Heinrich Dathe war der »Grzimek des Ostens« und Mitglied der NSDAP

Vom Blockwart zum Tiergärtner

In Berlin wird derzeit darüber diskutiert, ob eine Schule, die nach dem »sächsischen Grzimek«, Heinrich Dathe, heißt, umbenannt werden soll. Als Grund dafür wird angegeben, dass der führende Zoologe der DDR NSDAP-Mitglied gewesen ist.

Heinrich Dathe, der 1991 in Berlin verstorbene Gründer und langjährige Direktor des Tierparks in Berlin-Friedrichsfelde, ist zwar niemals in die SED eingetreten, war aber Mitglied der NSDAP. Das ist eine Konstellation, die auch in der DDR öfter vorkam, bei Dathe aber zumindest im Berliner Stadtteil Friedrichshain schwer wiegt, weil dort seit 1996 ein Gymnasium nach ihm benannt ist. Die Frage sei jetzt, »was bei der Namensgebung des Gymnasiums über Dathes Wirken im Nationalsozialismus bekannt war oder hätte bekannt sein können«, zitiert die Berliner Woche Elvira Pichler von den Grünen, die Vorsitzende des bezirklichen Kulturausschusses. Es geht in der Konsequenz darum, die Schule umzubenennen.
In Gang gebracht hat die lokale Diskussion um Dathes Aktivitäten in der Nazizeit der Historiker Olaf Kappelt. Kappelt ist Autor des »Braunbuchs Ost« und hat in der aktuellen Ausgabe des Braunbuchs Dathes bereits 1932 erfolgten Eintritt in die NSDAP und seine Tätigkeit als Blockwart im Leipziger Prominentenviertel dokumentiert. Für Kappelt ist Dathes bruchlose Karriere in der Nazizeit und dann in der DDR, in der Dathe der »sächsische Grzimek« wurde, ein weiterer Beleg für seine These, »dass der von der SED-Führung stets propagierte Antifaschismus eine glatte Lüge war«.
Dabei geht es Kappelt überhaupt nicht darum, Dathes Bedeutung als Zoologe und Tierparkdirektor zu bestreiten. Er will vor allem, dass über die politische Nähe Dathes zu den Nazis und zur DDR-Nomenklatura offen geredet wird. Das ist mit Sicherheit ein richtiges Anliegen, genauso wie die eventuelle Umbenennung des Friedrichshainer Gymnasiums. Nur bleibt natürlich die Frage, inwieweit ein Fall wie der des prominenten Zoologen, Tierparkdirektors und Rundfunk- sowie Fernsehmoderators Dathe tatsächlich so etwas wie den Ausbruch republikanischen Bewusstseins in den gegenwärtigen Zeiten einer fortschreitenden Aristokratisierung der Politik bewirken kann.

Dathe selbst gilt der Öffentlichkeit als erledigter Fall. Es besteht kaum die Gefahr, dass ihm, wie in diesem Jahr Bernhard Grzimek, zu einem runden Geburtstag ausführlich oder auch nur kritisch gedacht werden wird. Und das hat auch mit der Art und Weise zu tun, wie der Westen jene Teile des Ostens übernommen hat, die er nicht abwickeln wollte, wie den Tierpark im Ostteil der Stadt. Man hatte dem 80jährigen Dathe 1990 nach der westlichen Übernahme des Tierparks das Wohnrecht in seiner Dienstwohnung auf dem Gelände entzogen, worauf nach der unwürdigen Schlüsselübergabe die Popularität des alten Mannes im Osten kurzzeitig anstieg. Das schlug sich auch im Verkaufserfolg seiner 2001 posthum erschienenen »Lebenserinnerungen eines leidenschaftlichen Tiergärtners« nieder. Zu einer Renaissance, die sich um Werk und Wirken Dathes bemühte, hat das allerdings nicht geführt. Es blieben Erinnerungen für jene, die ihn aus Funk und Fernsehen kannten, und auch die sind längst in die Jahre gekommen.

Das heißt aber nicht, dass nicht auch Dathes Biografie im Sinne einer republikanischen Geschichts­schreibung genutzt werden kann. Dathe gehörte einer Generation von Naturforschern an, die in alle geschichtlichen Konstellationen des vergangenen Jahrhunderts mehr oder weniger verwickelt war. Es waren jene Aktivisten der Tierbeobachtung unter so genannten natürlichen Bedingungen, denen es zuerst einmal um die Inventarisierung der möglichen Verhaltensformen und ihre genaue Beschreibung ging. Wobei der Höhepunkt dieser Forschungsrichtung 1973 erreicht war. In diesem Jahr wurde der Nobelpreis für Medizin an drei Verhaltensbiologen verliehen. Auf der Bühne standen damals aber nicht nur drei herausragende Naturalisten, sondern auch politisch handelnde Individuuen, die verschiedener nicht hätten sein können.
Ausgezeichnet wurden mit Nikolaas Tinbergen ein aus den Niederlanden stammender Widerstandskämpfer gegen die Deutschen, mit Konrad Lorenz ein Sympathisant der Nazis, dessen Verstrickung in die widerwärtigen medizinischen Verbrechen der Nazis nie ganz aufgeklärt werden konnte, und mit Max von Frisch, dem Entdecker der »Bienensprache«, der 1941 vom Bayerischen Staatsministerium als »Mischling zweiten Grades« eingestuft worden war, ein den Nazis zumindest suspekter Zeitgenosse. Die politischen Gegensätze, die auf der Bühne von Stockholm nebeneinander standen, werden auch nicht durch die Tatsache versöhnt, dass Tinbergen und Lorenz ihr ganzes Wissenschaftlerleben miteinander befreundet blieben. Außer der Tatsache, dass Tinbergen nach Ende des Zweiten Weltkriegs, währenddem er jahrelang von den Deutschen interniert worden war, die deutsche Sprache nicht mehr ertrug und Lorenz deshalb Englisch mit ihm sprach, sind keine persönlichen Dissonanzen überliefert.
Lorenz war, auch wenn er im persönlichen Umgang als aufbrausend bis cholerisch beschrieben wird, nach seiner Nazi-Periode politisch wenig rechthaberisch. Das bezog auch den in der DDR arbeitenden Dathe ein. Die Dathe 1990 von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften verliehene Konrad-Lorenz-Medaille legt davon ein spätes Zeugnis ab. Dabei hatte Dathe dem Art- und Rasse-Idealisten Lorenz eine seiner empfindlichsten wissenschaftlichen Niederlagen beigebracht: Er habe leider oft genug miterleben müssen, wie sich Hunde, Dingos und Wölfe bis zur völligen Kampfunfähigkeit, bis zum Tode des Gegners bekämpften. Die Beißhemmung bei Hundeartigen – vom Menschen konstruiert – habe sich eben nicht bis zu denen, die es angeht, herumgesprochen. Damit widersprach Dathe, der diesen Befund 1965 niederschrieb, dem damals gültigen Lehrsatz der Verhaltensbiologie, Hunde würden durch Demutsgesten bei überlegenen Artgenossen eine »angeborenen Tötungshemmung« aktivieren. Dathes Beobachtungen trugen mit dazu bei, das Postulat einer universell gültigen Tötungshemmung unter Tieren der gleichen Art als Mythos zu entlarven. Seine Kritik änderte aber nichts an seiner Wertschätzung und Nähe zum Urheber der Tötungshemmungsthese, der Lorenz war.

An diesem Punkt aber wird die Trennung von Biologie und Politik hinfällig. Es lässt sich ein direkter Weg von Lorenz’ Arterhaltungspostulat, als dem das Leben der Individuen bestimmenden Movens, zu jeder biorassistischen oder theozoologischen Praxis, wie sie die Nazis auch wissenschaftlich durchführten, beschreiben. Man kann sagen, dass in Lorenz’ Art- und Rasse-Idealismus, der immer auch von der »Reinheit« biologischer Einheiten träumt, seine Nähe zu den Nazis präadaptiert war.
Zumindest hierin hat Dathe dem weltberühmten »Gänsevater« 1965 deutlich widersprochen. Eine tatsächliche Kritik des Verhaltens von Personen wie Dathe und Lorenz während des Dritten Reichs müsste also unabhängig davon, ob sie nachfolgend in der DDR oder im Westen ihre wissenschaftlichen Karrieren fortsetzten, danach fragen, inwiefern nicht ihre Biologie schon politisch oder gesellschaftlich angetrieben war. Marcel Beyer hat in seinem im vorigen Herbst erschienenen Roman »Kaltenburg« genau das getan. Die erwähnte Passage mit den Wölfen und der Tötungshemmung ist fast wörtlich so in seinem Roman zu finden. Nur heißt Dathe bei Beyer »Matzke« und Lorenz »Kaltenburg«.
Der Kunstgriff, mit dem Beyer die Vergegenwärtigung der Darstellung der Lebenswege der deutschen Naturalisten um Lorenz gelingt, liegt darin, seine Geschichte in die DDR zu verlegen. Sein Lorenz-Kaltenburg geht nicht wie der echte Lorenz nach der NS-Zeit in den Westen, sondern nach Dresden. Das schafft merkwürdigerweise einen wirklich klareren Zugang zu den Verwicklungen, in denen die Verhaltensbiologie steckte, seit sie in den zwanziger Jahren begann, ihre Methoden und Begriffe zu systematisieren. Es ergibt sich nämlich, dass Kaltenburg im Dresden der fünfziger Jahre auf zwei SS-Offiziere trifft, die er aus seiner Zeit in Posen im besetzten Polen kennt. Knut Sieverding, der mittlerweile ein angesehener Tierfilmer geworden ist, und Martin Spengler, der als Bomberpilot in der russischen Steppe abstürzte und jetzt durch Installationen als Künstler im Westen berühmt geworden ist, sind Heinz Sielmann und Joseph Beuys nachempfunden. Sielmann hatte Beuys, den der Kunsthistoriker Beatt Wyss kürzlich in der Kunstzeitschrift Monopol polemisch als »ewigen Hitlerjungen« bezeichnete, tatsächlich 1941 zum Bordfunker ausgebildet, und beider, Sielmanns wie Beuys’ Werke stecken wirklich voller Verweise auf eine Verhaltensforschung, wie Lorenz sie konzipiert und betrieben hatte.