Der FC Schalke und beleidigte Muslime

Kein Grund zum Jihad

Muslime empören sich plötzlich über das uralte Schalker Vereinslied, weil sie entdeckt haben wollen, dass darin der Prophet Mohammed verhöhnt wird. Doch ein Islamwissenschaftler gibt Entwarnung.

Dass Fußballfans bei Heimspielen ihres Lieblingsclubs die Vereinshymne singen, die kurz vor dem Anpfiff aus den Stadionboxen dröhnt, ist vielerorts ein festes Ritual, so auch beim FC Schalke 04. »Blau und weiß, wie lieb’ ich dich«, heißt dessen Lied, eine Hommage an den Bundesligisten und seine traditionellen Farben. Die ursprüngliche Fassung des Stücks stammt aus dem Jahr 1924 und enthielt zwei Strophen; zwei weitere kamen 1963 hinzu. Um einen dieser beiden ergänzten Verse gibt es nun, 46 Jahre später, plötzlich helle Aufregung. »Mohammed war ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht, doch aus all der schönen Farbenpracht hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht«, lautet der dritte Abschnitt, gegen den besonders gläubige Anhänger des Islam jetzt aufgebracht protestieren, weil sie in ihm eine Verhöhnung des Stifters ihrer Religion zu erkennen meinen.
Wie und warum der Prophet überhaupt in die Hymne gelangte, ist seit Ende vergangener Woche auf der Homepage des FC Schalke nachzulesen. Demnach wollte der Musiker Hans J. König eine Schallplatte mit dem Lied aufnehmen, ihm war jedoch der Text nicht mehr geläufig. Daher habe er, so heißt es auf der Website, einen neuen verfasst und sich dabei stark am Volkslied »Grün ist Wald und Flur« orientiert, dem »Blau und Weiß« seine Melodie verdankt. In diesem Volkslied heißt es: »Mohammed war ein Prophet, der von Farben allerlei versteht. Und aus aller Far­ben­pracht hat er sich doch das schöne Grün auserdacht.« Die Schlussfolgerung der Schalker Verantwortlichen lautet: »König dachte sich offensichtlich, dass jemand, der ›von Farben allerlei versteht‹, sich dann auch selbstverständlich das Blau und Weiße seines Vereins ausdenken könnte.«
Dass der Song erst jetzt in die Diskussion geraten ist, hängt allem Anschein nach damit zusammen, dass ein Gelsenkirchener Reporter ihn mitten im Sommerloch entdeckt und in den auflagenstarken türkischen Tageszeitungen Hürriyet und Zaman darüber geschrieben hat. In eher nüchternem Ton berichtete er dabei zunächst, dass der Prophet in der Hymne des populären Ruhrgebietsclubs Erwähnung findet, um dann ironisch fortzufahren: »Während es als erwiesen gilt, dass das von Millionen Schalke-Fans seit Jahren gesungene Lied im Jahre 1963 von Hans J. König geschrieben wurde, gibt es keine Quellen oder Hadithen« – das heißt Überlieferungen über Mohammed –, »die darauf hinweisen, dass der Heilige Mohammed die Farben Blau und Weiß bevorzugte.«
Aufgegriffen wurde die Geschichte anschließend von der viel gelesenen und wegen ihrer islamistischen und antiisraelischen Tendenz vom Verfassungsschutz beobachteten Website Muslim-Markt. Deren in Delmenhorst lebender Mitbegründer Yavuz Özoguz bezeichnet Israel als »Pseudostaat«, ist ein glühender Verehrer des iranischen »Revolutionsführers« Ayatollah Khamenei und wurde 2004 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Grund ist: Er hatte sich positiv auf eine Rede Khameneis bezogen, in der dieser den Holocaust geleugnet und die Gaskammern als »Märchen« bezeichnet hatte. Nun klagte Özoguz in einem Beitrag, Blau und Weiß seien »nicht gerade exklusive Farben von Schalke«. Denn die bayerische Landesflagge habe »genau wie die israelische Flagge diese beiden Farben«, und es solle schließlich »bekannt sein, dass die Farben des Propheten eher Grün, Weiß, Rot und Schwarz waren«. Daher gelte es nun, gegen diese »Ungeheuerlichkeit« zu protestieren: »Wie wäre es«, fragte Özoguz, »wenn alle Schalke-Fans, die sich als Anhänger des Islam betrachten, ganz einfach nicht mehr zu Schalke gehen?« Vor einem solchen Boykott könne »man ja noch eine Mail an Schalke versenden«. Einen entsprechenden Formulierungsvorschlag ließ Özoguz auch gleich folgen; in ihm hieß es unter anderem: »So gerne ich die Spiele von Schalke 04 auch besuche, haben meine Familie und ich sowie viele Freunde beschlossen, sowohl den Spielen von Schalke 04 fern zu bleiben als auch keinerlei Fan-Artikel mehr zu kaufen, bis jene Strophe aus dem Vereinslied gestrichen wird.«
Özoguz’ Anregung stieß offenbar auf Zustimmung; zumindest sind in der Geschäftsstelle von Schalke 04 mittlerweile weit über 100 Protestbriefe und -mails eingetroffen. So mancher Absender wurde dabei noch weitaus deutlicher als der Muslim-Markt-Autor, wie verschiedene Zeitungen meldeten. Demnach befanden sich unter den Zusendungen Schreiben mit ultimativen Aufforderungen wie diesen: »Ihr verdammten Hurensöhne werdet euer beschissenes Lied sofort ändern! Was hat unser Prophet mit eurem ungläubigen Lied zu tun? Löscht diesen Teil, oder ihr müsst die Konsequenzen tragen!« Nach Ansicht der Schalker Verantwortlichen sind solche Drohungen allerdings kein Fall für die Polizei und die Staatsanwaltschaft, sondern für Runde Tische und Islam-Experten: Man müsse »klären, ob es sich hier um künstliche Empörung oder ehrliche Überzeugung handelt«, fand beispielsweise Hans-Joachim Dohm, pensionierter Pfarrer und Vorsitzender des Schalker Ehrenrates. »Deshalb sollten wir das Gespräch suchen.«
Außerdem bat der Club den Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar um seine Einschätzung. Dieser gab nun in einem sechsseitigen Gutachten Entwarnung, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete: Zwar klinge die Strophe »etwas salopp«, könne jedoch »bei einem Sport­ereignis durchaus vertreten werden«, befand Ucar. Schließlich sei ein Fußballspiel »keine Unterweisung in islamischer Katechese und keine Einführung in die Benimmregeln des Islam«. Damit widersprach Ucar unter anderem dem wieder in der Türkei tätigen Fußballtrainer Christoph Daum. Der meinte nämlich: »Wenn sich herausstellen sollte, dass sich Muslime verletzt, verunglimpft und angegriffen fühlen, sollte es für Schalke kein Problem sein, bestimmte Textpassagen zu ändern.« Salim Abdullah hingegen, der Leiter des Zentralinstituts Islam-Archiv Deutschland, bezeichnete die Aufregung über die dritte Strophe als »Humorlosigkeit, die zum Himmel stinkt«. Das Stück sei »keine Beleidigung«, sagte er, »sondern ein Bestätigungslied«, das Muslime »aus voller Kehle mitsingen« sollten.
In verschiedenen Fan-Foren und auf Blogs wurden die Proteste unterdessen teilweise harsch zurückgewiesen, doch mancher nahm sie auch mit Humor. So wurde verschiedentlich vermutet, hinter der Kampagne gegen die Hymne steckten in Wahrheit gar keine Muslime, sondern Anhänger des verhassten Lokalkonkurrenten Borussia Dortmund. Und Gideon Böss ätzte auf seinem zur Tageszeitung Die Welt gehörenden Weblog: »Ich habe mir mal einige weitere Fußballhymnen angesehen und dabei Textstellen markiert, die noch für Ärger sorgen könnten und deswegen überarbeitet werden sollten.« Als Beispiele nannte Böss unter anderem den Bayern-Song »Stern des Südens« (»Der Stern könnte als Davidstern missverstanden werden und das ›niemals untergeh’n‹ somit als zionistische Propaganda im Sinne von ›Am Israel Chai‹«) sowie das Hoffenheimer Lied, in dem optimistisch versprochen wird, »gegen alle Welt zu siegen« (»Die islamische Umma ist stärker als Hoffenheim und würde mindestens 4:0 gewinnen! Bitte ändern.«).
Gut, dass der Ball inzwischen wieder rollt. Denn: »Grau ist alle Theorie – entscheidend is’ auf’m Platz.« Dieses Bonmot stammt übrigens nicht von Mohammed, sondern von Adi Preißler. Und der war weder blau-weiß noch grün – sondern ein gelb-schwarzer Dortmunder. Glück auf!