Die iranische Opposition kämpft für Demokratie.

Viva la Revolución!

Die Proteste im Iran sind mehr als ein systemimmanenter Machtkampf. Die Opposition kämpft für mehr Demokratie. Von ihr zu erwarten, dass sie auch noch für »Solidarität mit Israel« kämpft, ist grotesk.

Der massive Wahlbetrug im Iran führte im ganzen Land zu Protesten, die seit über einem Monat anhalten. Auch in Europa demonstrieren Exiliranerinnen und -iraner. Wie positioniert sich dabei die deutsche und österreichische Linke? Während antiimperialistische Gruppen sich weiterhin mit Ahmadinejad solidarisieren, vertreten antideutsche Gruppierungen die Meinung, dass es ohnehin egal sei, wer im Iran regiere, und die Proteste nur ein interner Machtkampf des Regimes seien.
Eine realistische Betrachtung der Lage müsste von einer Analyse des Ist-Zustandes im Iran ausgehen, was einer ideologisierten Linken, die die Bezeichnung »Empiriker« bereits als Schimpfwort benutzt, zu kompliziert ist. Als ein solcher jedoch kann man, im Gegensatz zu antideutschen oder antiimperialistischen Ideologen, einen realistischen Blick auf die soziale Wirklichkeit wagen.
Wie ich bereits vor den Wahlen in der Jungle World (24/09) geschrieben hatte, waren die Wahlen für viele Iraner selbst dann wichtig, wenn diese sich im Wahllokal nur zwischen zwei Übeln entscheiden konnten. Auch wenn es sich im Iran seit der Revolution nie um freie Wahlen in unserem Sinne handelte, da die Kandidaten zu­vor vom Wächterrat ausgewählt wurden, stand doch bislang im Gegensatz zu anderen Regimen im Nahen Osten innerhalb dieses strikt begrenzten Pluralismus keineswegs fest, wer diese Wah­len jeweils gewinnen würde. Dieses demokratische Element im theokratisch organisierten politischen System des Iran wurde mit der massiven Wahlfälschung, die von der Mehr­heit der Oppositionellen im In- und Ausland als coup d’etat bezeichnet wurde, zugunsten einer repressiven Herrschaft des Sicherheitsapparates, insbesondere der Pasdaran, ausgehebelt.

Dass selbst die eingeschränkte Wahlmöglichkeit sich bei diesen Präsidentschaftswahlen als Farce erwies, trieb die Wählerinnen und Wähler spontan mit der Frage auf die Straße, wo denn ihre Stimme geblieben sei. Diese Frage nach den »verlorenen Stimmen« enthält eine urdemokratische Forderung, die weit über einen Richtungskampf innerhalb des Regimes hinausgeht. Die Proteste der folgenden Wochen stellen damit eine wirkliche Demokratiebewegung dar, für die der Wahlbetrug nur einen Ausgangspunkt bildet. Niemand ist bereit, für einen bloßen Machkampf innerhalb eines Regimes seine Verhaftung, Folter oder sein Leben zu riskieren. Allein die Tatsache, dass nachdem – konservativen Schätzungen der Anwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi zufolge – mehr als 2 050 Oppositionelle verhaftet und rund 100 getötet wurden, trotzdem immer noch mutige Iranerinnen und Iraner zu Tausenden auf die Straßen gehen, zeigt, dass es dieser Bewegung um mehr geht als nur um einen systemimmanenten Machtkampf. Zu glauben, dass junge Iraner bereit wären, notfalls für Mousavi zu sterben, ist entweder verrückt oder eine orientalistische Projektion auf den schiitischen Märtyrerkult.
Mittlerweile erschallen auf den Demonstrati­onen in Teheran und den anderen iranischen Städten auch Rufe gegen die Diktatur. Wenn ­Gerhard Scheit von den »Allahu-Akbar«-Rufen von den Dächern in Teheran einen »düsteren Eindruck« bekommt (29/09), mag das einiges über sein Bild des Islam und seine Kenntnis der iranischen Geschichte sagen, jedoch nichts über den Charakter der Protestbewegung. Diese Rufe stellen nichts weiter dar als ein Zitat der Revolution von 1979. Damals waren solche Rufe eine relativ ungefährliche Protestmaßnahme gegen das Schah-Regime und ermöglichten den Bewohnern der Städte zudem, sich ihrer eigenen Zahl und ihres Zusammenhalts gegen das Regime zu vergewissern. Wenn heute diese Tradition aus der Zeit vor dem Sturz des Schah wieder aufgenommen wird, wird damit eine Parallele zwi­schen dem bestehenden Regime und dem Schah-Regime gezogen und zugleich diesem Regime angekündigt, es ähnlich wie die Tyrannei vor 1979 zu stürzen.
Ein breites Protestbündnis, in dem sich linke und liberale Oppositionelle ebenso wiederfinden wie reformorientierte Vertreterinnen und Vertreter einer offeneren Variante einer »Islami­schen Republik«, hat sich spontan zusammengefunden, um die Diktatur Ahmadinejads und des »Obersten Führers« Khamenei in die Knie zu zwingen. Dass sich auch hohe schiitische Geistliche wie Ayatollah Montazeri hinter diese Proteste stellen, ist ebenso wenig ein Zeichen für deren islamistischen Charakter, wie auf der anderen Seite die Solidarisierung der Tudeh-Partei oder verschiedener Strömungen der Volksfeda­yin für deren kommunistischen Charakter spricht.

Dass auch Angehörige des Regimes selbst, wie Khatami oder Rafsanjani, mit der Protestbewegung sympathisieren, ist realpolitisch wichtig, sagt allerdings ebenfalls nichts über den Charakter der Protestbewegung aus. Noch jede Revolution, die Erfolg hatte, musste auch Teile des herrschenden Staatsapparates auf ihre Seite ziehen. Auch die Opposition vieler hoher schiitischer Geistlicher gegen die von Khomeini durchgesetzte velayat-e faqih (Statthalterschaft des religiösen Rechtsgelehrten) ist keine Neuigkeit. Bereits 1979 war Khomeinis Verfassungsentwurf bei vielen schiitischen Geistlichen umstritten. Sein System­entwurf hatte nie die Mehrheit der Großayatollahs auf seiner Seite. Großayatollah Schariat-Madari, der 1963 den wegen Volksverhetzung verhafteten Khomeini zum Marja (Großayatollah) ernannte und ihn damit vor einem Todesurteil bewahrte, lehnte Khomeinis Verfassung vehement ab und verlangte die Wiedereinführung der konstitutionellen Verfassung von 1906. Vom April 1982 bis zu seinem Tod 1986 stellte Khomeini jenen Mann, der ihn zum Großayatollah gemacht hatte, unter Hausarrest und verweigerte dem Krebskranken medizinische Versorgung.
Großayatollah Montazeri, ursprünglich Partei­gänger Khomeinis und zu dessen Nachfolger bestimmt, übte bereits zu Khomeinis Lebzeiten Kritik an dessen Autoritarismus und den massiven Menschenrechtsverletzungen. Er wurde als Nachfolger abgesetzt und schließlich 1997 unter Hausarrest gestellt. Ähnliche Biografien sind von einer Reihe hoher iranischer Geistlicher be­kannt, die sich für den traditionellen Quietismus der schiitischen Geistlichkeit aussprachen. Eine Bezugnahme auf die Religion durch Teile der Oppositionsbewegung ist daher keineswegs mit einer Identifizierung mit dem politischen System des Iran gleichzusetzen.
Vielmehr scheint die »Grüne Bewegung« im Iran tatsächlich eine Bewegung von unten zu sein, an der sich Reformisten innerhalb des Systems der Islamischen Republik ebenso beteiligen wie linke und liberale Fundamentaloppositionelle, vor allem aber Bürgerinnen und Bürger des Iran, die einfach genug von der Diktatur haben. Ein wichtiger Aspekt dieser Bewegung ist die starke Beteiligung junger Frauen, die damit auch gegen die herrschende Geschlechterordnung protestieren. Viele der Beteiligten wissen wesentlich genauer, was sie nicht wollen, als was sie anstreben. Einig ist man sich weitgehend darin, dass man Ahmadinejad und Khamenei loswerden, die Macht der Pasdaran und Basiji brechen will und mehr Demokratie und persönliche Freiheit anstrebt. Darüber hinaus gibt es – wenn überhaupt vorhanden – sehr unterschiedliche Vorstellungen über die genaue Ausgestaltung der Demokratie, über die Rolle der Religion innerhalb einer solchen Demokratie, über den Grad an Föderalismus, den der Iran haben sollte, oder über dessen Wirtschaftssystem.

Bei Kundgebungen iranischer Oppositioneller in Europa lässt sich die Heterogenität des hier entstandenen Zweckbündnisses gut beobachten. Getragen werden diese meist von linken Exiloppo­sitionellen und Anhängern der Reformbewegung. Monarchisten wirken eher als Störfaktor. In Wien kam es bereits mehrmals zu entsprechenden Auseinandersetzungen, wobei sich auf einer Veranstaltung die Antideutschen von »Stop the Bomb« spontan mit den Schah-Anhängern solidarisierten, als diese das linke Podium beschimpften und sich selbst als die radikalsten Feinde der »Islamischen Republik« gerierten.
Angesichts der Repression gegen die Protestbewegung haben die Demonstrantinnen und Demonstranten im Iran jedenfalls derzeit wesentlich Besseres zu tun, als sich mit der Frage des zukünftigen Verhältnisses zu Israel zu beschäftigen. Diesen ohnehin mit dem Tod bedrohten Menschen nun auch noch wie Gerhard Scheit vom sicheren Wien aus zuzurufen, sie hätten sich in »Solidarität mit Israel« zu üben, ist an Absurdität und Zynismus nur noch von jenen zu überbieten, die der Meinung sind, dass ein Ahmadinejad an der Regierung für Israel eigentlich besser wäre als eine konziliantere Führung, da man bei einem militärischen Angriff auf einen von Ahmadinejad regierten Iran auf größeres internationales Verständnis hoffen könne. Ein solcher Angriff würde übrigens derzeit niemandem mehr nutzen als Ahmadinejad und Khamenei.