Natur?« Heute wird man das nur noch von Leuten gefragt, die sich mit dieser Thematik nicht auseinandersetzen. Wir arbeiten mit allen Schwulen- und Lesbenorganisationen in allen Parteien am selben Ziel, wir kennen uns, wir mögen uns und überlegen auch gemeinsam, wie man Dinge auf den Weg bringen kann. Auf CSDs oder Straßenfesten gibt es manchmal solche Anfeindungen von Menschen, die eben genauso in veraltete Vorurteilskisten greifen.

Die CDU nennt sich selbst eine wertkonservative Partei. Die Akzeptanz von Homosexualität gehört nicht gerade zu den traditionellen Werten dieser Gesellschaft. Ist das ein Problem für die Lesben und Schwulen in der Union?

Nicht wirklich. Gerade in den letzten zehn Jah­ren hat sich in der Union viel verändert, auch durch unser Engagement. Wir führen viele Gespräche und äußern uns öffentlich, um emo­tionale Ängste aus der Debatte zu nehmen und eine sachliche Diskussion zu etablieren. Das Thema hat mittlerweile einen Stellenwert in der Union, wenn auch keinen mit besonders hoher Priorität. Dass es noch immer prominente CDU- und CSU-Politiker gibt, die ein Problem mit der Thematik haben, liegt daran, dass sie sich zu wenig mit ihr befassen und sie die Lebensrealitäten von Lesben und Schwulen nicht kennen. Und weil sie den angeblichen Gegensatz von »konservativ« und »homosexuell« im Kopf haben. Wir arbeiten daran – und wir werden daran noch länger arbeiten müssen –, dass es irgendwann nicht mehr so ist.

Das Thema Adoptionsrechte von Homosexuellen ist nicht das erste Mal, dass die Ansichten der LSU mit denen von Spitzenpolitikern der CDU in Konflikt geraten. Bekommen Sie für Ihre Position aus der eigenen Partei eher Kritik oder eher Zustimmung?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt und gab auch Damen und Herren, die in der Öffentlichkeit die große Konfrontation mit uns suchen. Das ist mittlerweile selten. Es gibt auch viele, die unsere Positionen akzeptieren und respektieren, und auch Stimmen, die sagen, »ja, lasst uns das umsetzen«. Aber das sind zurzeit genauso Einzelmeinungen wie die aus der ganz konservativen Ecke.

Wenn die Union progressiver wird, verliert sie an Distinktion. Manche in Ihrer Partei beklagen die »Sozialdemokratisierung« der Union. Ihre Bestrebungen werden vermutlich auch unter diesem Begriff subsumiert.

Das die CDU zukünftig nicht alle Lesben und Schwulen ansprechen wird und will, ist klar, weil es insbesondere um die bürgerlichen Lesben und Schwulen geht. Und das ist ja auch unsere Richtung: Es gibt doch nichts Konservativeres, nichts Werteorientierteres als die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit Ehe und Familie. Damit fördern wir eine Institution, die heute an Bedeutung zu verlieren droht. Auch wir wollen den Bund der Ehe in den Mittelpunkt stellen. Wir haben uns schon immer dagegen gewehrt, dass die Ehe durch eine beliebige Regelung wie das französische Modell des »Pacs« untergraben wird, und dafür sind wir auch in der Union aktiv. Das unterscheidet uns von linken Forderungen. Wir wollen die Familien stärken. Die Ehe und die Familie würden durch eine solche Gesetzesänderung nicht angegriffen, es ist genau umgekehrt: Dadurch stärken wir diese Institution.