40 Jahre Woodstock

Es war einmal

Das Woodstock-Festival fand vor 40 Jahren auf einem Acker im Schlamm statt. Sein Mythos wächst immer noch.
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Im Rückblick betrachtet, fand die Schlüsselszene des Woodstock-Festivals im Morgengrauen des 16. August 1969 statt. Von vielen ob der frühen Stunde unbemerkt, scheuchte der ohnehin genervte Gitarrist von The Who, Pete Townshend, den Hippie-Politaktivisten Abbie Hoffman recht unsanft weg vom Mikrofon und runter von der Bühne. Ein nachvollziehbarer Akt, denn Hoffman und einige andere aus seinem Dunstkreis waren berüchtigt für lange, wirre Statements.
Ob Townshend wusste, wen genau er mit Hoffman vor sich hatte, lässt sich nicht sicher sagen. Später sagte der Gitarrist, der für sein aggressives Spiel und die rituelle Zertrümmerung von Instrumenten berühmt war, dass er eigentlich nichts gegen das Anliegen einzuwenden gehabt hätte, das Hoffman vorbringen wollte: nämlich die Verhaftung des MC5-Managers und »White Panther Party«-Gründers John Sinclair zu kritisieren, der versucht hatte, zwei Polizeiagenten Dope zu verkaufen. Was Townshend nicht so direkt sagte, war, dass er einfach nach dem ganzen Chaos, das auf der Festivalwiese herrschte, die Nase voll hatte von aufgeregten, zugedröhnten und häufig Unfug schwatzenden Hippies.
So zufällig also der Zusammenstoß zwischen dem genervten Townshend und Hoffman war, so sinnbildlich war er auch: Obwohl sich zum Zeitpunkt dieses Treffens eine halbe Million Menschen auf der morastigen Wiese des Milchfarmers Max Yasgur befanden, die wegen Love, Peace und natürlich Rock’n’Roll angereist waren, war Woodstock nicht der Beginn, sondern das Ende einer Ära – so präsent waren die Hippies nach Woodstock nie wieder.
Mit der Ära der Freiluftfestivals ging es dagegen jetzt erst richtig los. Der Erfolg des Konzepts aus Frischluft und Rockmusik erreichte in den Neunzigern schließlich selbst die Chefetage des Wolfsburger Auto-Konzerns VW, der die greisen Rolling Stones auf dem Werksparkplatz antreten ließ, um ein Golf-Modell zu promoten.
Aber so etwas Schnödes wie der Auftakt zum späteren Stadion-Rock hätte Woodstock gerade nicht sein wollen. Es ging sowohl im Werbefeldzug der Veranstalter als auch in den Erwartungen der Besuchermassen um nicht weniger als um den Auftakt zum »Zeitalter des Wassermanns«, einer neuen Weltära der Liebe und der Harmonie, und um die Neugründung der amerikanischen Nation als »Woodstock Nation«. So lautete denn auch der Titel des Buches, das Hoffman zwei Wochen nach dem Woodstock-Wochen­ende herausbrachte und das man wohl als die elaborierte Version der von Townshend schnöde unterbundenen Ansprache betrachten darf. Hoffman beschreibt darin das Festival als einen einzigen »Trip in die Zukunft« und entwirft in einem heute noch mitreißenden Wortrausch noch einmal das Programm der Polit-Hippies, der Yippies, so wie er, Jerry Rubin und einige andere es 1965 in Haight-Ashbury, einem Altbauviertel von San Francisco, entworfen hatten. Sätze sind das, die den Geist der Befreiung ebenso atmen wie den der Selbstzerstörung, der Willkür und das, was Freud als »Unbehagen in der Zivilisation« bezeichnet hatte. Der Anspruch auf ständige, unmittelbare Trieberfüllung und das Ablehnen jeglichen Verbots bringen demnach nicht nur Ekstase, sondern auch Leid und Tod.
Gänzlich offenbar wurde das allerspätestens, als aus LSD Heroin geworden war. Dass im Jahr nach dem Festival seine größten Stars den Drogentod starben – Jimi Hendrix und Janis Joplin (mit nicht weniger als 14 Einstichen im Arm) –, war unmissverständlicher Ausdruck des Niedergangs einer Subkultur. Die Beatles trennten sich 1970, ihr Sitar-Lehrer Ravi Shankar ging nach seinem Woodstock-Auftritt zurück nach Indien, und niemand wollte mehr die Byrds hören. Woodstock markierte das Ende der sechziger Jahre.
Ihren Höhepunkt erreicht hatte die Hippie-Kultur bereits im Januar 1967 mit ihrem legendären »Human Be-In« auf dem Polo-Gelände in San Francisco. Danach ging es abwärts. In Haight-Ashbury merkte man nach dem »Be-In« und während Scott MacKenzie mit »San Francisco (Be sure to wear flowers in your hair)« einen Welt-Hit landete, dass einiges schief lief. Am 6. Oktober 1967 beging ein festlicher Umzug »The Death of Hippie«. Hippies warfen all jene Symbole, die für ihre Lebensweise standen – Perlen, Sticker, Haschischpfeifen, Buttons, Anhänger –, in einen offenen Sarg, der schließlich im Buena Vista Park verbrannt wurde. An diesem Tag jährte es sich auch zum ersten Mal, dass Kalifornien den Konsum von LSD unter Strafe gestellt hatte. Einige der wichtigsten Protagonisten verließen nicht nur Haight-Ashbury, sondern auch gleich San Francisco.
Woodstock war aber auch in musikalischer Hinsicht kein Anfang, sondern ein Ende. Ein Ende, das der berühmte Woodstock-Film eindrücklich darstellt, wenn Jimi Hendrix’ verzerrt-improvisierte Fassung der US-Hymne »Star Spangled Banner« mit dem sich leerenden, völlig verschlammten und verdreckten Festivalgelände überblendet wird. Die Mischung wirkt dabei nämlich weniger als Abgesang auf das offizielle denn auf das inoffizielle, »andere« Amerika und dessen Musik.
Und tatsächlich: Wer von den Stars des Hippie-Undergrounds nicht in den nächsten zwei Jahren nach dem Festival gänzlich von der Bildfläche verschwand, setzte auf Rückbesinnung, pries das ländliche und das vergangene Amerika: Country-Adaptionen kamen schwer in Mode, aus dröhnendem Acid-Rock wurde schmeichelnder West-Coast-Rock. The Grateful Dead, einer der Woodstock-Haupt-Acts, verkörperte diesen Wandel wie niemand sonst: Die LSD-Kapelle schlechthin, berühmt für ihre ausschweifenden Improvisationen und schier unendliche E-Gitarren-Soli, mutierte zu einer Latzhosen tragenden Bluegrass-Band, die mit ihrer neuen Platte im November 1970 die »American Beauty« besang, hübsch nostalgisch begleitet von Mandoline und Pedal-Steel-Guitar.
Und während das Rock-Amerika seinen Post-Woodstock-Katzenjammer kultivierte und abgehangene Musik von Leuten, die ihre wilden Jahre hinter sich hatten, für Leute, die genauso empfanden, produzierte, stand die Bühne offen für die, die in Woodstock nicht dabei waren oder dort ebenso wenig hingepasst hätten wie The Who. Diese nicht geladenen Newcomer waren meist Briten, die schon angefangen hatten, aus der Psychedelik den Progressive Rock und aus dem Blues Heavy Metal zu machen, Bands wie Pink Floyd, Jethro Tull, Black Sabbath oder Led Zeppelin, prototypische Rockbands der Siebziger. Ganz zu schweigen von den Vorboten des Punk, der Elektronik oder des Glam-Rock, von Iggy Pop, Tangerine Dream oder David Bowie, die damals ihre ersten Platten machten. Ihnen gehörte im Hochsommer 1969 die Zukunft, den Hippies gerade eben noch die Gegenwart – und noch nicht einmal mehr das Mikrofon, wie Pete Townshend Abbie Hoffman schon in Woodstock unmissverständlich klar gemacht hatte.

Mike Evans: Woodstock. Heyne, München 2009, 288 Seiten, 39,90 Euro
Joel Rosenman und John Roberts: Making Woodstock: Ein legendäres Festival und seine Geschichte. Orange Press, Freiburg 2009, 283 Seiten, 20 Euro
Woodstock – Ultimate Collectors Edition, DVD, 2009, vierstündiger Director’s Cut, Warner, 39,90 Euro